Pin It

BillysJoy1William Shakespeare begleitet Jan Lauwers und die Needcompany seit langem. Die Themen Macht, Gewalt und daraus resultierende Konstellationen und Beziehungen haben das famose belgische Theaterkollektiv oft und intensiv beschäftigt. Zuletzt hat Lauwers Sohn und Ensemblemitglied Victor Afung Lauwers die Tragödien Shakespeares zu einem Abend namens „Billy’s Violence“ und die Komödien zu „Billy’s Joy“ verdichtet. Das Resultat sind durchwegs eigenständige Texte mit mehr oder weniger Referenz an den elisabethanischen Meister. Einmal mehr zeigen auch diese für das Publikum mitunter fordernden Arbeiten, wie spannend diese komödiantische, intermediale und sehr körperliche Arbeitsweise der Company ist, in der die Schauspieler:innen ihre Rollen selbst gestalten und nicht Interpret:innen sind.

Es ist dies im Grunde eine alte theatrale Form, viel näher an der commedia all‘improvviso als an der handlungsorientierten Umsetzung dramatischer Stücke. Auch wenn hier ein fix geschriebener Text die Basis ist, merkt man dennoch die kollektive Arbeit aller Beteiligten. Lauwers Text ist auch eher eine Textfläche, in der die literarischen Vorlagen in spezieller Manier reflektiert werden. In beiden Teilen gibt es keine Collage aus den Originalen, sondern Victor Lauwers verwebt die Figuren zu einer neuen Komödie und Tragödie. Wobei man auch hier eher die ältere Bedeutung von „Komödie“ bedenken sollte, die noch nicht differenzierte in „lustig“ und „tragisch“.  BillyJoy2

In Shakespearscher Art und auch jener der Needcompany gibt es kein Bühnenbild, sondern nur benötigte Kostüme und Utensilien. Garderobeständer mit all den Kleidern, in die geschlüpft wird, ein Herd und eine Soundkulisse reichen völlig, sowie die gesprochene Wortkulisse. Und choreografierte Bewegung natürlich, vor allem in „Billy’s Joy“. Dieser Abend beginnt sehr stark mit einem rund halbstündigen, rhythmischen Bewegungschor, wenn „The Tempest“ und „Midsummernightsdream“ durch die Needcompanysche Dramaturgiemaschine gedreht werden. Inserts auf der Bühnenrückwand geben gelinde Orientierungshilfen im Komödien-Dschungel. Im arkadischen Mythosland treffen der Sommernachts-Esel, Oberon, die Hexe Sycorax aus „The Tempest“ (Grace Ellen Barkey) und ein Bär namens Pourquoi sowie eine Figur namens Fluido, der auch moderiert, aufeinander. Pourquoi stellt angesichts Calibans die entscheidende Frage: „To eat or not to eat“ und zieht sich verstimmt zum Herd zurück, als die Entscheidung nicht zu seiner Zufriedenheit ausfällt. Da kocht er fortan, was durchaus olfaktorisch im Akademietheater bemerkbar ist. Auch Romeo und Julia tauchen auf, doch weil wir uns im Komödien-Abend befinden, ist ein Happy Ending obligat und da darf nicht einfach so gestorben werden. Doch hier ist nichts romantisch, sondern es geht um weibliche, selbstbestimmte Sexualität und da kann schon einmal ein herber Tonfall herrschen. Auch Frauen können Pornographie.

BillysViolence1Zur Sache geht es in „Billy’s Violence“, wo schon eingangs der Moderator auf das gewaltsame Alltagsleben zur Entstehungszeit der Tragödien hinweist. Damals wurde geschlagen, gemordet, vergewaltigt, und Lauwers fokussiert in seiner Bearbeitung auf männliche Gewalt an Frauen. So stellt etwa Grace Ellen Barkey in einer Szene Lavinia aus „Titus Andronicus“ dar , dem wahrscheinlich brutalsten Werk Shakespeares. Sie wird zweifach vergewaltigt und verstümmelt, wenn ihr die Zunge heraus gerissen wird. Dies spielen die Akteur:innen eindringlich und dennoch keineswegs realistisch.BillysViolence2

Auch Portia aus „Julius Caesar“ und Imogene aus „Cymbeline“ werden szenisch hervorgehoben in ihrem Leid. Ebenso Cordelia aus „King Lear“ und Ophelia aus „Hamlet“, und manchmal geht es auch gewaltsam komisch zu. Die Klammer bildet die Musik von Maarten Seghers, und am Ende verlässt man das Akademietheater in eigenartig unangenehmer Stimmung. Denn das vermag die Needcompany auf großartige Weise: eine besondere Atmosphäre zu evozieren, durch besten komödiantischen Spielstil, indem nicht naturalistische Szenen reproduziert werden, sondern für das Publikum Welten durch das ganzkörperliche Spiel der Akteur:innen imaginiert werden können.

 

Cie. Marie Chouinard tanzt „M“

Chouinard1Und nun zu etwas ganz anderem, könnte man sagen, wenn es um die Cie. Marie Chouinard geht, die mit „M“ gastierte. Auch die Meisterin lebensfroher Tanzkosmen kann Stimmungen manipulieren, im besten Sinn. Und in der Regel verlässt man nach ihren Arbeiten das Theater entzückt  und frohen Mutes und dankbar für den ästhetischen Hochgenuss, den ihre Compagnie bereitet hat. In „M“ harren elf Tänzer:innen mit nacktem Oberkörper, neon-bunten Fitnesshosen und roten und violetten Perücken mit Bob-Cut auf das Ende des Regens, der allerdings nur akustisch bemerkbar ist. Anders als bei Meg Stuarts „Blessed“ zerstört das Wasser nicht, sondern belebt genauso wie die Atemluft. Und so kommt dem Ein- und Ausatmen ein essentieller Part in dieser Choreografie zu, wenn die Tänzer:innen lautstark in Mikrofone röcheln, flüstern, stöhnen.Chouinard2

Das gibt den Rhythmus vor und wird auch mittels Loops verzerrt und wiederholt. Zum Sound (Louis Dufort) gesellen sich auch Vogelgezwitscher und individuelle Laute, die gesampelt werden. Die Gruppe versucht sich in Bewegungsphrasen, zeitweise synchron und manchmal schert jemand aus. Da wird dann in der Gruppe tänzerisch verhandelt, disputiert, die Schritte werden variiert, und manchmal meint man altägyptische Tänzer:innen aus Pharaonenzeiten vor sich zu sehen, nur ein wenig poppiger gestylt. All diese Abläufe werden äußert präzise getanzt und ergeben eine bewegte Architektur, untermalt von maximal farbenfrohen Lichtwechseln in rot, blau, grün, gelb. Nach einer knappen Stunde erlaubt sich die humorvolle Marie Chouinard noch einen kleinen Schabernack mit dem Publkium, wenn das Licht zweimal ausgeht und viele fälschlich zum Schlußapplaus animiert. Doch dann ist es wirklich aus und wie nach vielen Stücken der kanadischen Choreographin bleibt diese sinnliche Lebensfreude als bestimmendes Gefühl zurück, was kaum jemand so zuwege bringt wie eben Marie Chouinard.

Marie Chouinard: “M” am 12. Juli im Volkstheater, Needcompany: "Bill's Joy!” am 13. Juli und "Billy's Violence" am 14. Juli im Akademietheater im Rahmen von Impulstanz

Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.