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WerkstattVielerorts sind performative Angebote erlebbar; das jeweils aktuell gegebene Potential innerhalb weniger Tage anhand einer durchdachten Auswahl auf Qualität und Effektivität überprüfen zu können, ist hingegen keine Selbstverständlichkeit und in dieser lebensnahen, interaktiven Form, wie sie alle zwei Jahre bei der Werkstatt in Oberzeiring über die Bühnen läuft, wahrscheinlich sogar eine mit Einmaligkeitsmerkmalen.

In den beinahe 20 vergangenen Jahren wurden bei diesem Festival der Uraufführungen 78 Premieren gezeigt; in diesem Jahr standen zehn Erstaufführungen an unterschiedlichen wie ungewöhnlichen Orten im Pölstal auf dem Programm. Ergänzt einerseits durch einen nostalgisch-poetischen Liederabend mit Songs überall zwischen Joan Baez und etwa Udo Jürgens; unaufgeregt einfühlsam vorgetragen und auf der Gitarre begleitet von Lorenz Kabas. Andererseits bereichert durch ein Werksatt-Special, das täglich nachmittags nicht nur das Erleben von Probenarbeit des TRT – Le Théâtre de Rêves Têtus/Metz anbot, sondern auch in Form einer kleinen, angeleiteten Gruppenaktion spielerische „Mitarbeit“ zum behandelten Thema ‚Arbeit‘ erfahren ließ. Schließlich regte wie jedes Jahr eine tägliche Feed-Back- und Diskussionsrunde mit den KünstlerInnen zu den Premieren des Vortages zur vertieften Auseinandersetzung mit dem Gesehenen an. 

Kompromisslos hineingestoßen in eine zeitimmanente Theaterwelt wurde das Publikum bereits am ersten Abend vonDie andere Welt Bühne Berlin in ihrem Stück Ping Pong Stereophonie – Bomben auf sanfte Wiesen“. Hochintellektuell im spartenübergreifenden, vernetzten Zusammenspiel von realer Bühnenaktion und projizierter Medienwelt. Ausgesetzt einer permanenten Überforderung der Zuseher durch und bei ihrem Versuch der Auswahl oder gar des Aufnehmens der niederprasselnden Informationen und Eindrücke, fühlte dieser im Grunde nichts anderes als die künstlerisch aufbereitete gegenwärtige Alltagswelt; informativ kritisch-kreativ angereichert zu Aspekten der Vernetzung von Kommunikation im weitesten Sinne und Machtausübung. Genial. 

Mit emotionalem Charme, tiefgründig feinfühlig und mittels (auch persönlich) enttabuisierter Offenheit reden, spielen, tanzen, singen und musizieren Fleischlin, Hellenkemper & Kompliz:innen (Basel) hochprofessionell durch die Untiefen verdrängter, überdeckter, verschwiegener Sehnsüchte und Wünsche – peinlich genau jedwede Peinlichkeit bei aller, auch dargestellter Direktheit aus dem weiten Feld der Sexualität vermeidend, vielmehr mit Humor und Sinnesfreude verbrämend. Es ist lustvolle, durchaus befreiende „Aufdecker“-Kunst, die „das sex stück“ im intim geschlossenen Raum des tiefroten Zirkuszeltes zum Besten gibt – (fast) alle gängigen Erwartungen zum Thema enttäuschend. 

Fein ziseliert sind sie ebenso wie unbarmherzig scharf: Die „Wortskulpturen“ die Peta Klotzberg und Peter Matthias Lang in den weiten Kirchenraum der Oberzeiringer Pfarrkirche stellen. Das Voluminöse eines derartigen Raumes ist der Text-Autorin Mona May für diese szenische Lesung, eine literarische Reise durch das menschliche Sein‘, ein Anliegen gewesen; zu diesem, zu den Texten stimmigen Empfinden pompöser, verdeckender Pracht mag sich überdies eine als abgrenzende, einengende Raumwirkung bei so manchem Hörer dazugesellt haben - im beeindruckenden Kontrast zur oftmals schmerzhaften Kraft der Unverblümtheit von Mona Mays Worten, die freilich bar jeder Derbheit sind. Und überall dort, wo schöne Gedanken zum (doch auch) geschilderten Guten in der Welt einer/ ihrer überbordenden Emotionalität ein wenig viel an Raum gewähren, wussten die beiden kongenialen Interpreten durch distanzierte Widergabe glaubhafte Grenzen zu ziehen.

Dass eine Tragikomödie nach Reinhard P. Grubers „Aus dem Leben Hödlmosers“ wie die Faust aufs Auge in eines der regionalen Wirtshäuser passt, verwundert nicht. Dass die Bearbeitung Bernd Watzkas, „Hödlmoser. Aufstieg und Fall des letzten Ursteirers“ derart griffig witzig wie feinfühlig aktualisierend ins Volle greifen würde, war in der gegebenen Qualität dennoch nicht unbedingt zu erwarten – bei dieser Besetzung freilich dann aber „auf’glegt“: Jimi Lend, Jula Zangger und Tobias Kerschbaumer. Sie beweisen mit mitreißender, ja bezaubernder, teils kommentierend erzählender Spielfreude, dass Grobschlächtigkeit nicht unbedingt das Gegenteil von Ungeschliffenheit oder Geistlosigkeit sein muss. 

Das Grazer Planetenparty Prinzip war schon immer wieder für eine Überraschung gut. 
Ihr Totentanz am Hochgericht im Birkachwald (Unterzeiring) „Am Galgen“ lässt zweifellos die eine oder andere ‚weiche Leich‘ sich dankbar im Grab umdrehen. Selbst wenn, wie im Ankündigungstext nachzulesen, die Bezüge zu gegenwärtiger medialer Sensationslust und Cancel cultur nicht so kritisch wie erhofft über die Bühne kommen: Die tradierte Lust am Leid anderer, die Kraft des Ausbruchs unterdrückter Gefühle unter dem Deckmantel der Gemeinschaft, die Freude am lustvoll-mitleidigen Gaffen: All dies wird in wunderbar bildhafter Weise, in choreografisch grandios aufbereiteten, totentänzerischen Bewegungs-Sequenzen abgehandelt; und an die ach so empathischen Zuschauerherzen - selbstverständlich nur von anno dazumal – gelegt; zu provokant emotionsbefreiten, akribisch detaillierten Texten zur mehr oder weniger schönen Leich und/oder ihrer „Entstehungsgeschichte“. Als einer von vielen Höhepunkten, zu denen noch weitere wie „Lila und Fred“ vom Theater Waltzwerk, Ferlach oder „Joe Mc Vie – alias Josef Thierschädl“ von Theater Quadrat, Graz (auf) zu zählen wären. 

WERKSTATT – Das Festival der Uraufführungen in Oberzeiring; 20. bis 25.September 2022 www.theaterland.at