Doris Uhlich, Choreografin, Tänzerin, Performerin wird mit dem international nahezu kultisch verehrten Künstler Ivo Dimchev über den Körper auf der Bühne, über Nacktheit und Selbstdarstellung diskutieren. Oder eher plaudern. In einer Skulptur von Franz West im 4. Stock des MUMOK haben die beiden es sich halbwegs bequem gemacht. Der Schöpfer hätte seine Freude daran, sollen doch viele seiner Skulpturen, die Passstücke, vom Publikum benutzt und begriffen werden. Uhlich und Dimchev haben die wuchernde Pflanze (eine Gartenschaukel, ein senkrecht stehendes Labyrinth?) problemlos in Besitz genommen.
Obwohl die beiden aus gänzlich unterschiedlichen Ecken kommen, und ihre Arbeit nicht zu vergleichen ist – Uhlich aus Oberösterreich mit abgeschlossenem Studium am Konservatorium der Stadt Wien, Privatuniversität, Dimchev aus Bulgarien hat nach einigen Umwegen sein Studium an der renommierten Amsterdamer Dasarts-Akademie ebenfalls beendet – herrscht friedliche Eintracht getragen von zustimmendem Nicken und komplettierendem Ergänzen. Im partizipativen Objekt haben es sich die beiden, wie West es sich gewünscht hat, recht bequem gemacht und erklären, warum sie nicht so gerne auf den ohnehin schwammigen Begriff „Performer“ reduziert werden wollen.
So nennt sich Dimchev, lieber „Choreograf“ und auch die Doris Uhlich, von der Zeitschrift „tanz“ zur Tänzerin des Jahres 2011 gekürt, besteht darauf, als Gestalterin gesehen zu werden. Nicht nur, wenn sie ein Programm für ehemalige Balletttänzerinnen (und einen Tänzer) gestaltet und nicht selbst auftritt. „Come Back“ gibt den Tänzerinnen die Freiheit, die sie an der Staatsoper im klassischen Ballett nicht hatten. Sie dürfen im Rahmen der Choreografie tun, was ihnen gefällt, vor allem müssen sie nicht mehr schön schweben. Doch wie die Mitwirkende Marialuise Jaska festgestellt hat: „Ich mache etwas anderes als damals auf der Bühne als Solotänzerin, aber Anstrengung und Disziplin sind ganz gleich.“
In diesem Sinn passt auf Doris Uhlich das Etikett „Performerin“ nur als eines unter vielen. Sie fühlt sich ebenso als Tänzerin wie als Choreografin. Wobei der Begriff der Tänzerin und auch der Choreografin ein fest umrissenes Profil hat, Performerin hingegen, wie auch die Kunst der Performance, schillernde, glitschige Bezeichnungen sind, die immer wieder neu definiert werden. Wie im Tanz auch, steht der Körper im Mittelpunkt der Darbietung, doch geht es nicht mehr um die Erfüllung von Normen, technische Perfektion und einen Leistungsnachweis. Der Körper ist nicht mehr Mittel zum Zweck, seine Präsentation ist der Zweck. „exposition corps / Ausstellung des Körpers“ hat die Wiener Tänzerin und Choreografin Saskia Hölbling eine Soloperformance bereits vor zehn Jahren genannt. Die bildenden Künstlerin Marina Abramovic stellt ihren Körper auf die Bühne dar („The Artist Is Present“, 2010), die Bühnenkünstlerin Saskia Hölbling macht den ihren zum beweglichen Ausstellungsobjekt. Installation? Choreografie? Tanz? Alles in einem, Performance eben. Der Körper dient nicht einem Werk, sondern ist das Werk.
Der Körper ist eine Idee. Ivo Dimchev, Topstar der internationalen Performanceszene, fasziniert vor allem junges Publikum durch den exzessiven Einsatz seines Körpers. Mit Selbstdarstellung hat das für ihn nichts zu tun. „Am Beginn meiner Karriere hatte ich große Zweifel, was Sinn und Zweck der Präsentation des Körpers auf der Bühne ist, ober es ein Teil der Kunst ist. Jetzt bin ich zu dem Schluss gekommen, dass der Körper kein wirklicher Körper ist. Er ist eher die Idee, eines Körpers. Damit will ich Verbindungen herstellen, ich will verknüpfen, ich will teilen. Mein Körper ist das Medium. Ja, der Körper ist auch ein Teil der Kunst, aber er ist ein offenes Tor, um Beziehungen zu schaffen oder Relationen darzustellen. Er ist ein Stück Kunst, in ständiger Transformation. Es kommt darauf an, womit er gerade verbunden ist. Also für mich ist der Körper beides, Medium und Kunstobjekt, ich will mich nicht auf das eine oder andere festlegen.“ „Der Körper ist ja nichts anderes als Fleisch, Haut und Knochen, also Material,“ sagt die Tanzpädagogin Uhlich. „Dieses Material kann ich vielfältig gebrauchen, ein klarer Unterschied ist, ob ich selbst mit mir arbeite oder mit anderen Menschen. Für mich selbst, ist der Körper auch ein Container für Spuren, die man so einsammelt aus der Vergangenheit, Gegenwart und auch für die Zukunft. Ein wandelndes Archiv möchte ich sagen.“ Dimchevs Wort „Verbindungen“ findet sie „sehr schön. Er arbeitet ja mit einer großen Offenheit. Die Frage stelle ich mir immer wieder: Wie verbinde ich mich, den eigenen Körper, mit einem bestimmten Thema.“ Dazu präsentiert sie sich auch nackt im Sessel sitzend, den Telefonhörer am Ohr. „Das war ein Konzept, in dieser Performance wechsle ich ständig den Blick auf meinen Körper. Nach dem Duschen sitze ich eben da und telefoniere. Doch einige Sekunden später kann ich eine Figur aus einem Gemälde von Rubens sein. Damit löse ich ganz andere Bilder und auch Gefühle im Publikum aus.“
Doris Uhlich steht, privat und auf der Bühne, zu ihrem Körper, der keineswegs der einer grazilen Ballerina ist. Bei der ersten Aufnahmsprüfung ans Konservatorium wurde sie abgewiesen. „Dann habe ich abgenommen, aber ich war nicht mehr ich selber. Ich bin wie ich bin. Und so habe ich mich wieder beworben.“ Das Thema Nacktheit bleibt dennoch präsent. „Wie unterscheidet sich der nackte Körper in Bewegung vom bekleideten? Welche Vorstellungen produziert er? Welche Facetten von Nacktheit gibt es?“, fragt sie im Sommer beim ImPulsTanz Festival mit der Premiere von „more than naked“. „Nacktheit ist für mich die Voraussetzung für eine Bewegungsrecherche, keine Provokation.“
Nacktheit ist keine Provokation. Auch Dimchev zeigt dem Publikum gern den nackten Körper. Purer Exhibitionismus? Verneinung im Doppelpack. „Selbst wenn ich nackt auf der Bühne bin, zeigt es gerade das Gegenteil, eben dass ich nicht exhibitionistisch bin. Nackt auf der Bühne, das ist nicht mehr mein Körper. Er steht im Kontext zum Moment der Darstellung, zum Raum, den Objekten und er gehört auch den Leuten, die anwesend sind. Der Körper ist nicht mehr mein privater Körper, denn der ist verbunden mit meinem privaten Leben und wenn du deinen Körper auf der Bühne zeigst, bist du nicht mehr privat. Da sind so viele Schichten auf dem privaten Körper, dass er eben nicht mehr privat ist. Das ist nicht das, was ich unter Exhibitionismus verstehe.“ (Dimchev)
Wir haben verstanden: Wenn Ivo Dimchev, nur mit einem Schamfleck bekleidet in zierlichen Stöckelschuhen mit ebenso spärlich bekleideten Tänzerinnen immer die gleichen Wörter skandierend, auf der Bühne des Akademietheater im Kreis stelzt, oder alle ermattet auf dem West-Mobiliar sitzen, dann sehen wir nicht den nackten Dimchev oder die nackten Tänzerinnen (Yen Yi-Tzu, Veronika Zott) sondern transformierte Körper. Der private Körper ist zum allgemeinen geworden. Wenn Doris Uhlich ihr Telefonat erledigt, im etwas angegrauten Tütü den Schwan mimt oder sich mit Spitzenschuhen in Ballettpositur stellt, dann stellt ihren Körper zur Verfügung, um das Pathos und die strengen Codizes des klassischen Balletts aufzuspüren. „Das Fleisch im Ballett zu finden“, drückt sie es plastisch aus.
Wechselbad der Gefühle. Und neuerlich fraglose Übereinstimmung: Performance will weniger durch Technik und Kunstfertigkeit überzeugen, als durch das durchdachte Konzept, Gefühle und Assoziationen im Publikum hervorzurufen. „Ja“ gibt Dimchev treuherzig zu, „ich will auch das Publikum manipulieren. In einem positiven Sinn, zum Beispiel in meinem ersten Stück „Lili Handel“ arbeitete ich bewusst mit der Sexualität, weil das Empfinden von Schönheit und Ästhetik sehr oft über die Sexualität passiert. Dazu muss man aber nicht immer nackt sein.“ In schwindelerregendem Wechsel taucht Dimchev sein Publikum in ein Gefühlsbad, dem niemand entkommt. Von warm zu kalt, von sanft zu brutal, von abgründig zu trivial. Das Komische und das Grausame, das Magische und das Triviale liegen bei Ivo Dimchev eng beieinander. Doch begegnet man dem Mittdreißiger als Privatperson, wach und aufmerksam in dieser farbigen Skulptur sitzend, dann erkennt man ihn nicht wieder. Kein Monster, kein in den Wolken schwebender Idealist, sondern ein freundlicher, wohlerzogener und der Realität verhafteter Mann. Auch Doris Uhlich rennt nicht nackt über die Burggasse, sie sieht sich als „eher scheu“ und „in der Sauna, wo alle relaxed sind,“ fühlt sie sich „gar nicht wohl.“ Dennoch weiß sie, dass Nacktheit für manche Zuschauer aufregend ist: „Es ist egal, ob nackt oder angezogen, es entstehen natürlich immer Gefühle, Bewunderung, Abneigung, Zuneigung, Erotik. Die Zuschauer werden immer irgendetwas fühlen und denken.“ Dimchev, der kein Deutsch spricht, lässt sich übersetzen, ist einverstanden: „Wenn wir arbeiten, versuchen wir zwar, ein Ziel zu erreichen, im Publikum Gefühle und Gedanken hervorzurufen, aber wir haben letztlich keine Kontrolle über die Projektionen, die im Kopf der Zuschauer entstehen, es ist ihr Teil an der Vorstellung. Der private Blick ist nicht verboten. Ich habe nichts dagegen, Was ich will, ist einen größeren Raum zu schaffen, mein Publikum zu öffnen, damit neue Gedanken und Ideen Platz finden. Sexualität und Erotik sind schon solche Schlüssel, um den Geist zu öffnen.“ „Du musst eine Choreografin sein, um zu wissen, was für deinen Körper richtig ist. Es reicht nicht, wenn du nur den Körper als Ausgangspunkt nimmst, weil du eine tolle Performerin bist. Du bist nur so gut, wie gut die Choreografie ist. Das Thema, das du bearbeitest ist genau so wichtig, wie deine Performancekünste.“ (Uhlich)
Ausgedinge für den künstlich perfekten Körper. Gleich darauf, doppelte Empörung. Die Schlussfolgerung, dass der Körper um beim Publikum anzukommen, auch schön sein müsse, wird brüsk zurückgewiesen: „Niemals!“ Dimchev, auch ein Meister der Formulierungskunst, definiert Schönheit als künstlerischen Wert. „Wenn ich keinen künstlerischen Wert sehe, dann ist es für mich nicht ästhetisch. Doch ich kann einen Krüppelkörper sehen und ihn auf einem sehr erotischem Niveau akzeptieren.“ Doris Uhlich, die im Stück „SPITZE“ als Ballerina auftritt: „Wir sind auf der Bühne doch so weit weg von diesem einzig schönen Körper. Mein erstes Projekt habe ich 2007 mit alten Menschen verwirklicht Ich war wirklich angewidert von diesen künstlichen, perfekten Körpern. Heute haben sich die Ansichten über den Körper auf der Bühne geändert. Künstlerisch ist für mich die Unterschiedlichkeit der Körper, die Vielfältigkeit interessant. Meine Vision von Kunst war nicht, wie der Körper aussieht, sondern was ihm an Bewegung möglich ist, was er damit ausdrücken kann.“ Mit einem Streitgespräch wird es auch gegen Ende nichts. Dimchev ergänzt: „Den perfekten Körper an sich gibt es gar nicht. Auf der Opernbühne wird eine ganz andere Perfektion verlangt als etwa im Zirkus. Da sind doch die ‚Cripples’ die Stars.“ Die Choreografin spricht als Tanzpädagogin: „Ich denke gute Lehrerinnen wissen jetzt, dass ein Tänzer, eine Tänzerin nicht nur auf den Körper reduziert werden darf. Eine gute Ausbildung heute, trainiert nicht nur den Körper, damit er in eine bestimmte Compagnie passt. Der Geist muss auch trainiert werden. Denken und Reflektieren zu trainieren, ist genauso wichtig, wie Muskeln und Knochen. Heute gibt es diese Idee ‚Wenn ich den richtigen Körper habe und gut trainiert bin, dann schaffe ich es schon’ nicht mehr.“
Performance ist die Henne, Tanz das Ei. Vor 100 Jahren traten „freie“ Tänzerinnen an, das strenge klassische Ballett zu morden. Sind es jetzt die Performer, die den Tanz umbringen wollen? „Nein. Ich möchte kein Mörder sein. Ich weiß ja auch, dass das was ich heute bin nur durch Vergangenheit machen kann. Ich sehe keine Brüche. Ich bin eher gespannt, wo es jetzt hin geht. Wie die Situation jetzt aus sieht, kommt mir vor, dass wir schon ziemlich lang auf der Stelle treten. Ich wäre bereit für den nächsten Schritt.“ Mit dem Morden hat Ivo Dimchev weniger Schwierigkeiten: „Ich glaube, der Tanz hat früher die Performance getötet, jetzt ist sie aber wieder auferstanden. Im rituellen oder religiösen Tanz gab es keine Trennung, Darstellung und Bewegung ergaben sich natürlich. Plötzlich gab es Regeln, es wurde festgelegt, was erlaubt ist und was nicht. Dennoch fasziniert mich das klassische Ballett, genau wegen seiner engen Grenzen und strengen Regeln. Wir Performer haben so viele Möglichkeiten wie wir unsere Performance gestalten, dass ich manchmal das Gefühl habe, es bleibt gar keine Freiheit für mich selbst. In diesem Sinne fasziniert mich die Begrenzung des klassisches Balletts, weil das auch einen Freiraum lässt, den ich nicht habe.“ Nicht Grenzen zu ziehen, sondern Grenzen zu sprengen ist Anliegen und Kennzeichen der Performance. Das ImPulsTanz Festival gibt Doris Uhlich und Ivo Dimchev Gelegenheit mit neuen Arbeiten zu zeigen, wie es ihnen gelingt.
ImPulsTanz Festival 11. Juli bis 11. August mit einer Uraufführung von Ivo Dimchev, der heuer auch als Mentor des dance-WEB Stipendien-Programms fungiert, in dem junge Tanzschaffende aus mehr als 50 Ländern an neuen Projekten arbeiten.