Träumen ist ansteckend. Wenn man die Messehalle betritt und auf dem Weg ins Auditorium hinter Gazevorhängen in den Garderoben drei Dutzend SchauspielerInnen beim Schminken beobachten kann, beginnt der Zauber bereits zu wirken. „Théâtre du Soleil“, das Kollektiv um Ariane Mnouchkine macht sich auf zum „Schiffbruch mit verrückter Hoffnung (Morgenröte)“.
Scheitern mit Vision, das steckt bereits im Titel dieser Produktion, in der ein großer räumlicher, zeitlicher und inhaltlicher Bogen gespannt wird. Schauplatz dafür ist ein vorerst leerer Dachboden, an dessen Decke Zugseile gespannt sind. Wie viele Bilder diesen leeren Raum an diesem Abend beleben werden, ahnen diejenige, die bei den Festwochen 2008 schon „Les Èphémères“ in der Rinderhalle von St. Marx sehen konnten.
Aus einem unvollendeten Roman von Jules Verne aus dem Jahr 1897 „Les naufragés de Jonathan (Die Schiffbrüchigen der Jonathan)“ oder „En magellanie (In der Magellan-Straße)“ hat die Schriftstellerin und Autorin des Théâtre du Soleil, Hélène Cixous, einen Text verfasst, der als Grundlage für die Gemeinschaftsarbeit des Kollektivs dient. Zehn Monate wurde geprobt und improvisiert, bis 2010 die Uraufführung in Paris stattfand, in die dann ein Teil des bei den Proben erarbeiteten Materials einfließen konnte.
Die Geschichte erzählt das Making-of eines Stummfilmes, kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges, unter der Regie von Jean LaPalette. Kronprinz Rudolf, Queen Victoria und europäische Auswanderer, die eine sozialistische Kommune auf Feuerland gründen, kommen darin vor – das Projekt „die verrückte Hoffnung“ zerbricht durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges.
Mit einfachsten Mitteln, ganz der analogen Technik verschrieben, mit Seilzügen, menschlichen, auf dem Rücken rutschenden Kamera-Dollys, detailverliebt und charmant verspielt scheint die Gruppe auch etwas über sich selbst und ihre Arbeit zu erzählen. Es gibt keine großen und kleinen Rollen, jede Figur hat ihre Wichtigkeit und jeder kann prinzipiell für alle Rollen eingesetzt werden. Die Akteure sind nicht nur Spieler, sondern auch Mitentwickler, die beiden Regisseure (der Filmregisseur im Stück und Ariane Mnouchkine selbst) machen Zugeständnisse an die Darsteller. Und – die Schauspieler legen selbst Hand an bei den Umbauten und spielen auch einmal eine Schneeflocke, oder eine Welle, die sich am Bug des Schiffs bricht.
Lebendig machen – ganz ohne technische Hilfsmittel – die DarstellerInnen das Rucken und Zucken der Technik der Stummfilm-Projektion, die ja noch in den Kinderschuhen steckte. Die etwas zu breit ausgewalzte sozialistische Utopie verzeiht man gerne, der letzte Teil weist allerdings durchaus Kürzungspotenzial auf. Großartig die Live- Musik von Jean-Jacques Lemêtre.
Wie stark Illusionen und Visionen auch dann wirken können, wenn sie vor aller Augen konstruiert werden, kann man noch bis 28. Mai erleben.
Théâtre du Soleil/Ariane Mnouchkine: Les Naufragés du Fol Espoir (Aurores)/Schiffbruch mit verrückter Hoffnung (Morgenröte), Premiere im deutschsprachigen Raum am 20. Mai 2012, Gesehen am 24. Mai 2012, Messe Wien, Halle A
Weitere Vorstellungen 27. und 28. Mai, 19 Uhr,