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zagreb

"Ich glaube an die Kraft des Tanzes", erklärt Mirna Žagar erschöpft, aber mit funkelnden Augen. Soeben brachte sie das "29. Dance Week Festival" in Zagreb bravourös über die Bühne. Seit 1983 programmiert die ehemalige Tänzerin das zweiwöchige Frühlingstreffen kroatischer Tanzschaffender mit internationalen Newcomern und Arrivierten.

Dieses Jahr zeigte Mirna Žagar Arbeiten der kanadischen Top-Choreographin Marie Chouinard und ihres britischen Kollegen Russell Maliphant. "Ein bis zwei Zugpferde sind optimal. Schließlich wollen wir auch Menschen erreichen, die sonst zeitgenössischen Tanz meiden." Ästhetisch sperrigere Formate laufen in den drei Studios des 2009 eröffneten "Zagreb Dance Center", das Mirna Žagar ebenfalls leitet. Ohne ihr Geschick fürs Vernetzen wäre das "Dance Week Festival" nicht zu stemmen. Jedes Jahr kooperiert sie eng mit einem anderen Land. Diesmal machte Österreich das Rennen und war mit fünf von siebzehn Produktionen vertreten, darunter Milli Bitterlis "walk + talk".

Stets folgt Žagar's Programmierung neben ästhetischen Verzweigungen auch gesellschaftlichen Rissen. Bewegt erzählt sie vom Gastspiel der renommierten, britischen "Candoco Dance Company" aus Behinderten und Nicht-Behinderten im Jahr 1993. "Candoco's Ensemble rüttelte an einem Tabu. Es war, als würde Kroatien seine vielen Kriegsinvaliden aus dem Jugoslawienkrieg verstecken. Welche Bedingungen benötigen sie, um am öffentlichen Leben teilzunehmen? Solche Fragen wurden plötzlich gestellt."

Heuer schüttelte die kroatische Dance-Community mit den sieben vertretenen Produktionen mehr als aufzurütteln. Möglicherweise als ein Resultat der vielen europäischen Netzwerke kreist der Nachwuchs länderübergreifend um Themen wie etwa Fiktion, Medialität oder Authentizität. Infolge der unterschiedlichen Zugänge entsteht dennoch durchaus Reizvolles. So verschwimmt in "Pauses" von Sandra Banic Naumovski, Ana Kreitmeyer und Zrinka Užbinec die Grenze der Bühne. Statt der Tänzerinnen sieht das Publikum sich selbst auf eine Leinwand projiziert, während die Frauen behände von hinten nach vorne über das Publikum klettern. Im koketten Solo "Love Will Tear Us Apart" vertanzt Petra Hrašcanec virtuos berühmte Popsongs und erzählt dazwischen augenzwinkernd über die Stückentwicklung, wobei undurchsichtig bleibt, wie viel davon geschummelt ist.

Mit "Semi-Interpretations" machte schließlich das angesagte, kroatische Kollektiv BADco seinem Ruf als Brutstätte der Tanzphilosophie alle Ehre. Nikolina Pristaš erkundet in "Semi-Interpretations" das Wesen des zeitgenössischen Tanzes ausgehend von der Gestenlehre des französischen Bewegungspädagogen Françoise Delsarte. Auf einer rabenschwarzen, post-apokalyptischen Bühne, inmitten einem Konglomerat aus Scheinwerferstativen und Kabelsalat erklärt sie ihre Forschungen einem schwarzen Stoffhasen à la Joseph Beuys. Was chaotisch klingt, war in der Tat verwirrend. Erst im Lichte von Beuys Forderung, wonach das Publikum in ein Werk eintauchen, es erfahren und nicht intellektuell ergründen soll, ließ diese Performance als hochkomplexes Statement zum Akt des Kunstgenusses interpretieren. Man darf also auch zukünftig mit bahnbrechenden, tänzerischen Beiträgen aus Südosteuropa rechnen.

29. Dance Week Zagreb, 21. Mai bis 2. Juni 2012

Dieser Artikel ist ein Originaltext der Kleinen Zeitung vom 4. Juni 2012