Nach längerer Abwesenheit von Wiens Bühnen bringt Choreograf Nikolaus Adler sein neuen Stück „Balthazar“ am 28. April im Theater Nestroyhof – Hamakom zur Uraufführung. Inspiriert wurde er dafür von einem Esel, nämlich jenem aus Robert Bressons Film „ Au hasard Balthazar“ aus dem Jahr 1966. Dieser wurde übrigens von Tilda Swindon bei einem Viennale-Gespräch als „bester Schauspieler“ bezeichnet.
Die Schlussszene, in der der Esel Balthazar inmitten einer Schafherde stirbt, ist der Ausgangspunkt für das Tanzstück „Balthazar“, für das sich Nikolaus Adler zu einer für ihn neuen Arbeitsmethode entschlossen hat. „Ich finde es immer schön, dass man sich abhängig vom Konzept ausdenkt, wie man am Besten zum Ziel kommt“, sagt er. „Nachdem ich diesen Film von Bresson wieder gesehen habe, habe ich mich gefragt, wie es ein Esel schafft, mich zu Tränen zu rühren. Ich habe mich dann mit Bressons Filmtheorie beschäftigt. Er nennt es ‚das Arbeiten mit den Modellen’, indem er nur mit Laiendarstellern arbeitet, um Distanzierung zu erreichen. Nicht der Schauspieler soll seine Emotionen vorleben, sondern der Zuschauer mit seinen Emotionen die Projektionsfläche füllen.“
Wie könnte er also, was Bresson im Film so meisterhaft gelang, im Tanz umsetzen? „Ich wollte nicht mit Laien arbeiten, sondern die Frage war vielmehr, wie kann ich seinen Ansatz mit meiner Arbeitsweise verbinden.“
Die Antwort war, dass nicht er, sondern die sechs Tänzer die Choreografie zu einzelnen Szenen entwickelten, aufgrund von Aufgabenstellungen, die er ihnen vorgab, bevor und nachdem sie den Film gesehen hatten. „Ich habe also zwei Probenblöcke geplant. In der Pause zwischen den beiden Blöcken erarbeite ich anhand des Materials die Dramaturgie in einer Art Montage, ähnlich wie im Film. Im zweiten Teil habe ich dann die persönlichen Geschichten der Darsteller auf einen anderen Tänzer übertragen lassen; in der Hoffnung, dass es dadurch universeller lesbar wird und der Zuschauer seine eigenen Emotionen abrufen kann.“ Gleichzeitig mit der Stückdramaturgie hat Sarah Haas das Bühnenbild und der Pianist und Songwriter Martin Klein die Musik kreiert.
Die Filmszene, die dem Tanzstück zugrunde liegt, wird nicht gezeigt, und kommt dennoch vor: „In einer der ersten Szenen werden von drei Darstellern die Spielregeln vorgegeben. Wie in einer Filmanalyse liest einer die Schnitte, einer die Soundspuren und einer die Bilder. So dass ganz trocken und einfach klar ist, worum es geht. Und aus den Momenten dieser Analyse entstehen die choreografierten Geschichten. Der Film wird also thematisiert, auch wenn er nicht gezeigt wird. Am Ende bleiben nur noch Versatzstücke, wie das Schubert-Stück, oder eine Geste, die auf die Filmszene verweisen.“
Nikolaus Adler, 1974 in Wien geboren, ist Absolvent der Ballettschule der Österreichischen Bundestheater, von 1993 bis 2007 war er Mitglied des Balletts der Wiener Staatsoper, 1995 schuf er seine erste Choreografie. Wie gelang ihm der Übergang von der klassischen Grundlage ins zeitgenössische, moderne Fach?
„Es gab bei mir ein Schlüsselerlebnis, als ich mit 13 oder 14 Jahren aufhören wollte zu tanzen, weil ich bemerkt habe, Tanz ist nur Kunst um seiner selbst willen. Das erste Mal, als ich Pina Bausch live gesehen habe, war der Moment, wo ich erkannt habe: Tanz kann mehr, kann mich berühren, mich bewegen. Oder Hans van Manen, der mit einer Geste oder einem Blick mehr erzählen kann als andere mit einem ganzen Stück. Ich muss auch sagen, dass ich großes Glück hatte und dass wir in der Ballettschule unter der Leitung von Michael Birkmeyer bereits Zugang zu neoklassischen Stücken und moderneren Techniken hatten. Ich habe mich schon damals stark für moderne Inszenierungen interessiert. Insofern war bei mir schon ziemlich früh klar, in welche Richtung ich gehen werde. Wobei ich nach wie vor sehr froh bin, die Klassik als Basis zu haben, weil ich finde, das ist noch immer der ideale Ausgangspunkt, wenn man sich nicht total von der Technik einengen lässt.“ Daher findet er auch dass das choreografische und tänzerische Handwerk „nicht der Star, sondern das Transportmittel“ sein sollte.
Es ist nicht das erste Mal, dass Nikolaus Adler für seine Tanzstücke auf Filme zurückgreift, denn: „Film gehört zu meinen großen Lieben“, sagt er. Eine Zeitlang hat er mit Genrefilmen gearbeitet, „weil dort ähnlich wie in der griechischen Tragödie die Regeln klar sind, und man kann entweder die Regeln bedienen oder man kann dagegen arbeiten.“ Ein Beispiel war das letzte Stück, das er in Wien produziert hat, „Do not forsake me, oh my Darling. The Ballade of High Noon“, das sich an Western orientierte.
„Balthazar“ wird hingegen ein „Tanzessay, dokumentarisch und subjektiv und als Montage komponiert. Man muss den Film nicht kennen. Was man sieht ist ein Spiel mit Szenen und Bildern. Es geht darum, was passiert dir, als Zuschauer, mit dem Stück.“
Denn die Reaktion des Publikums versucht Nikolaus Adler bei seiner Arbeit mitzudenken, nicht um sie in eine bestimmte Richtung zu lenken, aber um ihr Raum zu geben. „Ich will Stücke machen, die ich gerne selber sehen würde: Dinge, die mich berühren, die die Bibliothek der Erinnerungen, die man glaubt vergessen zu haben, wieder aufruft. Ich liebe es, wenn ich Stücke sehe und plötzlich kommt so ein Gefühl hoch, dass ich denke, das kommt mir so vertraut vor, und ich erst nachdenken muss, aus welcher Lebenssituation mir das bekannt ist … Dinge, die einen lächeln oder weinen lassen.“
Nikolaus Adler: „Balthazar“, Premiere am 28. April 2016 im Theater Nestroyhof – Hamakom, Weitere Vorstellungen: 29., 30. April, 4., 6. Und 7. Mai
Die Schlussszene von „Au hasard Balthazar“ ist auf youtube abrufbar.