Willi Dorner ist einer der international bekanntesten konzeptuellen Choreografen. Er arbeitet viel, in ganz Europa, in den USA, auch in Asien, nicht gar so oft ist er an seinem Wohnort Wien zu sehen. Das könnte sich nun ändern. Als Artist in Residence im Festspielhaus St. Pölten wird er unter anderem am 1. November seine "Tanzkaraoke" präsentieren. Bereits am 5. Juni wird er damit den "MQ Summer of Sounds" eröffnen. Am 19. Juli wird sein Stadtparcours „bodies in urban spaces“ Premiere in Bozen haben.
Bewegter Parcours. Mit seinen mobilen Stadtinstallationen belebt Willi Dorner seit Jahren die Städte rund um den Globus. Seine „bodies in urban spaces“ etwa wurden seit ihrer Uraufführung beim Festival Paris Quartier d’été im Juli 2007 an die 100 Mal realisiert. Quasi in ganz Europa, von Skandinavien bis in die Türkei, von Russland bis Irland, in vielen Städten der USA und Kanada, in Japan und Seoul haben sich lokale Tänzerinnen unter die Kuratel der Compagnie Willi Dorner stellen lassen und sind für einen kurzen Moment Teil der Stadtarchitektur geworden. Die Körper in bunten Sweatshirts, Hosen und Sneakers füllen Lücken in Häusern, quetschen sich zwischen Wände und Straßenschilder, hängen sich über Laternenmaste, picken wie Rieseninsekten an Wänden oder legen sich als Teppich auf Treppen.
Als Tableaus vivants machen sie architektonische Details sichtbar, die man im Alltag übersieht, und die sogar bei einem aufmerksamen Stadtbummel nicht unbedingt ins Auge springen: Ränder, die gewöhnlich unbeachtet bleiben, Brüche, Fugen und Spalten an Gebäuden, insbesondere dort, wo sie aneinander stoßen. Dorthin will der Choreograf Willi Dorner die Aufmerksamkeit lenken, denn ein Thema, das ihn brennend interessiert, ist die Frage, wie Wahrnehmung funktioniert. „Ich positioniere die Performer oft ganz bewusst über unserer Blickachse“, sagt er. „In der Stadt, in der wir leben, schauen wir gewöhnlich nicht nach oben. Wir haben ja nicht den Blick eines Touristen. Ich möchte, dass die Bewohner wieder ihre Stadt sehen.“ Mit seinen temporären Interventionen lädt Dorner zu einem gemeinsamen Spaziergang ein, um die Stadt neu zu entdecken, aber auch um miteinander ins Gespräch zu kommen.
Am 19. Juli ist Bozen-Premiere von „bodies in urban spaces“ (). Weitere Stationen sind heuer Paris und verschiedene andere Städte in Frankreich sowie Dublin, Cincinatti, Chicago, Liverpool, Belgrad und Biel. Im Museum in Cincinatti wird im Juni auch das Buch „bodies in urban spaces“ mit Fotografien von Lisa Rastl lanciert, das gerade im Hatje Cantz Verlag erschienen ist.
Choreografie, nicht Tanz. Die Arbeit von Willi Dorner ist zugleich witzig und philosophisch. Er spielt mit der städtischen Umgebung und wirft dabei essenzielle Fragen des urbanen Lebens auf. „Ich habe mich vor ungefähr zwölf Jahren auf die Suche begeben, was für mich Raum im Tanz bedeutet und habe dann sehr früh gemerkt, dass ich die Bühne verlassen muss“, sagt er in einem Interview. Nach seinem Tanzstudium am Konservatorium Wien war er Tänzer in verschiedenen Compagnien in Wien, bei Mark Tompkins Cie IDA in Paris, bei Nina Martin in New York sowie in seinen eigenen Stücken. Als er die Bühne verließ, studierte er Alexander-Technik, eine Körperarbeit, die physische und psychologische Aspekte verbindet. Durch seine Beschäftigung mit Psychologie und Tanztherapie kam es zu Zusammenarbeiten mit Wissenschaftlern und Künstlern aus unterschiedlichsten Sparten wie Architektur, Philosophie, Medienkunst, Video und Fotografie. 1999 gründete er die Cie Wlli Dorner, mit der er seine markanten Performances „bodies in urban spaces“, „urban drifting“, „above under inbetween“ oder „fitting“ entwickelte.
„Ich habe in verschiedenen Räumen gearbeitet, zum Beispiel in Wohnungen oder auf der Straße, wobei mich das Bewegungsverhalten, aber auch die dahinter stehende ökonomische Bedeutung des Raums interessierte. Neben ‚bodies in urban spaces’, das am populärsten ist, arbeite ich auch an anderen Projekten, die sehr spezifisch auf die Architektur hin angelegt sind, weil mich die dahinter steckende Ordnung äußerst interessiert. Mit ihren Gebäuden produzieren Architekten immer auch Ordnungen, das heißt, sie entscheiden für uns, wie wir gehen können, wie wir uns begegnen können, wie wir kommunizieren können. Das ist für mich die große Leitlinie.“
Seine Arbeit bezeichnet er nicht als Tanz, sondern als Choreografien. „In ihrer ursprünglichen Definition ist Choreografie die Einteilung von Körpern im Raum in einem bestimmten Zeitmaß“, sagt er. „Und das passiert auch hier. Der Trail ist choreografiert, das heißt, die Position der Körper ist genau festgelegt, die Tänzer wissen, wo sie hinmüssen, der Zeitpunkt wird festgelegt und das ist Choreografie. Statt Tanz gibt es Stillleben und Momentaufnahmen. Aber wenn man sich dem Tänzer, der zwischen einer Mauer und einem Laternenmast hängt, nähert, wird klar, dass sein Körper nicht still ist und dass jeder Muskel damit beschäftigt ist, die Position zu halten.“
Von der Straße ins Wohnzimmer. Das Konzept, mit dem Dorner mit seinen Körperplastiken Räume im öffentlichen Raum sichtbar macht, wendet er seit einigen Jahren auch in privaten Wohnungen an. „living room“ ist ein fotografisches Performanceprojekt, das in Zusammenarbeit mit der Fotografin Lisa Rastl entsteht. In privaten Räumlichkeiten werden TänzerInnen platziert und fotografiert. Die dabei entstandenen Fotos werden lebensgroß in denselben Wohnungen so installiert, dass sie sich in die Umgebung einfügen und die Körperskulpturen bei der Betrachtung wie echt erscheinen lassen. Heuer wird „living room“ in Genf, Riga und Terni in Italien realisiert.
Parade um das Stadion des FC Liverpool. Am 13. Juli wird Dorner erstmals „We are the City“ in Liverpool inszenieren, als Auftrag von MDI für das gesamtbritische Tanzevene "Big Dance 2014" – „ein sehr spannendes Projekt“, sagt er. Dabei handelt es sich um eine Parade „von Menschen, die Berufe machen, die wir für selbstverständlich halten, aber deren Gesichter wir nie sehen“. Dazu zählen Hausmädchen, Sozialarbeiter, Kanalräumer oder Handwerker, die die Stadt instand halten. Das Projekt findet im Stadtteil Anfield statt, in dem das Stadion des FC Liverpool steht. „Rund um das Stadion sind die Häuser verlassen und zugenagelt, die Leute ziehen weg.“ Eine Gruppe von Bikers – „wilde Hunde, die aber immer wieder Charity-Projekte machen“ – wird die Parade von 250 bis 300 Leuten um das Stadion anführen. Kinder einer sozialen Einrichtung für verhaltensgestörte Kids, die dort regelmäßig Tanzunterricht bekommen, werden dabei tanzen.
Dorners Arbeit ist stets von sozialen Aspekten begleitet. Immer wieder sucht er sich für seine Arbeiten vernachlässigte Stadtgebiete aus, „um den Leuten die Gegend zu zeigen. Man hört immer nur das Schlechte, aber man weiß eigentlich nicht, was dort vorgeht und was getan wird, um die Gegend zu retten.“
Tanzkaraoke. Ein Format, bei dem Dorner ganz auf das Choreografieren verzichtet ist die „Tanzkaraoke“. „Das ist mein ironischer Kommentar zur gegenwärtigen Idee, dass jeder ein Star sein kann.“ Das Prinzip funktioniert wie beim Karaoke-Singen. Man sieht die Videos auf einer großen Leinwand, und das Publikum auf dem Dance Floor bestimmt, welches Video gespielt wird und lernt die Choreografie der „Startänzer“. Durch die Spiegelreflexion liege darin „auch ein therapeutisches Element“, sagt Dorner. „Der Effekt ist durch das Imitieren der Bewegung einer anderen Person erreicht – du musst sie kennen bevor du sie machen kannst. In diesem Fall choreografiere ich nicht, ich finde nur die Bewegungen der Leute und setzte sie zusammen, indem ich eine Plattform aus dem Showbusiness verwende.“
Auch bei diesem Format gibt es verschiedene Versionen. So wurde vor einigen Jahren bei ImPulsTanz die „Starversion“ realisiert, bei der renommierte Choreografen des Festivals zu ihrer Lieblingsmusik tanzten. Am 5. Juni werden Choreografen des Tanzquartier Wien wie Oleg Soulimenko, Raul Maia, Anna Novak oder Alexander Gottfarb auf der Leinwand tanzen. In St. Pölten wird die „Tanzkaraoke“ am 1. November im Großen Saal – an einem Abend mit der Uraufführung von Hofesh Shechters neuem Stück „We Know“ – stattfinden. Dafür wird Willi Dorner auch in die Fußgängerzone gehen und die Leute dirket ansprechen und um eine „Bewegungsspende“ bitten.
Was seine weitere Arbeit als Artist in Residence in St. Pölten betrifft hält sich der Choreograf noch bedeckt: Er arbeite an einem Projekt, das er auch auf der Bühne zeigen werde, antwortet er noch recht krytisch auf die diesbezügliche Frage.
Cie Willi Dorner: „Tanzkaraoke“ am 5. Juni im im Rahmen der Eröffnung von "MQ Summer of Sounds" in Zusammenarbeit mit dem TQW und am 1. November im Festspielhaus St. Pölten.
„bodies in urban spaces“ am 19. Juli bei Tanz Bozen