Gleich mit seinen Antrittsproduktionen ist es dem Spanier Goyo Montero gelungen, in der Frankenmetropole eine Welle der Begeisterung für Tanz loszutreten. Nach ersten internationalen choreografischen Erfolgen sowie Karrierestationen als Solotänzer am Leipziger Ballett, dem Staatstheater Wiesbaden, dem Royal Ballet Flandern und zuletzt als Erster Solist an der Deutschen Oper Berlin präsentierte sich seine 17-köpfige Kompanie 2008 erstmals mit „Benditos, Malditos“ in der Nürnberger Tafelhalle.
Dort traf der mit 32 Jahren zum Spartenleiter und Chefchoreografen Berufene einige Jahre später auf Crystal Pite. In einem Gespräch konnte er die Kanadierin überzeugen, seinem Ensemble ihre Choreografie „Short Works: 24“ anzuvertrauen. Als weiteren Schritt auf der erfolgreichen Entwicklungskurve eines breiten Repertoires aus eigenen Uraufführungen, die durch bedeutende Meister- und zeitgenössisch wichtige Gastchoreografen oder Nachwuchstalente eine für Tänzer und Publikum enorm wichtige, Abwechslung an Stilen und Bewegungskonzepten bietende Ergänzung erfuhren.
Seit Monteros „Romeo und Julia“-Kreation 2009 schnellten Zuschauerauslastung und Abonnements explosionsartig in die Höhe. Seinen Vertrag hat Montero, bis 2023 verlängert – trotz bevorstehendem Intendantenwechsel. Ein Glück für das Haus, in dem ab nächster Spielzeit die Bereiche Oper und Schauspiel neu gerichtet werden. Zählt Nürnbergs Ballett am einzigen bayerischen Staatstheater außerhalb Münchens unter der Direktion des Madrilenen doch zum ersten Mal in seiner Geschichte zur kreativen Spitzenklasse. Mit zunehmend auch internationaler Reputation.
Goyo Montero, wie empfinden Sie Nürnberg und beeinflusst Sie die Stadt künstlerisch?Nürnberg hat seine eigene Persönlichkeit – mit der Pegnitz, all den tollen Kirchen und historischen Gebäuden. Die Altstadt ist wunderschön und auch die Oper wirkt wie eine Kirche, ein Museum, ein geschichtsträchtiger Bau. Bei meinem ersten Besuch bin ich durch Stadt spaziert und spürte sofort eine positive Verbindung – um hier zu wohnen und meine erste eigene Kompanie aufzubauen. Nürnberg ist eine sehr lebendige Metropole, es gibt viele junge Menschen und immer ist etwas los. Zugleich findet man genug Ruhe, um sich auf die Arbeit zu konzentrieren.
Natürlich hat die Stadt großen Einfluss auf mich. Es ist der Ort, an dem ich bisher am längsten gelebt und gearbeitet habe. Als Tänzer blieb ich maximal fünf Jahre in einem Engagement, dann zog es mich woandershin. Meine Produktion „Dürer’s Dog“ steht vielleicht als Zeichen dafür. Ich habe mir so viel Zeit wie nötig genommen, bis ich eine Idee gefunden hatte, um ein Stück zu machen, das über einen Bezug zur Stadt verfügt und zugleich künstlerisch eine weitere Herausforderungen für mich bedeutet. Nur so funktioniert Choreografieren für mich. Das Thema muss mich packen.
Ich hoffe schon, denn ich habe mich selbst als Mensch ja auch verändert. Mein Sohn ist mittlerweile viereinhalb Jahre alt. Viele Leute haben eine Beziehung zu unserer Kompanie entwickelt. Manche folgen uns von Anfang an. Andere kamen wegen Jiří Kylián, Nacho Duato, Mats Ek, Johan Inger, Crystal Pite, Mauro Bigonzetti, Ohad Naharin, William Forsythe oder Christian Spuck, die uns Stücke überlassen haben. Und blieben uns dann weiterhin treu. Eben weil wir ein so großes Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten und Stilen bieten.
Mein Ziel war immer, eine Repertoire-Kompanie aufzubauen – ein Ensemble, das mehr als nur meinen Stil tanzen kann. Es ist gut zu sehen, dass die Leute hier auch Wagnisse wie zuletzt „Don Quijote“ annehmen. Das war eine Tanztheaterproduktion, sehr dunkel, wahnsinnig und traurig. Was die Zuschauer nicht ab- oder verschreckt hat. Ganz anders dagegen „Dürer’s Dog“, meine 20. Premiere. Da hatte ich Sehnsucht nach Schönheit.
Den verdanke ich auch dem Intendanten Peter Theiler, der mir nie Druck gemacht hat, zu festgelegten Zeiten bestimmte Werke herausbringen zu müssen. Gott sei Dank kam das, was ich auf die Bühne gebracht habe – sogar „Faust“ mit einer Schauspielerin, 40 Minuten Text und dem Versuch, nicht nur Goethe, sondern auch Thomas Mann und Michail Bulgakow unter einen Hut zu bekommen – letztlich so gut an, dass ich nie aus kommerziellen Gründen etwas kreieren musste, um das Haus voll zu bekommen.
Ich konnte stets mit totaler Freiheit meinen künstlerischen Impulsen und Ideen folgen. Begrenzungen gab es nur bei den aktuell 22 Tänzerstellen und Produktionen pro Saison. Der Schaffensprozess aber, Erfahrung und auch Fehler bringen einen Künstler weiter. Werke sind wie Kinder. Wenn ich jetzt auf „Faust“ zurückblicke, sehe ich, dass es dem Stück an Rhythmus fehlt. Trotzdem liebe ich es. Es hat gute Momente. Sollte ich es irgendwann wieder aufnehmen, werde ich es kürzer und konzentrierter machen.
Das Wichtigste ist, dass ich Tag für Tag mit großer Lust und motiviert zur Arbeit ins Theater komme. Auch wenn es Dinge gibt, die einen traurig machen oder frustrieren. Schlechte Momente hatten meist mit meinem persönlichen Leben zu tun. Zum Beispiel der Tod meines Vaters, den ich in „Monade“ und „Don Quijote“ verarbeitete. Oder als ich das Gefühl hatte, die Kompanie nicht im Griff zu haben. Ich musste als Ballettchef lernen, dass man 22 Persönlichkeiten nicht ständig auf höchstem Spannungslevel zu halten vermag. Man kann versuchen, die Tänzer glücklich zu machen. Mal sind sie zufrieden, im nächsten Augenblick werden sie unzufrieden, wollen mit anderen Choreografen arbeiten oder haben ein privates Problem, mögen Stadt, Land und Wetter nicht.
Ich habe verstanden, dass man Lob, Erfolg, Kritik und Scheitern relativ betrachten muss. Nach drei, vier Jahren war ich der Meinung, endlich Ballettdirektor sein zu können. Doch es wird immer Überraschungen und Probleme geben, die man nicht voraussehen kann. Mit der Zeit habe ich verstanden, dass sich am Ende immer eine Lösung findet – und es immer neue Tänzer geben wird, die den Platz derjenigen einnehmen, die uns früher oder später verlassen.
Wir haben als sehr konzentrierte Gruppe begonnen und blieben fast sieben Jahre lang zusammen. Tänzer gehören dir aber nicht. Sie haben eigene Träume. Als Ballettdirektor versuchst du, diese zu erfüllen. Manchmal gelingt das über Jahre. Anderen liegt unsere investigative Art, jeden Tag einen Schritt vorwärts zu gehen, einfach nicht. Wir arbeiten sehr hart und mit Leidenschaft. Dabei sehr fokussiert. Ab- und Neuzugänge sind der Lauf der Dinge. Ich selbst habe alle fünf Jahre neue stilistische Einflüsse gebraucht. Als Ballettdirektor war Loslassen für mich ein Lernprozess.
Als ich Mats Ek nach Nürnberg brachte, wurden meine Leute reifer und bekamen Mut zu Hässlichkeit. In einer Choreografie von Ek muss man mit jedem Schritt eine Meinung abgeben. Spuck habe ich eingeladen, weil ich fand, es wäre Zeit, dass meine Leute sich diszipliniert wie eine neoklassische Kompanie bewegen und den Zusammenhalt eines Corps de ballets am eigenen Körper erfahren. Sie haben das ständige Fußstrecken und Achtgeben auf präzise Linien gehasst. Zum Schluss haben sie den Sinn dahinter verstanden und die Energie, die sie in die nächsten Produktionen übernommen haben, war toll. Gastchoreografen sind für mich ein Weg, Tänzer zu besseren Künstlern zu machen. Kunst bloß der durchtrainierten Körper und schönen Bewegungen wegen – oberflächliche Stücke zu hübscher Musik mit sexy Leuten und wenig mehr dahinter –, das interessiert mich nicht.
Mir meine Neugierigkeit zu bewahren. Das Gefühl, mich selber durch meine Arbeiten verändern und weiterentwickeln zu können. Ich möchte meine Tänzer voranbringen und mich und das Publikum immer wieder aufs Neue überraschen. Nach 10 Jahren ist das schwer. Sobald man glaubt, in einer Stadt, einem Ballett oder einer Kompanie alles geschafft zu haben, ist der Zeitpunkt da, aufzuhören, wegzugehen oder etwas anderes zu machen.