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SiegalAls Kompanieleiter und Choreograf muss man die Ruhe selbst sein. Wenn das DANCE-Festivals am 11. Mai in seine 15. Ausgabe startet (die dritte unter Kuratorin Nina Hümpel), wird Richard Siegals 12-köpfiges „Ballet of Difference“ erstmals und in drei verschiedenen Stücken auftreten. Der Eröffnungsabend „My Generation“ koppelt „Pop HD“ – eine 2015 für das Cedar Lake Contemporary Ballet entstandene Arbeit rund um Strategien der Popkultur – mit zwei Neukreationen. Ein intensives Programm für sechs Projektwochen.

Die Stimmung im Studio ist kreativ-relaxed. Siegal selbst tanzte sieben Jahre bei William Forsythe in Frankfurt, ehe er 2005 die interdisziplinäre Künstlerplattform „The Bakery“ gründete und sich mit eigenen Produktionen einen Namen machte. Er beobachtet, hält Sequenzen mit seinem Smartphone fest und geht bereitwillig auf Nachfragen seiner Performer ein. Die Kombination, an der gerade alle herumelaborieren, sei die härteste des neuen Stücks – merkt er lachend an. Sobald er sie vormacht, sieht die Bewegungsphrase plötzlich ganz easy aus. Es komme auf die richtige Kraftführung und punktgenaue Akzentuierung an. Nur schön zu tanzen, rüttelt eben niemanden wach! Genau das aber will Siegals neue, in München und seit kurzem auch in Köln verortete Company. In den nächsten Tagen wird noch Becca McCharen, Gründerin des New Yorker Chromat-Labels, zum Team stoßen. Ihre teils aufblasbaren Kostüme werden die Tänzer und ihre Identitäten dann "überformen".

Siegals Kreationen treiben blitzschnelle Richtungswechsel, messerscharfe Bewegungspräzision und ein ballettartig ins Extreme verzerrter, manieriert-explosiv-zeitgenössischer Tanzgroove an. „One, two, three“ murmeln die Tänzerinnen und Tänzer, während sie in virtuosen Mustern ihre Arme und Beine im betont-dynamischen Wechsel nach oben, unten, vor- und zurück bzw. seitwärts schießen lassen. Mittendrin soll noch die Hüfte aus der Achse schnellen. Weichheit und Wucht zugleich. Damit das innerhalb eines jeden Körpers sowie in Tuttiformation klappt, müssen sich der Beat ins Gedächtnis und der Rhythmus in die Glieder brennen. Wer nicht korrekt zählt, ist beim Tempo, das DJ Harams pushendes Schlagwerk vorgibt, schlicht verloren.Richard Siegal

Die Wurzeln der US-Amerikanerin, deren impulsiver, aus einem Dreiminutentrack entwickelter Sound die Uraufführung „BoD“ akustisch strukturiert, liegen im Mittleren Osten. Das Kürzel des Ensemblenamens als Werktitel steht für positive Sprengkraft aus individueller Verschiedenheit. Probenbeginn für die Ensemblemitglieder unterschiedlicher Nationen, Kulturen, Fähigkeiten und Lebensentwürfe war am 3. April. Zur Halbzeit sind zwei davon krank. Darunter die hochtalentierte Margarida Neto aus Portugal, die Siegal der Junior Company des Bayerischen Staatsballetts noch vor Ende der Spielzeit ausspannte. Neu dabei ist auch die Spanierin Yvonne Martos. Sie war bis letztes Jahr in Augsburg engagiert und arbeitet als einzige zum ersten Mal mit Siegal zusammen.

Immer und immer wieder spielt sie mit ihrem Partner eine komplizierte Kletterhebung durch – bis aus anfangs ungelenken Manövern allmählich ein regelrecht ballettakrobatisches Duett entsteht. Siegal feilt währenddessen mit Ex-Staatsballett-Tänzer Leonard Engel an einem Solopart. Beim hypergeschmeidigen Diego Tortelli bluten Fußrücken und Knie. Trotzdem tritt er mit seinem Kollegen in einen Dialog aus tänzerischen Zufallsmomenten. Durch Wehwehchen lässt sich hier niemand ausbremsen. Beim gemeinsamen Auftrittsdebüt wollen alle ihr tolles Können und Truppenprofil beweisen.

Nach zweimal drei Stunden Proben leert sich der Raum. Bis auf Joachim de Santana. Mit ihm probt Siegal an der zweiten Uraufführung: „Excerpts of a Future Work on the Subject of Chelsea Manning“. Der Brasilianer geht in die Hocke und trippelt im Kreis. Dann legt er sich auf den Rücken und knallt mit den Oberarmen auf den Boden. Das Thema ist hochbrisant. Es geht um die „Whistleblowerin“ Chelsea Manning, die am 17. Mai aus ihrer Haft für den Verrat von Militärgeheimnissen entlassen werden soll.

Politisch motiviert geht es bei DANCE München mit Yang Zhens „Minorities“ (UA), Wim Vandekeybus‘ „Mockumentary of a contemporary saviour“, Daina Ashbees „Unrelated“ über Fälle von Mord und Vergewaltigung indigener Frauen und – in seiner sozialen Komponente der Entgrenzung – auch bei VA Wölfls „von mit nach t: No 2“ weiter. Insgesamt erwarten das Publikum rund 20 energetisch wilde (Frédérick Gravel), sinnlich-intime (Stéphanie Gladyszewski) oder schrill-schräge (Trajal Harrell) Produktionen von Gästen aus Kanada, China, Frankreich und Israel. In „Minutemade for DANCE“ kooperieren drei von ihnen (Emanuel Gat, Benoît Lachambre, Nicole Peisl) außerdem mit Tänzern des Gärtnerplatz-Balletts. Eine schöne Verschränkung!
Vesna Mlakar

Richard Siegal / Ballet of Difference: „My Generation“, 11. bis 13. Mai, Zusatzvorstellung am 12. Mai in der Muffathalle

Infos und Programmdetails unter www.dance-muenchen.de