Milli Bitterli zeigt bei Feedback 4th edition ihr Lebensprojekt "Der Tausendfüßler (Was bleibt?) a livelong project", mit dem sie Menschen in ihren Wohnung besucht, für sie tanzt und Videoaufzeichnungen der ganz besonderen Begegnungen mitnimmt."Ich versuche durch den Tanz Leute kennenzulernen und durch den Tanz in Situationen zu kommen, in die man sonst nicht kommt. Leute zu besuchen und zu schauen, was der Tanz mit Menschen macht." Im Interview erzählt die Tänzerin und Performerin auch über ihren Werdegang im und außerhalb des Kulturfördersystems und warum sie aus den Förderstrukturen ausgestiegen ist. Sie erzählt vom Älterwerden in der Kunst, von der Kunst, die im Zirkel der Mittelschicht kreist.
Anlässlich des heurigen Feedback-Festivals, das diesmal gemeinsam von Tanzquartier und Brut veranstaltet wird, möchte ich mir das österreichische Tanzschaffen, mit seiner sozialen Komponente anschauen, die Abhängigkeit von Förderungen, prekäre Arbeitsbedingungen etc…
Bitterli: Ich hab mich zurückgezogen aus dem Fördersystem, ich mach nur noch meine Sachen mehr.
Was war der Grund des Rückzugs? War es schwierig mit dem Förderungsprozedere?
Bitterli: Nein, es war nie schwierig. Ich hab eh immer Förderungen bekommen. Aber ich habe irgendwann keine Lust mehr gehabt, mich ständig irgendwelchen Gremien zu stellen und vor allem ständig durch so eine Bewertung zu gehen. Da hab ich beschlossen damit aufzuhören. Ich mach jetzt nur noch so, wie ich begonnen habe. Ich hab begonnen, weil mir Tanzen Spaß gemacht hat und ich mich damit ausdrücken kann, weil es anderen gefallen hat, was ich mache. So bin ich zur Kunst gekommen, weil das, was ich mache, andere berührt. Ich mache nur noch Projekte, wo ich das Gefühl habe, dass es für mich passt, aber ich suche nicht mehr an.
Ich kann mir vorstellen, dass es nicht einfach ist, sich immer wieder dem Fördersystem stellen zu müssen und sich „förderwürdig“ zu halten?
Bitterli: Ja es ist wirklich schwierig, auch gesellschaftlich gesehen. Denn jeder, der irgendeine Art von Beruf hat, bekommt ein fixes Einkommen und Absicherung und das trifft hier nicht zu. Man könnte sagen, Künstler können machen was sie wollen, aber das stimmt ja gar nicht. Weil ja die Häuser kuratiert sind und man auch ganz viel im Auftrag macht.
Wie machst Du es jetzt?
Bitterli: Ich habe nebenher einen anderen Beruf gelernt. Ich bin jetzt Volksschullehrerin. Den Tanz, die Kunst, mach ich jetzt wirklich frei. Ich kann frei entscheiden, wann ich was mache. Auch wie viel. Jemand der wirklich von Subventionen abhängig ist und im Kulturbetrieb drin ist, der braucht ja pro Saison zumindest eine Premiere. Das ist ja ein unglaublicher Produktionsdruck. Und alleine davon auszugehen, dass ein Künstler immer gleich kreativ ist…sein Leben lang, das ist auch ein falscher Gedanke. Manchmal ist ein Jahr, wo man viele Ideen hat, da gibt es viele Premieren. Aber dann gibt es auch wieder Jahre wo man keine Ideen hat, aber man kann sich das gar nicht leisten, weil man produzieren muss. Da gibt es kein Absicherungsnetz, das einen da auffängt. Ich mache jetzt das, was ich gerne mache und vor allem, wann ich es machen möchte, Projekte die mir wirklich Spaß machen und ich bin finanziell nicht mehr von der Kunst abhängig.
Hast du das Gefühl, dass sich das verschlechtert hat? Wie lange ist es her, dass Du sozusagen „ausgestiegen“ bist?
Bitterli: Sechs Jahre. Nein es hat sich nicht verschlechtert. Aber ich bin älter geworden. Ich glaube dieses System passt gut für Junge. Und dann hab ich Kinder bekommen, ich war nicht mehr so flexibel… und ja, man denkt anders übers Leben nach. Und es hat dann eigentlich nicht mehr gepasst für mich. Irgendwann hat man das Gefühl, man möchte nicht mehr, dass ständig einer sagt, ob das jetzt gut oder schlecht war, ob das förderungswürdig oder nicht war. Oder ob es ins Konzept passt, wie auch immer das Kuratoren dann ausdrücken, ob etwas passt oder nicht. Das macht man vielleicht so 20 Jahre, dann ist man sozusagen erwachsen und dann will man das nicht mehr.
Hast Du solche Bewertungserlebnisse gehabt – von der Fördererseite?
Bitterli: Bei mir war es eigentlich immer sehr positiv, aber trotzdem ich immer Geld bekommen hab und immer positive Gespräche geführt hab, hab ich irgendwann gemerkt, dass ich nicht mehr mag. Das ich keinen Sinn mehr dahinter sehe. Ich habe auch das Gefühl gehabt, es sollen einmal andere drankommen, die Jungen. Sonst wird ja so eine Subvention irgendwann wie ein Fixhonorar falsch verstanden, wo man dann wahnsinnig enttäuscht ist, wenn man es nicht mehr bekommt. Aber es war gar nicht vorgesehen, dass man es immer bekommt.
Im Kulturbetrieb, beim Tanz ist nichts da, wo man sich überlegt hat, was macht man jetzt mit den Künstlern, die man jetzt 20 Jahre gefördert hat. Was passiert, wenn sie älter werden? Was passiert, wenn jemand nach 20 Jahren kein Stück mehr machen möchte, eine Pause braucht, was anderes probieren möchte? Es gibt ja keine finanzielle Vorsorge.
Wie kannst du jetzt ohne Förderung künstlerisch arbeiten?
Bitterli: Weil mich Leute anfragen, die selber Subventionen bekommen. Ich werde engagiert. Oder halt von Häusern kommt ein Auftrag zu einem Thema. Oder ich mach selber etwas, wie das Projekt „Tausendfüßler“ und vom Tanzquartier war das Thema „Erinnerung“ vorgegeben, wozu das dann dazu passt. Aber ohne Förderung gehen sich nur Solos aus, mit dem Budget kann ich kein Gruppenstück machen.
Kriegst Du ein Honorar?
Bitterli: Ja aber davon kann ich nicht leben. Deswegen habe ich beschlossen, einen Fixjob zu machen. Von der Kunst möchte ich nicht Geld erwarten. Ich möchte wirklich das machen können, was ich machen möchte. Aber wenn du mit der Kunst Geld verdienst, kannst du dir das nicht immer leisten. Da musst du schauen, dass es erfolgreich ist und gefällt.
Wie war das als du noch um Förderungen angesucht hast?
Bitterli: Bei mir war kein Druck, dass ich mal nicht gefördert worden bin. Aber ich hab mich irgendwann gefragt, wo ist die Perspektive? Seh ich mich, wenn ich 60 Jahre alt bin, noch einreichen, bei einem Kuratorium, wo die Kuratoren 20 Jahre jünger sind und vielleicht gar nicht mehr die Art von Tanz kennen, mit der ich aufgewachsen bin. Was ist mit der Erfahrung, auf die wir aufbauen?
Hast du das Gefühl, dass es keinen Platz mehr hat?
Bitterli: Das ist unterschiedlich, manche gehen halt mehr ins Unterrichten. Ich finde es ja spannend wenn nicht nur junge Leute auf der Bühne stehen und tanzen, sondern auch ältere Menschen. Aber für ältere Menschen ist es halt schwieriger. Ich finde es sagt ja schon ganz viel, dass hauptsächlich junge Menschen auf der Bühne stehen. Das sagt ja auch schon ganz viel, dass das eben bis zu einem gewissen Punkt gut geht und dann…. Jetzt was den Tanz betrifft, man wird ja älter, dann geht nicht mehr so viel, das ist eh klar, aber es ist schwieriger auf der Bühne zu bleiben, als für junge Leute. Es gibt viele Festivals für junge Leute, es gibt Förderung für junge Leute, Stipendien für junge Künstler, das wird sehr unterstützt. Und dann ist man etabliert und worum geht’s dann? Um Positionen zu halten.
Es gibt Studie zur sozialen Lage freier Kunstschaffender, die besagt, dass verstärkt nur Leute aus der Mittelschicht so tätig sind. Und bezüglich Altersstruktur im freien Schaffen – kann man es sich verstärkt nur als junger Mensch „leisten“ Künstler zu sein. Führt das jetzige System dazu, dass viele junge Leute anfangen, das eine Zeitlang machen, aber wieder aufhören müssen, weil man nicht wirklich davon Leben kann?
Bitterli: Genau, weil die Sicherheit fehlt, weiterzumachen. Das mit der Mittelschicht stimmt komplett. Da muss man sich zuerst die Ausbildung leisten können. Entweder ist es, dass man das nur als Kind machen kann. Dass Du in eine Ballettschule gehen kannst, dass geht ja auch nur wenn man es sich leisten kann. Ich war zum Beispiel in der Staatsopernschule. Es ist ja nicht so, dass Du gleich in die Staatsoper gehst, vorher musst du in eine private Ballettschule, das muss erst einmal bezahlt werden. Erst dort sagen die Ballettlehrer: „Ich glaube Ihre Tochter ist begabt, die könnte vielleicht sogar in die Staatsoper gehen.“ Das musst du dann nicht mehr bezahlten, das zahlt schon der Staat. Aber dort kommst Du als Unterschicht gar nicht heran. Und du brauchst ja extra Kleidung: Spitzenschuhe, Trainingsgewand, Sprungschuhe... Das ist wie bei anderen Sportarten, das ist eine finanzielle Belastung.
Nachdem Du schon länger als freie Künstlerin tätig bist, hast Du das Gefühl, das ist schlechter geworden in der freien Szene?
Bitterli: Na ja, viele in meinem Bereich nähern sich dem 50-er, die wechseln jetzt sehr stark in den Bereich Yoga, wo sie versuchen, mit dem Geld zu verdienen. Und die kommen fast alle aus der Mittelschicht. Es gibt ganz wenige, die aus prekären Familienverhältnissen kommen und dementsprechend anders ist auch ihre Kunst.
Die Kunst erreicht dann auch eher die Mittelschicht nur?
Bitterli: Ja natürlich, wer ins Theater geht, kommt meist aus der Mittelschicht, es ist einfach so. Ich meine, es gibt so Initiativen wie Hunger auf Kunst und Kultur, wo man Menschen Theaterkarten bezahlt, damit sie auch ins Theater können. Das ist spannend, weil sonst bleibt Kunst immer unter sich.
Wie oft kannst Du jetzt Projekte machen?
Bitterli: Durchschnittlich einmal pro Jahr eine Premiere, aber es ist deutlich weniger, als ich früher gemacht habe und als man macht, wenn man Subventionen kriegt.
Bis vor sechs Jahren hattest Du Jahresförderungen oder Stückförderung bekommen?
Bitterli: Zuerst war es eine Zweijahresförderung, am Schluss dann eine Einjahresförderung.
Worum geht es bei Deinem Stück, das bei Feedback gezeigt wird: „Der Tausendfüßler (Was bleibt?)“?
Bitterli: Also das ist ein Lebensprojekt, glaub jetzt seit 13 Jahren. Ich tanze durch mein Leben und höre nicht mehr auf. Ich versuche damit überall hinzukommen und durch den Tanz Leute kennenzulernen und durch den Tanz in Situationen zu kommen, in die man sonst vielleicht nicht kommt. Leute zu besuchen und zu schauen, was macht der Tanz mit Menschen. Das ist eine fixe Bewegungschoreografie und mit dieser Choreografie besuche ich gemeinsam mit einem Kameramann Menschen in ihren Wohnungen und tanze für sie. Und auf den Videos sieht man, wie sie auf meinen Tanz reagieren, wie sie sich in ihren Wohnungen verhalten, wie ihre Wohnsituation ausschaut und was dort passiert. Da hab ich mittlerweile ganz viele Aufnahmen. Im „Tausendfüßler“ geht es um das Feiern des Tanzes. Wie schöne Begegnungen es gibt: manche machen mit, andere lachen, manche verstecken sich in ihren Wohnungen. Die Kinder kommen auf einen zu und machen sofort mit. Man sieht aber auch ältere Menschen, die sich total freuen, dass Besuch kommt. Und andere Kulturen - weil ich auch in anderen Ländern damit war. Die Bewegungen aus dem Video tanze ich auch live auf der Bühne, nach einer Weile kennt das Publikum die Bewegungen. Aber auf den Videos sieht man immer neue Wohnungen, wo Leute immer anders auf die Bewegungen reagieren. Manche lachen und finden das total lustig, manche sind total ernst, andere versuchen das nachzumachen. Andere räumen schnell auf, damit ich genug Platz habe. Es sind so unterschiedlich Verhaltensweisen der Leute.
Wie hast Du die Leute gefunden?
Bitterli: Unterschiedlich, wenn ich im Ausland meine Stücke gezeigt hab, habe ich bei den Theatern nach Leuten gefragt: etwa nach einer alleinerziehenden Mutter, nach einem älteren Ehepaar, Familien mit Kindern oder einem alleinstehenden Mann... Ich habe nach unterschiedlichen sozialen Bildern gefragt. Ich habe die Leute vorher noch nie gesehen oder gehört, bevor ich zu ihnen gegangen bin - noch wusste ich, wie die Wohnung ausschaut. Es ist die Tür aufgegangen und der Tanz hat den Raum erobert. Die Leute wurden oft aus dem Theater-Publikum rekrutiert.
Das Stück macht immer neue Ausschnitte und geht immer weiter. Es geht auch um Zeit, wie relativ Zeit ist. Man sieht, dass Zeit vergeht auf den Videos, aber auch nicht wirklich. Man kann nicht sagen, was war vor zehn Jahren und was war gestern, das verschwimmt. Je älter ich werde, desto mehr könnte man das dann sehen, aber eigentlich ist es als Lebensprojekt gedacht. Wie lang geht’s eigentlich? Wie lang kann man eine Phrase durchhalten. Die Arbeit wurde bisher in Europa und Japan gezeigt.
Gabs besondere Erlebnisse?
Bitterli: Ja, ich war bei einem Einsiedler im Burgenland, da wusste ich gar nicht, was mich erwarten wird. Ich hab ihn fast nicht gefunden, weil der auf einer Wiese in einem Holzverschlag gewohnt hat. Das war ganz abseits gesellschaftlicher Konventionen. Ich wollte auch weg von der Bühne, weil du dort das Publikum immer auf Distanz hast. Und diese Distanz wollte ich mit dem Stück überschreiten. Wenn jemand eine Bewegung bei Dir zu Hause macht, bedeutet sie etwas ganz anderes, als wenn ich im Theater sitze und sie dort anschaue. Das kommt viel näher zu mir, in einer Privatwohnung.
Wie genau ist das abgelaufen in der Wohnung?
Bitterli: Ich komme in die Wohnung, die Leute wissen, dass gedreht werden wird. Ich beginne gleich zu tanzen. Jeder Dreh dauert so zehn Minuten und danach redet man miteinander, als ob man sich schon ganz lang kennt. Der Tanz hat etwas geöffnet.
Feedback 4th edition von 24. April bis 27. April Tanzquartier Wien, Brut Wien, Infos www.tqw.at, Milli Bitterli, Der Tausendfüßler (Was bleibt?) a livelong project 25. April, 22 Uhr, Brut-Wien, http://brut-wien.at/