Elio Gervasi, der nicht nur als Tänzer und Choreograf seinem Ruf gerecht wird, sondern auch als Pädagoge (etwa bei ImPulsTanz oder in der Konservatorium Wien Privatuniversität), hat sich nun auch zur Förderung junger KünstlerInnen entschlossen. Für drei Produktionen junger Tänzerinnen und Choreografinnen stellt er in diesem Herbst sein Studio in der Laxenburger Straße zur Verfügung.
Mit dem ihm eigenen Humor nennt Gervasi den Proben- und Aufführungsraum „raum 33“, obwohl die Adresse Laxenburger Straße 32 ist. Den Raum, in dem er auch schon mit einer eigenen Compagnie aufgetreten ist, nennt er „Spazio di ricerca / Suchraum“ und wählte Anna Knapp (Choreografie) und Steffi Wieser (Tanz); Leonie Wahl mit ihrem Team und das Trio Waltraud Brauner, Christina Huber, Stefanie Sternig (Choreografie und Tanz) für die Herbstserie als „Protektionskinder“ aus.
Knapp / Wieser zeigten das weiter entwickelte Solo Wiesers, dessen Uraufführung im Frühjahr 2012 im Rahmen von „Österreich tanzt“ in St. Pölten gezeigt worden ist. „You are your history – and – You are now“ ist eine anstrengendes Solo, in dem Wieser mit vollem Körpereinsatz von ihrer klassischen Ausbildung als Balletttänzerin erzählt und davon, wie sich der Körper verändert, wenn die Stange links liegen gelassen wird. Schön sagt sie: „Das Ballett ist Geschichte. Der Körper ist Geschichten.“ Ihre Bühnenpräsenz und die geballte Energie kamen im intimen Rahmen des Studios besonders eindrucksvoll zur Geltung. Der Tänzerin wurde der ungebremste Tanz allerdings zum Verhängnis. Die letzte Vorstellung musste gesungen anstatt getanzt werden. Eine Verletzung erlaubte nur noch den Stimmbändern heftige Bewegungen.
Leonie Wahl hat ihr Solo genau und präzise erarbeitet und bietet eine heitere Erzählung, in der sie ein geklontes Wesen spielt und tanzt, das knapp vor der nächsten Jahrtausendwende nackt und bloß auf der Erde aufwacht und sich mitten in einer Müllhalde beindet. Aber der Mist der vergangenen 150 Jahre ist noch zu gebrauchen, recycelbar zumindest als Erinnerung. Schwarze Müllsäcke eignen sich als Bekleidung, werden zum Zauberstab und zur neckisch geschlungenem Stola im Rotlichtmilieu. Manche Reste, wie ungezählte unverrottbare Plastikflaschen machen den überaus weiblichen Klon wütend, andere, wie Autoreifen, reizen ihn zum Spielen und Turnen. Auch Wahl schont sich keineswegs, zeigt jedoch mit vielen Einfällen, bunten Verssatzstücken und Requisiten samt einer dezenten Musik- / Geräuschuntermalung (anfangs summen tausend Fliegen auf dem Misthaufen, der Wind bläst den Gestank bald weg) in angenehmer Stimmung eine perfekte und auch unterhaltsame Tanzshow. Das Bühnenbild mit einer bunt glitzernden opaken Wand an der Seite und das verwandelbare schwarze Plastikkostüm stammen von Ricardo Cosendy; für die Musik und das Lichtdesign ist Markus Schwarz verantwortlich. Natürlich steht der Müllberg im Solo „within waste“ auch als Metapher für Erinnerungen und Bewegungen des Körpers. Weggeworfen hat sie Leonie Wahl nicht.
Den Schlusspunkt der Serie im Spazio di ricerca setzt das Ensemble Kunststoff (Waltraud Brauner, Christina Huber, Stefanie Sternig und Peter Plos, Adrian Popovic) mit Teil B ihres Work in Progress „Krawalle und Hiebe“. Der erste Teil der choreografischen Recherchearbeit ist im Juni des heurigen Jahres in den Studios des Tanzquartiers gezeigt worden. Die Tänzerinnen / Choreografinnen untersuchen Strategien und Perspektiven des Widerstands in der Protestkultur. Das Ensemble (die Tänzerinnen sind Absolventinnen des Kons. – Privatuniversität Wien) sieht seine Werkstücke als Versuchsreihe, in der die Zuschauerinnen die Bilder wiedererkennen und unterschiedliche Assoziationen dazu entwickeln. Teil B wird sich mit dem Einsatz der neuen Kommunikationsmittel, die vor allem vom Internet getragen werden, und deren Auswirkung auf die Strategien vor und hinter den Kulissen von Protestbewegungen befassen. Heftige Bewegungen sind aber auch hier sicher.
Elio Gervasi ist nach zwei Aufführungsserien (jeweils drei Abende) sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Er stellt den Raum zum Probieren und Auftreten zur Verfügung, bereitet eine Premierenfeier vor, mischt sich aber nicht in die Arbeit der Künstlerinnen ein. Auch er sieht die Stücke bei der Premiere oder Uraufführung (Wahl) zum ersten Mal.
Seinem Vorhaben, die private Fördertätigkeit auch im nächsten fortzusetzen, muss Glück und Erfolg gewünscht werden.
Gesehen: Anna Knapp, Steffi Wieser: „You are your history“ am 18. Oktober 2012
Leoni Wahl: „within waste“ am 1. November 2012
Steht bevor: Ensemble Kunststoff: „Krawalle und Hiebe“ Teil B, 8., 9. und . November 2012
Alle im Spazio di ricerca, Raum 33, Laxenburger Straße 32, 1010 Wien.