Schwer bewaffnet präsentierte sich das Bayerische Staatsballett gerade noch im Historiendrama „Spartacus“. Hinter den Kulissen brodeln unterdessen längst die Vorbereitungen zur Eröffnung der BallettFestwoche mit Christopher Wheeldons phantasievollem Traumabenteuer „Alice im Wunderland“ (3. April). Ein guter Zeitpunkt, um jene beschaulich-lustige Ballettgeschichte dazwischenzuschieben, die ihre Uraufführung 1789 – zu Beginn der Französischen Revolution – erlebte: „La Fille mal gardée“.
Das Besondere an Jean Daubervals bis heute überlieferter Ballettpantomime war, dass sie ganz ohne Götter, Helden, Heroen oder Adlige auskam. Ins Zentrum der Handlung rückte schlicht der Alltag gewöhnlicher Menschen. Daubervals inhaltliche Innovation hatte nachhaltigen Erfolg. Wer in Europa als Ballettmeister etwas auf sich hielt, choreografierte seine im ländlichen Milieu angesiedelte Story nach. 1960 nahm sich dann Frederick Ashton in London der getanzten Komödie um Lisas Liebe zu dem hübschen Landwirt Colas an – gemeinsam mit dem Cartoonisten Osbert Lancaster (Ausstattung) sowie John Lanchbery, der Ferdinand Hérolds Pariser Komposition von 1828 frei bearbeitete. Seine witzige und pfiffige Choreografie wurde 1971 auch vom Ballett der Bayerischen Staatsoper übernommen. Nun ist dem Bayerischen Staatsballett unter der Leitung von Igor Zelensky im Nationaltheater nicht nur eine prickelnd-schöne Wiederaufnahme des 57 Jahre alten, pittoresken Zweiakters gelungen. Das Ensemble hat in seiner sechsten Spielzeitproduktion damit – prächtig englisch, pastellig hell und humorvoll bunt – zugleich seine Feuertaufe im komödiantischen Fach bestanden.
Im Hof der Witwe Simone reckt und streckt sich Federvieh. Hölzer und Ratschen klappern im Orchester. Den ersten Tanz bestreiten vier scharrende Hühner und ihr zackig vorneweg stolzierender Hahn (voll befiedert: James Lyttle). Dann tummeln sich fesche Burschen und Mädchen im Gutshausidyll. Sie feilschen mit der Landwirtin um Lohn und ziehen mit Sicheln raus auf die kornreifen Felder. Nur die eigene Tochter muss daheim bleiben. Doch ordentlich Kehren oder kräftig Butterstampfen hat das übermütige Mädchen nicht im Sinn. Lieber vergnügt es sich auf Spitzen balancierend mit einem Band – ganz im Stil von Antonio Canovas grazilen Prototyp-Ballerinen des 18. Jahrhunderts, die ihre seidig-leichten Schals zu runden Bögen über den Köpfen schwingen.
Maria Shirinkina gibt sich in ihrer Debüt-Partie als Lisa aufmüpfig frech. Strafende Schläge der über sie bestimmenden Mutter steckt sie achselzuckend weg. Oder treibt der Ablenkung halber ihre Späße mit dem Ex-Kompanie-Mitglied Vittorio Alberton, der eigens für die handlungstragende Travestierolle der Witwe Simone und deren berühmten Holzschuhtanz ans Staatsballett zurückkehrte. Langeweile gibt’s keine – außer die von Shirinkina bezaubernd gespielte.
Colas, von Vladimir Shklyarov überaus charmant, elegant und formvollendet interpretiert, ist der Grund, warum Mutter und Tochter sich oft jagen und fetzen. Ihm gehört Lisas Herz. Beide verbindet der sorglose Drang, sich immer wieder davonzustehlen – für ein Tête à Tête oder einen der dekorativ ausgefinkelten Halstuch- bzw. Bänder-Pas de deux, bei dem sie unter anderem abwechselnd voreinander eingespannt umher traben. Man braucht kein Programm, um Ashtons Metaphorik des Sich-Verbandelns zu verstehen, die unausweichlich auf ein Happy End zusteuert.
Was aber wäre eine Komödie ohne Komplikation. Und die bringt Ashton zur Erheiterung von Groß und Klein mit seiner Figur des unbeholfenen Alain ins Spiel. Aufgemotzt zum sympathischen Dorftrottel begeistert Gianmarco Romano mit seinen formidabel tollpatschigen Übertreibungen von Unperfektion. Sein vom reichen Vater (Peter Jolesch) gepuschtes Werben um Lisa hat keinerlei Chance. Dennoch findet auch er am Ende sein persönliches Glück in Form seines roten Schirms wieder. Welch' tröstliches Entzücken.
Byerisches Staatsballett: „La fille mal gardée“, Wiederaufnahme am 24. Jänner 2017 im Nationaltheater München. Nächste Vorstellungen: 28. Jänner (Elizaveta Kruteleva/Alexander Omelchenko), 3. Bruar (Ksenia Ryzhkova/Jonah Cook), 4., 7. Februar, 11. April 2017.