Kirill Kourlaev: Russische Seele
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Dunkle Charaktere als Meilensteine der Karriere
Weil Kirill Kourlaev im Leben ein sehr positiv denkender, fröhlicher Mensch ist, der selten traurig ist, genießt er, dass er auf der Bühne oft auch die eher dunklen, schwierigen Charaktere verkörpern darf. Als stärkste Rolle empfindet er den Tybalt: er sieht ihn als eiskalten Menschen, dem die Familienehre am wichtigsten ist, für die er bereit ist zu kämpfen und zu sterben. Die Figur des Karenin dagegen leidet furchtbar, ist gefangen in den Konventionen der damaligen Gesellschaft. Doppelt gefordert sieht er sich dabei, weil es hier nicht nur um die Ausdrucksfähigkeit geht, sondern weil dieser Part durch den akrobatisch-gymnastischen Stil auch technisch sehr anspruchsvoll zu tanzen ist. Anfang Juni kommt Boris Eifman nach Wien, um die Endproben für die Wiederaufnahme mit Übersiedlung an die Staatsoper zu überwachen. Eigentlich sterbe ich fast immer“, sinniert Kourlaev, wenn er an seine Auftritte als Hilarion, Tybalt oder Lescaut denkt. Eine Figur in einem Ballett im Lauf der Handlung zu entwickeln und mittels starker Ausdrucksfähigkeit zu gestalten reizt ihn immer sehr. Das ist in seinen Augen viel spannender als ein Prinz zu sein, der bloß schön und elegant tanzen muss. Dass er im Gestalten einer Partie sehr überzeugend ist, hat er bereits vielfach bewiesen. Als große persönliche Wunschrolle sieht er den Romeo; auch den Crassus aus Zanella´s „Spartacus“ würde er sehr gern aus der jetzigen Erfahrungssicht und dem zeitlichen Abstand der vergangenen Jahre noch einmal machen. Seit seiner Begegnung mit Roland Petit und der Auseinandersetzung mit dessen Person und Werkschaffen, reizt ihn auch „Le Jeune Homme et la Mort“. Seiner russischen Seele entsprechend wäre er auch sehr gern einmal Onegin. In einem bedeutendem Opernhaus wie in Wien sieht er es als Pflicht an, die Balletttradition zu wahren wie es hier geschieht, aber auch den Weg für den neuen, zeitgenössischen Tanz zu ebnen.
Vielseitigkeit als Persönlichkeitsbildung
Auf die nächste Saison freut er sich daher ganz besonders, weil es da mit „Ballett: Carmen“ von Davide Bombana und dem „Sommernachtstraum“ von Jorma Elo zwei sehr spannende neue Produktionen geben wird. „Jede Arbeit mit einem Choreografen bringt mich als Tänzer in meiner persönlichen Entwicklung weiter, weil ich da viele verschieden Erfahrungen machen kann. Die Tänzerkarriere ist eigentlich so kurz, diese Zeit muss man bestmöglich nützen“, ist er aufgeschlossen für alles Kommende. Um selbst zu choreografieren, dafür fühlt er sich noch nicht reif genug. „Es gibt zwei Arten von Choreografen - die einen werden als solche geboren, die anderen müssen viel erlebt haben, damit sie etwas zu erzählen haben“, lässt er künftige diesbezügliche Tätigkeiten noch offen. So findet er es sehr gut, dass es mit choreo.lab die Möglichkeit für junge Choreografen gibt, sich auszuprobieren. Bei der Arbeit mit Kollegen hat er diese in den vergangenen Jahren von anderen Seiten kennen gelernt als in der üblichen täglichen Trainings- und Probenarbeit.
Problematische Beziehungsgeschichten
Sowohl bei „Anna Karenina“, als auch bei der „Fledermaus“ geht es um zwischenmenschliche Beziehungskonstellationen. Handelt es sich bei ersterem Werk um eine dramatisch endende Literaturumsetzung, ist die Grundstimmung in der „Fledermaus“ natürlich sehr heiter und das Stück äußerst unterhaltsam. Wie kam er mit der Figur des Johann zurecht, die er interpretieren sollte? „Männer gehen doch immer wieder gern auf die Jagd nach Frauen“, meint er da. „Obwohl ich im Leben glücklich liiert bin, macht es doch großen Spaß, auf der Bühne einen Filou und Lebemann darzustellen. Johann ist immer auf der Suche nach neuen Abenteuern, dabei hat er eine schöne Frau und sollte glücklich im Kreis seiner Familie sein.“ Daher hat er Verständnis für Bella, die ihrem Mann letztendlich die Flügel abschneidet: „Johann hat damit endlich verstanden, dass sein Glück zu Hause liegt.“ Es gibt im russischen ein Sprichwort, das sinngemäß meint: zu Gast sein ist gut, aber zu Hause ist es besser.“ Tänzerisch gesehen will er diese Partie nicht unterschätzt wissen: „Die beiden männliche Hauptrollen haben hier viel zu tun.“ So sieht er diese Rolle als interessante Erfahrung, weil er die Freiheit im Tanz genoss - schließlich handelt es sich hier um kein klassisches Ballett im üblichen Sinn, sondern um ein revuehaftes Werk mit amüsanter Handlung.
Früh übt sich…
Mit sechs Jahren steckte seine Mutter den aufgeweckten Buben mit großem Bewegungsdrang in eine private Ballettschule, kurz darauf hatte er bereits seinen ersten Auftritt - auf der größten Bühne in Moskau, die sich im olympischen Dorf befindet: zusammen mit 5 anderen Buben tanzte er einen typischen russischen Männertanz. Bereits ein Jahr zuvor war er im russischen Fernsehen zu Weihnachten gemeinsam mit Väterchen Frost und einer Kindertanzgruppe zu sehen gewesen. Mit 10 Jahren wechselte er an die klassische Ballettschule in Moskau, betrieb aber vorerst weiterhin parallel dazu professionell Leistungssport wie Schwimmen, Akrobatik und Taekwondo. So oft es ging, trainierte er als Jugendlicher an den Wochenendtrainings freiwillig zusätzlich bei den Tänzern des Bolshoi Balletts mit. Dort wurde er von Alex Ursuliak entdeckt, der den talentierten Jüngling nach St. Pölten ans Ballettkonservatorium von Michael Fichtenbaum holte. Ursuliak wurde dort sein ihn formender und fördernder Lehrer. So früh die Familie zu verlassen und in ein Land fern der Heimat ohne Sprachkenntnisse zu gehen, fiel ihm anfangs sehr schwer, aber viele Menschen halfen ihm in dieser Anfangsperiode der Eingewöhnung. Sie haben ihm das ungewohnte Leben leichter gemacht, ist er noch heute dankbar. Das Abschlussjahr absolvierte der aufstrebende Bursche an der Bundestheaterballettschule, wo er Renato Zanella wieder traf, der damals für den Prix de Lausanne ein Solo für ihn kreiert hatte, als er noch am Ballettkonservatorium in St.Pölten in der der Ausbildung war. Dieser holte ihn zunächst als Eleven in die Compagnie, dann 2001 mit Vertrag. Beim Prix de Lausanne kam er bis ins Semifinale, beim österreichischen Ballettcontest 2000 errang er den 3.Platz. Wettbewerbe sind gute und notwendige Erfahrungen für junge Tänzer, meint Kourlaev, aber wichtiger sei es, sich im Ensemble zu bewähren. Was ihm bestens gelungen ist, denn 2004 avancierte der junge Tänzer zum Halbsolisten und nun zum Solotänzer. Seinen beiden bisherigen Ballettdirektoren Renato Zanella und Gyula Harangozó verdankt er viel. Auch Manuel Legris, der designierte Ballettchef hat ihn bereits tanzen sehen - als Johann. Es ergab sich auch kurz die Gelegenheit zu einem Gespräch und Kirill Kourlaev freut sich schon auf die künftige Zusammenarbeit unter Legris Leitung.
Privates Glück
Seit fast zwei Jahren ist er glücklich mit Solotänzerin Maria Yakovleva. Es hat lange gedauert, bis sich die beiden gegenseitig ihre Gefühle eingestanden haben - als sie in der „Tanzhommage an Queen“ miteinander „Love of My Life“ tanzten, funkte es dann endgültig. Das glückliche Strahlen in ihren Gesichtern, wenn die beiden darin zu sehen sind, ist also echt. „Eine Beziehung muss wie eine Pflanze keimen und wachsen. Wenn man sie sozusagen symbolisch gesehen gießt, also sich täglich darum bemüht, dann blüht sie, wenn nicht, dann verwelkt sie“, erläutert er seine Auffassung von Beziehungsarbeit. Das private Hochgefühl ist seine Energiequelle für den Beruf. Natürlich würden sie gern öfter miteinander tanzen, aber das hat sich noch nicht so oft ergeben. Bei wichtigen Vorstellungen drücken sie sich gegenseitig die Daumen - damals bei der „Fledermaus“-Premiere war Mascha in China auf Gastspiel, als Kirill sein Avancement verkündet bekam - da konnte sie zunächst seine Freude nur am Telefon mit ihm teilen. In der Wiederaufnahme von „Anna Karenina“ wird sie aber im Publikum sitzen, wenn Kirill Kourlaev als betrogener Ehemann Qualen leiden wird - für Kirill Kourlaev ist immer die aktuelle Rolle gerade die wichtigste.
Ein Traum wird wahr
„Natürlich träumt jeder Tänzer davon, Solist zu werden; aber für mich kam das Avancement dennoch völlig überraschend“, ist der sympathische junge Mann immer noch überglücklich. Dabei war er ursprünglich gar nicht als Premierenbesetzung für den Johann geplant gewesen. „Vladimir Shishov hatte sich verletzt und Luigi Bonino, der die Einstudierung der Solisten betreute, sah mich in einer Vorstellung als Drosselmeyer und bekam damit eine Ahnung von meiner künstlerischen Darstellungsfähigkeit“, erzählt Kirill Kourlaev von den für ihn unerwarteten Ereignissen. Als sich später auch Roman Lazik verletzte, übernahm Kourlaev nicht nur kurzfristig die Bühnenproben und die Einführungsmatinee, sondern er war plötzlich die erste Besetzung für diesen Hauptpart. Ein bisschen nervös wurde er, als dann Roland Petit zu den Schlussproben erschien: „Herr Bonino sagte zu mir nur: geh auf die Bühne und zeig, was du kannst.“ Nach der Probe lobte Monsieur Petit ihn und war sehr zufrieden mit Kirills Interpretation. Er stellte in Aussicht, dass Kourlaev auch bei anderen Produktionen künftig einmal für ihn werde tanzen dürfen. So sehr Kirill Kourlaev das Verletzungspech der anderen Kollegen bedauert, so froh ist er diesmal über die positive Wendung, die daraus für ihn erwachsen ist.