Am 10. November 2018 tanzt das Wiener Staatsballett erstmals die von Manuel Legris erstellte Fassung des 1876 an der Pariser Oper uraufgeführten Léo-Delibes-Balletts „Sylvia, oder Die Nymphe der Diana“. Seine der französischen Aufführungstradition verpflichtete Edition gewinnt durch die Aufwertung der Rolle der Diana zusätzlichen Reiz. Im Folgenden sei auf die Trägerin der Titelrolle der schon 1877 an der Hofoper stattgefundenen Wiener Erstaufführung von „Sylvia“ – Bertha Linda – eingegangen.
Die Wienerin Bertha Linda verkörperte exemplarisch gleich mehrere Aspekte einer Tänzerinnenkarriere der Zeit: die Art der Ausbildung, die professionelle Mobilität und Vernetzung, den Darstellerinnentyp, den gesellschaftlichen Aufstieg sowie die Rezeption dieses Aufstiegs durch Gesellschaft und Medien. Um Wichtiges gleich vorwegzunehmen: Sowohl über der Karriere wie dem gesellschaftlichen Agieren dieser Tänzerin liegen Rezeptionsschichten, die schwer zu durchdringen sind. Schon die Gegend ihrer Herkunft, der Spittelberg, ein verrufener Ort, der 1850, im Jahr der Geburt Lindas, ins Wiener Stadtgebiet eingemeindet worden war, bildet die erste Schicht von Vorurteilen. Die zweite liegt in Form ihrer Ehe mit dem in diesen Jahrzehnten in Wien souverän regierenden „Malerfürsten“ Hans Makart über ihrer Tänzerkarriere. Weitere Schichten abgelegter Meinungen, die sowohl die Tänzerin selbst wie das Bühnentanzgeschehen der Zeit vollkommen überdecken, machen eine seriöse Einschätzung des auf der Tanzbühne Gezeigten fast unmöglich.
Geschuldet ist dies zum einen dem Faktum, dass eine Ballerina zu dieser Zeit als „allgemein verfügbar“ galt, ihr Tun also vielfach interpretierbar war, zum anderen aber auf der um die Mitte des Jahrhunderts sich gebildeten neuen Ästhetik der darstellenden Künste, die den Bühnentanz – auch den in der Hofoper – aus dem Kanon der Künste ausklammern und endgültig in den Bereich des leichten Unterhaltungstheaters verweisen sollte. Damit war, der Ansicht der Zeit nach, kein Grund mehr gegeben, sich mit der Kunstgattung Bühnentanz seriös auseinanderzusetzen. Waren Tanzproduktionen noch einige Jahre davor in Wiener Zeitungen ebenso eingehend wie kompetent und detailreich beschrieben worden, wurden sie nun in den Rezensionen in das Reich einer beiläufigen, zuweilen spöttisch-überheblichen Plauderei geschoben, aus der außer Eckdaten und dem festgehaltenen Geschmack der Zeit heute fachlich nichts zu entnehmen ist. Berichtete man, wortreich und brillant formuliert, über eine Ballettpremiere in der Hofoper, so schrieb man über Frauenschönheit, bediente sich dabei eines immer wiederholten Wortreservoirs schmückender Eigenschaften wie „Schönheit“, „Grazie“, Anmut“ oder „Harmonie“, sprach Technik oder Mittel, wenn überhaupt, stereotyp mit „Fußspitzentriller“ an. Kaum jemals ging man auf Fragen der Werkkonzeption des Balletts, seine Anlage, auf die Choreografie oder auf die angewandten Mittel ein, denn Fachspezifisches zu schreiben, lag in niemandes Interesse. Da es sich bei den männlichen Schreibern meist um Musikkritiker handelte, ließ man sich oft überaus geringschätzig über die erklungene Musik aus.
Diese Art der Berichterstattung, die von einer Warte der „hohen Kunst“ ausging, in deren Region, der Meinung der Zeit nach, Ballett nie imstande sei aufzusteigen, blieb bis in das 20. Jahrhundert hinein bestehen. Hinzugefügt sei, dass die heute gültigen Beurteilungen des Ballettgeschehens der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf ebendiesen aussagelosen Rezensionen bauen. Als Beispiel dafür sei die Besprechung der Wiener Premiere von „Sylvia, oder Die Nymphe der Diana“, so der vollständige Titel des Werks, in der „Neuen Freien Presse“ (27.10.1877) herangezogen. Exemplarisch wird hier – von dem berühmt-berüchtigten Musikschriftsteller Eduard Hanslick – das Gesehene in süffisant-arrogantem Ton wortreich abgehandelt. Hanslick beginnt mit einem langen Räsonieren über das Libretto, das „herzlich langweilig“ sei und nichts in sich berge, was „überraschen, rühren oder amüsieren“ könnte. Er schließt daraus: „Somit bleiben als bewegende Kräfte des Erfolges nur die Ausstattung und die Musik.“ Interessant dabei ist, dass bei den – nach Hanslick – möglichen Erfolgskomponenten eines Balletts Choreografie nicht existiert. Die Musik von Léo Delibes bespricht Hanslick des Längeren und meint schließlich, diese habe eine so große Qualität, dass der Komponist sich doch lieber der Oper zuwenden solle. Choreografie kommt als eigene Größe nicht zur Sprache, wohl aber Bertha Linda, die die Titelrolle verkörperte. Sie tanze, so Hanslick, mit „Bravour“ und „Grazie“ und führe „endlose Fußspitzen-Trillerketten“ aus. Die Herren – Kräfte wie Louis Frappart und Julius Price – zeichnen sich durch „große Geschicklichkeit“ aus, das Bacchusfest weise eine gewisse Steigerung auf. Die Aufführung sei durch die Anwesenheit von Delibes geadelt worden. Carl Telle, der „Sylvia“ auf die Bühne gestellt hatte, bleibt unerwähnt. Die Arbeit des langjährigen Ballettmeisters, der offenbar eigens Paris besucht hatte, um sich mit der dortigen Produktion auseinanderzusetzen, wäre dies wohl wert gewesen.
Von Tanzausbildung und täglicher Arbeit
Die Delibes-Ballette „Coppélia“ und „Sylvia“ gehörten neben Paul Taglionis „Sardanapal“ zu den ersten großen Werken, die im Haus am Ring herausgekommen waren. 1869 war es eröffnet worden und hatte neben vielem anderen auch eine Institutionalisierung jener tänzerischen Ausbildung mit sich gebracht, die man von einer nationalen Einrichtung einer Hofoper erwartete. An sich schon seit dem 18. Jahrhundert ans Opernhaus gebunden, brachte man nun auch die Tanzausbildung in geordnete Bahnen, entwickelte Pläne und Curricula. Linda war also noch nicht in den Genuss solch einer geregelten Ausbildung gekommen. Sie hatte aber in der außerhalb der Oper tätigen Katti Lanner (1829–1908) nicht nur eine überaus fähige Lehrerin, sondern auch eine Ballettmeisterin gefunden, deren Erfolg schließlich europäische Ausmaße annahm. Lanner, die Tochter des Komponisten Joseph Lanner, war Solistin des Ballettensembles am Kärntnertortheater gewesen, hatte dieses aber 1855 verlassen, um eine selbstständige Karriere zu beginnen. Sie gastierte in eigens einstudierten Balletten aus dem Repertoire der Zeit zunächst im Gebiet der Monarchie und in Deutschland, dazu auch im Theater an der Wien, wo sie unter anderem 1861 den I. Akt von „Giselle“ aufführte und auch selbst tanzte. Ob sie zu dieser Zeit bereits Schülerinnen annahm, um mit diesen dann die „Wiener Ballettgesellschaft“ zu gründen, ist ungewiss, aber wahrscheinlich. Dass zu ihren Schülerinnen aber auch Bertha Linda gehörte, ist gesichert. Linda, eine geborene Babitsch, lernte also – nach erstem Unterricht bei Eduard Carey – wie in dieser Zeit üblich „by doing“. Routine und Sicherheit kamen mit oftmaligem Auftreten. Lanners Ensemble, in das Linda 1864 als Vierzehnjährige aufgenommen wurde, tourte nicht nur in Europa, sondern gastierte auch in New York. Danach trennte sich Linda, die an der Ballettschule der Mailänder Scala zusätzlichen Unterricht genommen hatte, von Lanner. Diese hatte 1887–1905 den Ballettmeisterposten im Londoner Empire Theatre inne und wurde in dieser Funktion zu einer Londoner Institution. Schon 1876 hatte sie dort eine eigene Schule gegründet, die den Namen „National Training School of Dancing“ trug.
Linda rüstete sich mittlerweile zu einer eigenen Karriere. Nach einem einjährigen Engagement als Solotänzerin am Berliner Opernhaus Unter den Linden kam sie, empfohlen von Paul Taglioni, im Juni 1875 als Gastsolistin an die Wiener Hofoper. Taglioni ebnete durch diese Vermittlung einer Tänzerin seines Vertrauens den Weg nach Wien. Zweifellos musste es ihm ein Anliegen gewesen sein, dass die bestmögliche Interpretation seiner Werke, die den Spielplan des Hofopernballetts dominierten, gewährleistet ist. (Durch Gastauftritte blieb Linda aber weiterhin mit Berlin verbunden, so tanzte sie 1876 die Titelrolle in Taglionis „Madeleine“, ein Ballett über die als Tänzerin wie als Kurtisane berühmte Marie-Madeleine Guimard.) Werke von Taglioni waren es auch, in denen Linda ihren Einstand in Wien feierte. Drei Monate später erfolgte ihre Ernennung zur Ersten Tänzerin (Prima ballerina) mit der Verpflichtung zu zehnmaligem Auftreten im Monat. Linda nahm mit diesem Engagement die Stelle ein, die vor ihr gastweise die aus der Mailänder Schule stammende Rita Sangalli, die nachmalige Trägerin der Titelrolle in der Uraufführung von „Sylvia“ an der Pariser Oper, innehatte.
Der Status der „Ersten Tänzerin“
Das, was sowohl Lanner als auch private und nationale Ballettschulen anstrebten, war eine Ausbildung, die letztlich ein Engagement als Erste Tänzerin eines großen Opernhauses ermöglichte. Obwohl diese Stellung einem ungeschriebenen Gesetz in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach Italienerinnen vorbehalten blieb – demnach bezeichnete man diesen Rang auch als „Prima ballerina“ –, gab es, wie der Fall Linda dies beweist, auch immer wieder Ausnahmen. Die Anforderungen dieser Stellung waren mannigfach. Grundvoraussetzung war der wohlproportionierte Körper von etwa 1,60 m Größe. Schönheit und Technik sollten einander die Waage halten, die technischen Fertigkeiten waren auf die „Farbe“ der jeweiligen Persönlichkeit abgestimmt. Ihrem Charakter nach – dieser konnte durch lyrische, noble, elegante, dramatische, heroische, dekorative oder heitere Züge gekennzeichnet sein – spezialisierten sich die Tänzerinnen in ihrer Ausbildung auf jene Fertigkeiten, die diesen Zügen entsprachen. Es waren dies die Schrittfamilien der Balancen für das Nobel-Elegant-Dekorative und Dramatische, der Pirouetten für das Lebhaft-Heitere und die kleine Beinarbeit für das Sprühend-Lebendige. Ein Muss für jede Erste Tänzerin war es, Spitzentanz zu beherrschen, der mit Virtuosität ausgeführt werden sollte.
Die Zusammenarbeit zwischen der Ersten Tänzerin und dem Ballettmeister – sieht man einmal von Katti Lanner ab, waren dies fast ausschließlich Männer – kann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als besonders intensiv angesehen werden, galt es doch, auf die nunmehr neuen Themenkreise auch körpertechnisch zu reagieren. Blickt man auf die von Linda an der Wiener Hofoper getanzten Rollen, so ist zu erkennen, welch breites Feld sie abdecken konnte. Mit großer Überzeugungskraft tanzte sie so unterschiedliche Partien wie die Titelrollen in „Ellinor“ und „Satanella“, die ihr einerseits Eleganz, andererseits spritzige Lebendigkeit abverlangten. Ihr Partner dabei war Josef Hassreiter, der spätere höchst erfolgreiche Ballettmeister der Hofoper. Die Titelpartien in der „Stummen von Portici“ und die Helena in „Robert der Teufel“ forderten zum einen große, zum anderen aufreizende Gesten. In der „gespielten“ Handlung von „Flick und Flock“ konnte Linda ihre flinke Munterkeit unter Beweis stellen, in „Brahma“ ihr Talent für dramatisches Pathos. 1876 tanzte Linda die Swanilda in „Coppélia“, eine Rolle, die schauspielerisch wie technisch überaus herausfordernd war. Wieder anders war die Aufgabe in Lucile Grahns Choreografie zu „Tannhäuser“. Die spielfreudige Lise in „Das übelgehütete Mädchen“, die Linda 1877 erstmals tanzte, schien den hochdramatischen Anforderungen von „Sardanapal“ diametral entgegengesetzt. Hier konnte Linda ihr Talent für das Bildhaft-Üppige voll ausspielen. Nachdem sich die Tänzerin 1876 in Paris mit der Arbeit an der dortigen Oper vertraut gemacht hatte, tanzte sie die Sylvia im Oktober 1877 in Wien. Über Lindas Interpretation dieser mythologischen Figur ist aus den Printmedien der Zeit nichts Fachspezifisches zu entnehmen. Die Gründe dafür erfährt man aus einer dänischen Zeitung: Offenbar überstrahlte Lindas Sinnlichkeit selbst in einem Land, das bekannt ist für seine Tanzaffinität, ihre Leistung als Tänzerin.
„Fieberanfälle in Farben“
Der dänische Schriftsteller Herman Bang, 1868 in einem kleinen dänischen Städtchen wohnhaft, schildert in einem seiner Zeitungsartikel ein Gastspiel des Ballettensembles der Katti Lanner, in dem auch Linda tanzte. Noch 1887 steht der Autor vollkommen unter dem Eindruck dieses Ereignisses, und man versteht aus seinen Aussagen, wieso in Wien niemand auf die so vielseitigen tänzerischen wie schauspielerischen Begabungen Lindas eingeht. Schon in sehr jungen Jahren vermag es Linda nämlich, ihre Wirkung als sinnliche Schönheit ins Spiel zu bringen. In „Bergens Tidende“ (16.7.1887) wird sie wie folgt beschrieben: „Jung, schön, wie eine lebende Venus Tizians“, sei sie eine „üppige Schönheit“, eine „Haremsfrau“, die den „Schein moderner Verkommenheit“ in sich trüge. Von der „üppigen Achtzehn-Jahre-Schönheit“ der Linda strahle, so der Autor, der Rausch aus. Sie versetze „die Kammerherren in Fieber“, am Nachmittag würden sie, die ersten Bürger des Städtchens, im Hotel tanzen, die offenen Fenster ließen ausgelassene Turbulenz vernehmen. Linda sei Abbild einer bereits „halbvergessenen Lust“, sie verkörpere einen „winzigkleinen Fetzen Paris“. War dies, so fragt der Autor, „Verruchtheit“ oder doch nur „Lebenslust“, in jedem Falle aber schien Linda ein Abbild des „goldenen Traumes Wien in Frauengestalt“ zu verkörpern.
Die immer wieder geäußerte „farbige Bildhaftigkeit“ von Lindas Erscheinung rief dann in Wien offenbar sehr schnell Bewunderer auf den Plan, wobei, kaum erstaunlich, Maler an erster Stelle waren. Dass sich darunter auch der damalige „Großdekorateur“ Wiens Hans Makart befand, ist nicht überraschend, entsprach Lindas sinnlich-dekorative Ausstrahlung doch jener Vorstellung von Weiblichkeit, die in seinen Bildern festgehalten ist. Makarts Erfolg war Ende der Siebzigerjahre derart, dass es ihm mit seinen Bildern, die auch als „Fieberanfälle in Farben“ bezeichnet wurden, gelungen war, die in Wien sonst führenden Künste, die Musik und die Verehrung für SchauspielerInnen, zu verdrängen. Aber nicht nur Linda – eine Frau, die, wie Werner Hofmann formulierte, „mit sich selbst beschäftigt ist“ – war es, die den „Maler der Sinne“ in die Nähe des Balletts der Zeit rücken ließ. Auch die in diesen Jahrzehnten bildhafte Ballettästhetik entsprach den Vorstellungen des Malers. Da waren zunächst die von beiden Künsten aufgegriffenen Themenkreise der Historie, der Mythologie und der Allegorie, deren Personnage, nunmehr theatralisch überhöht, zu Geschöpfen der Gegenwart wurden. Wobei die im Bild sichtbare „Bühnenhaftigkeit“ weniger, wie immer wieder vermerkt, als „opernhaft“, sondern als „balletthaft“ anzusehen ist. Auch die Atmosphäre von Makarts Bildern, ihre Farbigkeit, die posenhafte Dekorativität, vor allem aber Anordnung und Konfiguration der theatralisch in Szene gesetzten Personen entsprechen in verblüffender Weise jenen des Balletts. Dies nahm zuweilen ein Maß an, dass Makarts durchchoreografierte Bildkompositionen wie „stills“ aus den Balletten der Zeit anmuten.
Nicht unerwähnt soll in diesem Zusammenhang bleiben, dass die der Sylvia ganz ähnliche Titelrolle von „Naïla, die Quellenfee“ (Musik: Delibes und Ludwig Minkus), die Linda als eine ihrer letzten Partien 1878 an der Hofoper tanzte, in Paris ebenfalls einen Maler auf den Plan gerufen hatte. Schon 1866 als „La Source“ gegeben, hatte Edgar Degas 1868 eine Szene dieses Balletts mit Eugénie Fiocre als Nouredda festgehalten. Das Bild steht am Beginn seiner Auseinandersetzung mit dem Ballett.
Im April 1879 verließ Bertha Linda den Verband des Hofopernballetts, ihre letzte Rollenkreation hatte sie als Böhmische Braut in dem aus Anlass der Silbernen Hochzeit des Kaiserpaares geschaffenen Festspiel „Aus der Heimat“. Doch schon im Jahr darauf wurde sie für eine Serie von Gastauftritten zurückgeholt. Ob ihr endgültiger Abschied von der Bühne der Hofoper im Oktober 1880 schon im Hinblick auf die 1882 erfolgte Heirat mit Makart stand, ist ungewiss. Gewiss ist hingegen, dass Wien die Heirat zwischen dem Maler und der Ballerina keineswegs guthieß, wobei bei den Fakten, die gegen sie sprachen, immer wieder ihre Herkunft vom Spittelberg ins Spiel gebracht wird. Eine ehrgeizige, skrupellose Frau sei sie gewesen, die sich allein des gesellschaftlichen Aufstiegs willen an den berühmten Maler herangemacht hätte. Gegen Ende seines Lebens hätte er ihretwegen nicht mehr arbeiten können, doch dies entspricht nicht den Gegebenheiten. Nachdem 1879 das Bild „Die Jagd der Diana“ entstanden war, das vielleicht schon von Lindas tänzerischer Tätigkeit inspiriert war, begann Makart 1883 das Gemälde „Frühling“, worin die personifizierte Jahreszeit die privaten Züge seiner Ehefrau trägt. Das Bild wurde als „monumentale, märchenhafte Liebeserklärung“ Makarts an seine Gattin gedeutet. Makart starb 1884.
Lindas Lebensweg war zielgerichtet. Vielleicht traf ein Rezensent 1874 mit der Schilderung ihrer Interpretation der Hauptrolle in Paul Taglionis Berliner „Militaria“ gleichzeitig den Kern ihres Naturells: „[Sie] zeigte die Frau, die sucht, und nicht wartet, bis sie gesucht wird.“ Dies mag auch an Lindas Wiener Adressen abzulesen sein: Vom Spittelberg Nr. 88 übersiedelte sie in den 1. Bezirk in die Lothringerstraße, von dort in die Maximilianstraße (heute Mahlerstraße), dann nach Hietzing in eine Villa in der Gloriettegasse, darauf zu Makart in den 4. Bezirk in die Gußhausstraße. Nach dessen Tod zog sie, in zweiter Ehe mit Carl Graf Strachwitz von Groß-Zauche und Camminetz verheiratet, zurück in den 1. Bezirk, in die Friedrichstraße. So wie ihre beiden ersten Ehemänner überlebte sie auch den dritten, den ungarischen k. u. k. Garderittmeister Géza Udvarlaky. Zuletzt zurückgezogen in Wien lebend als Gräfin Strachwitz-Makart, Rittmeisterswitwe, starb Bertha Linda, Wiens erste Sylvia, 1928. Telles „Sylvia“ blieb bis 1905 auf dem Spielplan der Hofoper.
PS
Fünf Jahre nach ihrem Tod erschien Bertha Linda als Figur eines Schauspiels wieder auf einer Bühne: In Richard Duschinskys „Makart“ im Theater in der Josefstadt wurde die Rolle der Linda von Lili Darvas, der Ehefrau von Franz Molnar, verkörpert. Die Titelrolle spielte Anton Edthofer, Amalia Makart, die erste Ehefrau des Malers, war Vilma Degischer. Regie führte Otto Ludwig Preminger, choreografisch betreut wurde die Aufführung von Fritz Klingenbeck.