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goeckeVier zeitgenössische Choreografen bestimmen das aktuelle Galaprogramm der Staatlichen Ballettschule Berlin: Nacho Duato, Chef des Staatsballetts Berlin, Marco Goecke, das derzeit gefragteste deutsche Nachwuchstalent, Jiri Kylián, Altmeister des europäischen Modern Dance und Gregor Seyffert, Künstlerischer Leiter der Ballettschule. Die Elevinnen und Eleven überzeugten im zeitgenössischen Tanz ebenso wie tags darauf im traditionellen „Nussknacker“ des Staatsballetts Berlin.

Ja, sie sind jung und ja, natürlich, wollen sie ihre Virtuosität zeigen. Doch darauf scheint in dieser Ballettschule offensichtlich nicht das Hauptaugenmerk zu liegen. Zumindest in dem Programm „The Contemporaries. Im Hier und Jetzt“ geht es um Anderes. Jeder der vertretenen Choreografien fordert eine unterschiedliche Haltung von den Tänzern: Duatos „Concierto Madrigal“ baut auf einem musikalischen Fluss der Bewegung auf, Kyliáns Bewegungswitz in seinem humoristischen Mozart-Ballett „Sechs Tänze“ erfordert Verständnis für das richtige Maß an Mimik und exaktes Timing. kylianMarco Goecke hat sein „All Long dem Day“ zu Nina Simones „Sinnerman“ speziell für die Berliner Ballettschüler kreiert und offenbart mit seiner abgehackten, nervösen bis hin zu verkrampften Gestik in „All Long Dem Day“ menschliche Abgründe. All das verkörperte der Berliner Nachwuchs mit erstaunlicher Ausdrucksreife und bestens geprobter Ausführung. (Einziger Wermutstropfen an diesem Abend war der übersteuerte Ton aus den Lautsprechern bei Duatos und Goeckes Stücken.)

seyffertWaren diese drei Stücke den höheren Klassen vorbehalten, so durften zum Abschluss alle Studierenden der neun Jahrgänge auf die Bühne, in „Die Zukunft beginnt jetzt“, eine Hommage an den klassisch-akademischen Tanz. Gregor Seyffert strukturierte die Ballettexercices zu Ravels Crescendo des „Bolero“ in einer aufwühlenden Show der Tanzleidenschaft (durchaus in Anlehnung an Landers „Études“). Ja, hier wird auch die Virtuosität gefeiert, jedoch mit Stil und Verständnis für eine heutige Ballettästhetik.

Bei dieser Wiederaufnahme des Jahresabschlussprogramms (Premiere im Juli 2016) wurde in der Pause erstmals der Alexander von Swaine Preis von der Stiftung „Pro Humanitate et Arte“ vergeben. Ziel des Preises sei es „außerordentliche Leistungen im Bühnentanz, insbesondere bei der Aneignung tänzerischer Virtuosität und Kreativität bei einem jungen, am Anfang seiner Bühnenkarriere stehenden Tanzkünstler auszuzeichnen und in der Öffentlichkeit bekannt zu machen.“ In Gregor Glocke, Student im Abschlussjahrgang der Staatlichen Ballettschule Berlin, fand die Jury einen hervorragenden Preisträger, der bereits jetzt durch seine Eleganz und Ausdrucksstärke besticht.  

In Berlin haben die Schule und das Staatsballett jeweils eigene Leitungsteams. (In Wien hingegen unterstehen beide Einrichtungen dem Ballettdirektor). Wahrscheinlich ist die Besetzung der Staatsballett-Spitze mit Nacho Duato ein Auslöser für das aktuelle Programm, doch (abgesehen von seinem choreografischen Beitrag) hat der Intendant keinen Einfluss auf die Staatliche Ballettschule. Sie wird von Ralf Stabel und Gregor Seyffert geleitet und bietet den Eleven neben der Tanzausbildung auch eine Schul- und Universitätsbildung bis zu einem B.A.-Abschluss. Die Gewaltentrennung garantiert Kontinuität in der Ausbildung unabhängig von der Ausrichtung des Compagnie. In diesem Sinne knüpft die Berliner Ballettschule mit ihrem Erscheinungsbild, das ich an den zwei aufeinander folgenden Abenden verfolgen konnte, an ihre lange Tradition und ihre Glanzzeiten (etwa unter der Leitung von Professor Martin Puttke von 1979 bis 1995) an und beschreitet gleichzeitig neue Tanzterrains.

Nussknacker beim Staatsballett Berlin

NussknackerAm darauf folgenden Abend hieß es für die Eleven: „Nussknacker“-Zeit mit dem Staatsballett Berlin und dem Orchester der Deutschen Oper Berlin (unter der inspirierten Leitung von Robert Reimer). In ihrer Version haben sich Vasily Medvedev und Yuri Burlaka an die St. Petersburger Fassung aus dem Jahr 1892 orientiert. Nicht nur beim Libretto und der Choreografie folgten sie der Ballett-Feerie von Marius Petipa und Lew Iwanow, auch das Bühnenbild (Andrej Voytenko) und die Kostüme (Tatiana Noginova) entstanden nach historischen Vorlagen. Das Ergebnis ist ein bezauberndes, farbenprächtiges, glitzerndes und kindgerechtes Wintermärchen. Drosselmayer ist hier ein Illusionist: bei seinen Tricks lässt er die Funken sprühen, unter dem Schutz seines Mantels geht gar Wunderliches vor. So verwandeln sich das Kind Clara und ihr Nussknacker (die Eleven der Ballettschule Frieda Kaden und José David Meggiboschi) auf der Bühne in eine heranwachsende Frau und Prinz Coqueluche (getanzt von den Ersten Solisten des Staatsballetts Iana Salenko und Dinu Tamazlacaru).

In dieser Version stehen die "Tanzkinder" im Mittelpunkt: 60 Schülerinnen und Schüler der Ballettschule wirken mit, sind Clara, Fritz und der Nussknacker, Kinder, Spielzeuge, Puppen, Zinnsoldaten, Engel, Feen, Edelknaben und dürfen auch in einigen Divertissements mittanzen. In allen Rollen begeisterte der Nachwuchs durch Präzision ebenso wie durch seinen ungebremsten Enthusiasmus.  

Staatliche Ballettschule Berlin: „The Contemporaries. Im Hier und Jetzt“. Wiederaufnahme am 15. Dezember 2015 im Schiller Theater. Weitere Vorstellungen: 9., 11. Jänner
Staatsballett Berlin: „Der Nusskacker“ am 16. Dezember in der Deutschen Oper Berlin. Weitere Vorstellungen: 25., 30. Dezember, 1. Jänner 2016