Roman Lazik ist nicht nur in Wien als Erster Solotänzer dem Publikum ans Herz gewachsen. All die Bühnen aufzuzählen, auf denen er getanzt hat, ergäbe eine lange Liste. Nach Wien kam er als Erster Solotänzer des Bayerischen Staatsballetts. Da war der Titel "Erster Solotänzer" eben abgeschafft werden. Erst unter Manuel Legris werden die "Ersten" dem Corps als Vorbild und dem Publikum zur Verehrung wieder eingeführt.
Die Reiselust hat sich gelegt, die Enttäuschungen sind überwunden, Roman Lazik hat beim Wiener Staatsballett unter Manuel Legris eine Heimat gefunden und in Wien festen Boden unter den Füßen. In jungen Jahren sammelte er Preise, später sämtliche Rollen des klassischen Balletts. Auch diese Liste ist viel zu lang, um sie einzufügen. Von Albrecht bis Romeo, von Apollo bis Solor reichen die Eintragungen allein in der Spalte "Handlungsballette". Und Engel hat Roman Lazik auch immer wieder getanzt.
Im Kopf tanzen. Der Blick konzentriert, die Schritte tastend, wie junge Entchen gehen Irina Tsymbal und Roman Lazik hinter Sonja Marchiolli her. Igor Zapravdin hämmert Chopin in die Tasten. Im Ballettsaal wird erste Bekanntschaft mit Rudi van Dantzigs Pas de deux „Moments Shared“ geschlossen. Der Vergleich hinkt natürlich. Tänzer sehen nie wie Enten aus, auch wenn der Bewegungsablauf erst vom Körper aufgenommen werden muss. Die Eleganz der Gebärden, die „Attitüde“, ist niemals zu übersehen. Auch nicht bei den allerersten vorsichtigen Schritten.
„Wir kennen das Vokabular von Rudi van Dantzig und auch Sonja ist uns vertraut. Sie war Tänzerin und Rudis Assistentin. Voriges Jahr hat sie mit uns sein Ballett ,Vier letzte Lieder’ einstudiert“, sagt Roman Lazik. Der Erste Solotänzer probt mit der Ersten Solotänzerin für die Nurejew-Gala. Nicht ganz einfach, denn Ballettchef Manuel Legris, hat dieses wenig bekannte Duett (zu Frédéric Chopins Etüde Nr. 4, cis-Moll) auch selbst getanzt. Doch das Heft in der Hand hat die Marchiolli, geduldig und liebevoll. Schon am Nachmittag können die beiden Spitzentänzer das gesamte Stück durchprobieren. Überraschend schnell, über Nacht, kann Lazik seinen Part auswendig: „Vor dem Einschlafen tanze ich das Stück im Kopf. Wenn das bis zum Ende mit allen Variationen gelingt, dann hab ich es. – Oder ich schlafe vorher ein.“
Erfahrungen sammeln. Roman Lazik, geboren in Bratislava, Erster Solotänzer seit 2010 hat eine lange Karriere hinter sich, obwohl er keineswegs schon in der Wiege geträumt hat, Pirouetten zu drehen. Doch schon die Kindergartentante sah, dass sich der kleine Roman zu einem Danseur noble, anmutig und elegant, auswachsen würde. Nach dem vergnüglichen Tanzunterricht in der Volksschule, kam die harte Arbeit an der Stange: „Das war nicht mehr so lustig. Ich habe mich bei der Prüfung versteckt, damit ich nicht an die Reihe komme.“ Er wurde aus der Ecke gezogen, bestand und „da war ich dann stolz und alle ging von selbst.“ Ehrgeiziges Kämpfen um Rollen war nicht notwendig. „Die letzten zwei Jahre der achtjährigen Ausbildung, durfte ich schon auf die Bühne und tanzte mit 18 meine erste Solorolle, den Franz in ,Coppelia’.“ Keine kleine Partie.
Als hochbegabtes Talent mit Idealfigur bekam er nach der Ausbildung sofort einen Engagement beim Slowakischen Ballett. Dort hielt es ihn nicht lange, der junge Tänzer trug eine Abenteurernatur in sich und als ihn in Paris eben das Finale eines Wettbewerbs erreicht hatte, traf ein Brief aus Pretoria ein. Die Ferne lockte. Der Abschied von der Familie fiel dem 19jährigen nicht schwer, „aber ich musste meine erste Liebe zurücklassen. Die Telefonkosten waren höher als meine Gage beim PACT-Ballett.“ Nach einer Saison siegte die Liebe, der Jüngling lässt den mitgezogenen Freund alleine und kehrte nach Bratislava zurück.
Lazik weiß nicht nur die Positionen richtig zu setzen, er kann auch Geschichten erzählen, lebhaft und mit Humor. Zurück in Bratislava geht er kein festes Engagement beim Nationalballett ein – „Da haben dauernd die Direktoren gewechselt, das hat mir nicht gefallen.“ –, tanzte als Gast, „aber ich habe mit meinem früheren Lehrer fest trainiert, ich war nicht allein gelassen“, ein Anruf aus Tel Aviv lässt ihn wieder den Koffer packen. Roman Lazik wird im Israel Ballett tanzen. Die Hürde der zurück gelassenen Liebe kann diesmal übersprungen werden. „Meine Freundin hat vorgetanzt, wir wurden beide engagiert.“ Lange hält es ihn aber in der Superwohnung gleich am Strand nicht. „Es war alles gut und schön, auch das Repertoire war okay, doch mir hat die Herausforderung gefehlt.“ Die Liebe hatte sich inzwischen auch verflüchtigt. „Ich sah keinen Grund mehr zu bleiben und durfte meinen Vertrag lösen.“ Wieder zu Hause in Bratislava, sind die Arme der des Slowakischen Nationalballetts weit geöffnet: „Mein alter Direktor war wieder an der Spitze.“ Anderthalb Spielzeiten tanzt er sich als Erster Solist durchs klassische Repertoire. Nicht wirklich befriedigt. „Ich wollte noch mehr erfahren und lernen.“
Neue Ziele, neue Enttäuschungen. Der unruhige Geist schweift wieder über die Grenze, reist zum Vortanzen nach München, wo der tschechische Tänzer Ivan Liška gerade zum Ballettchef an der Bayerischen Staatsoper ernannt worden ist. Lazik darf bleiben, als Halbsolist. „Das war mir egal, auch wenn ich schon Erster Solist war. Die Frage ist doch, willst du ein großer Fisch in einem kleinen Teich sein oder lieber ein kleiner in einem großen?’. Ich wollte in den großen Teich.“ Lange blieb der Fisch nicht klein, nach einem Jahr war er Solist, ein Jahr später, 2003, Erster Solist. Und schon rumort es wieder in Laziks Kopf und Beinen. Frustriert von Liškas unterschiedlicher Behandlung seiner Tänzer und Tänzerinnen und nicht eingehaltener Versprechen, wird er zum Kämpfer. Heute kann er die Geschichte der Enttäuschungen pointenreich erzählen, auch dass er als Geschlagener das Feld räumen musste. „Ivan war wirklich traurig, als ich sagte ich gehe, doch er hat nicht nachgegeben und dann hat er mir gekündigt.“ Da hat Lazik aber schon mit dem damaligen Wiener Ballettchef Gyula Harangozó telefoniert und die Option auf ein Engagement in der Tasche.
Lazik stürzte sich in ein neues Abenteuer, reist mit Sack und Pack nach Wien. Bestürzung. „Ich habe nicht gewusst, worauf ich mich da einlasse“, gesteht er heute, war doch die Direktionszeit Harangozós nicht die glanzvollste für das Wiener Ballettensemble. „Ich habe den nie im Ballettsaal gesehen und mich sehr allein gefühlt.“ Flüchten kommt nicht in Frage. Dann kam Legris, die drei mageren Jahre waren zu Ende. Eine des neuen Chefs ersten Amtshandlungen: Der von Harangozó abgeschaffte „Erste Solotänzer“ wird wieder eingeführt und Roman Lazik wird 2010, gemeinsam mit Vladimir Shishov, der erste Erste.
Wird der Tänzer gefragt, ob er meint, dass der „Danseur noble, ausstirbt, so ist er sicher: “Nein, nie. Es wird auch andere Prinzen geben, mit anderer Figur, aber das Bild des schlanken Tänzers mit makelloser Linienführung und außergewöhnlicher Technik ist in unseren Köpfen und wird niemals gelöscht werden.“ Beweis: Eben war er eine Woche in London, um mit dem Noriko Kobayashi Ballett „Gloria“, ein Werk des Meisterchoreografen Kenneth MacMillan zu proben. Im August ist Premiere in Tokyo. (Das zur Frage: Was macht ein Tänzer im Sommer.) MacMillan wird er in der kommenden Saison auch in Wien tanzen, eine Rolle, die ihm am Herzen liegt: Kronprinz Rudolf in „Mayerling“. Im Gegensatz zum exzessiven Kronprinzen verschmäht er als arroganter Onegin die Liebe, in John Crankos gleichnamigen Ballett. Dass Lazik gelegentlich gesagt wird, Ästhetik gehe ihm vor Emotionalität, lässt ihn verwundert die Teddybär-Augen rollen: „Ich fühle immer wer ich bin, hier drinnen. Liebe und Schmerz. Wenn das nicht so rüber kommt, kann ich es nicht ändern.“ Obwohl er im abstrakten Tanz besonders gute Figur macht, gilt seine Liebe dramatischen Geschichten. Wobei er zugeben muss, dass wann immer zwei Menschen auf der Bühne sind, eine Geschichte entsteht. So kann sich auch bei dem edlen Pas de deux Rudi van Dantzigs als Highlight der Nurejew-Gala jede Zuschauerin eine Geschichte ausdenken, eine Liebesgeschichte mit happy End.
Nächste Vorstellung: Nurejew-Gala, Saisonabschluss des Wiener Staatsballetts, 28.6. 2015. Staatsoper.
Auch als Ballett live am Karajan-Platz zu sehen.
Der Text ist in gekürzter Form im Schaufenster der Tageszeitung die Presse vom 12. Juni 2015 erschienen.