Es ist nun schon einige Jahrzehnte her, seit es in Wien nicht nur eine, sondern gleich drei klassisch ausgerichtete Ballettkompanien gegeben hat: Neben dem dominierenden Staatsopernballett waren dies die jeweils eine individuell akzentuierte Note pflegenden Ballette der Volksoper und des Theaters an der Wien, das 1967 gegründet wurde. Alois Mitterhuber, ehemaliger Ballettchef des Hauses an der Wienzeile, ist am 17. November 2021 im 90. Lebensjahr in seinem Domizil Neusiedl am See gestorben.
Mitterhuber war in unterschiedlichen Funktionen für alle drei Körperschaften tätig: als Solotänzer im Volksopernballett, als Ballettdirektor und Chefchoreograf im Theater an der Wien und mit Mitgliedern des Wiener Staatsopernballetts als Choreograf von Fernseh-Neujahrskonzerten. Erstmals ins Blickfeld einer breiten Öffentlichkeit getreten war der aus Göstling an der Ybbs Stammende als ein zur europäischen Elite zählender Eistänzer. Parallel zu seiner erfolgreichen sportlichen Karriere nahm er Ballettunterricht an führenden Wiener Privatschulen, jenen von Dia Luca und Willy Fränzl.
Sein 1958 erfolgtes Engagement an die Volksoper machte Mitterhuber vertraut mit dem dort von Dia Luca kultivierten, auf einer Spielart des Wiener modernen Tanzes beruhenden Stil. Als Choreograf debütierte er als Dreißigjähriger in dem von ihm mitbegründeten Kleinen Wiener Ballett im Theater an der Josefstadt: Sein dort aufgeführtes „Die Saat des Bösen“ war vermutlich weltweit die erste choreografische Realisierung von Igor Strawinskis „Sinfonie in drei Sätzen“ (Mitterhuber war Hans van Manen um einen Monat voraus). Weiterbildung bei namhaften Pädagogen des klassischen Tanzes in Paris und des Jazz Dance in New York festigten das Fundament für seine Karriere als Choreograf, die vor allem am Theater an der Wien zum Tragen kommen sollte. Davor aber lag als Höhepunkt seiner tänzerischen Laufbahn ein mehrjähriges Engagement an das von Heinz Rosen geleitete Ballett der Bayerischen Staatsoper. Auch an diesem Haus brachte es Mitterhuber zu Solotänzer-Ehren.
Mitterhubers von 1967 bis 1974 dauernde Laufbahn am Theater an der Wien begann spektakulär: Zu seiner von Ernst Fuchs ausgestatteten Version des „Golem“ von Francis Burt programmierte er zwei von den Gastchoreografinnen Eva Bernhofer und Lola Braxton gestaltete Ballette, für die Wolfgang Hutter und Hubert Aratym als Ausstatter gewonnen werden konnten. Gastchoreografen von internationalem Rang, die in Mitterhubers Amtszeit verpflichtet wurden, waren Todd Bolender („Souvenirs“), Flemming Flindt („Der junge Mann muss heiraten“) und Antony Tudor („Gala Performance“). Mitterhuber selbst beeindruckte mit von expressivem Drive erfüllten Werken der „Ballettmoderne“: „Peter Schlemihl“ (Musik: Peter Ronnefeld), „Todsünden“ (Musik: Fridolin Dallinger) und „Hamlet“ (Musik: Boris Blacher). Eine Spezialität von Mitterhubers Repertoirepolitik waren die in Serienaufführungen getanzten Kinderballette „Peter Pan“, „Alice im Wunderland“, „Pinocchio“ und „Der gestiefelte Kater“. Das von ihm aufgebaute, durch starke Persönlichkeiten glänzende Ensemble bestand zu einem Gutteil aus slowakischen und tschechischen Tänzerinnen und Tänzern, deren Engagements durch den kurzen „Prager Frühling“ ermöglicht wurde.
Höhepunkt der beklagenswert kurzen Geschichte des Balletts des Theaters an der Wien war die Einladung zu dem 1969 von Gerhard Brunner kuratierten Internationalen Ballettfestival der Wiener Festwochen. Hohen Stellenwert in Mitterhubers Choreografen-Laufbahn nehmen auch die für den ORF entstandenen Produktionen „Monoballette“ zu Musik von Paul Kont mit Christl Zimmerl als Protagonistin und „Der Befehl“ zu Musik von Günther Andergassen ein.
Mitterhubers Zeit nach dem Theater an der Wien war ausgefüllt durch mannigfaltige Arbeiten als freischaffender Choreograf und als Pädagoge am Konservatorium der Stadt Wien sowie in eigenen Ballettschulen, in denen ihm seine Ehefrau Ottilie Mitterhuber zur Seite stand.
Alois Mitterhuber, dessen Lebenswerk auch durch Auszeichnungen von öffentlichen Stellen gewürdigt wurde, war Protagonist eines durch Kreativität gekennzeichneten Kapitels der Wiener Ballettgeschichte. Zu Papier gebracht hat er dies selbst in seiner 2010 erschienenen Biografie „Der Tanz – mein Leben“.