Pin It

Romy10Hier gibt die Musik den Ton an. Enrique Gasa Valgas Tanzstück „Romy“ für und mit der Limonada Dance Company am Deutschen Theater München beginnt bei nur halbgeöffnetem Vorhang mit den Klängen von Willy DeVilles „Heaven Stood Still“. Daraus entwickelt sich ein ein packender Tanztheaterabend über die Ikone des französischen Films Romy Schneider.

Die Romy-Darstellerin schaltet die Lichter an ihrem Schminktisch ein. Ihrer Figur verleiht Camilla Danesi sofort eine intensive emotionale Tiefe. Müde zündet sie sich eine Zigarette an. Den Text des Songs wird die stimmlich wieder großartige Greta Marcolongo allerdings erst zum Schluss dazu singen. So melancholisch-melodiös und geradezu leitmotivisch rundet sich Gasa Valgas berührende Innenschau einer Frau, die für die Schauspielkunst alles gegeben, alles geopfert hat.

Wenn das getanzte Biopic beginnt, ist Romy Schneider bereits am Ende ihres Lebens angekommen. Erschöpft blickt sie auf ihre bewegte Vergangenheit zurück. Eine zweite Tänzerin tritt hinter sie, berührt ihre Schulter, ergreift ihre Hand. Chiara Malavasi – das Gesicht weiß geschminkt, später spielt sie mit einer Maske – verkörpert die Rolle „Romys Schatten“. Als weitere eindrucksvolle Interpretin, die zuletzt als einzige auch in Spitzenschuhen tanzt, ist sie Romys innere Stimme. Malavasi steht für die unbeirrbare, verführerisch-starke, Romy seit ihrer Kindheit antreibende Kraft und ihr seelisch-emotionales, feministisch-freigeistiges Alter Ego. Romy4

Irgendwann blockt diese Stimme jegliche Vereinnahmung entschlossen ab – durch den sexuell übergriffigen Stiefvater (Locke Venturato als Hans Herbert Blatzheim) wie durch die ehrgeizige Mutter (immer elegant auf Zack: Lara Brandi als Magda Schneider). Im ersten Teil tanzt Malavasi ein langes Solo zu Charles Aznavours „La Bohème“. Romy – nun in Paris und verliebt in Alain Delon – raucht. Die Plakate ihrer legendären „Sissi“-Filme gehen dazu im Hintergrund in Flammen auf. Um Romys Befreiungsschlag und ihre innere Befriedigung darüber deutlich zu machen, ist das ein ausgezeichneter Effekt. Viele solcher Ideen und schlüssige Übergänge bereichern den Abend – weit über die Spitzenleistungen der insgesamt 13 Tänzerinnen und Tänzer in elf namentlich benannten Rollen hinaus.

Romy2Am Esstisch zeigt Gasa Valga die Streitereien der Familie Biasini konkret als stilisierte zwischenmenschliche Auseinandersetzungen. Und das damalige Lebensgefühl am Strand von Saint-Tropez bringt er – gespickt mit Modezitaten – nicht nur auf den Punkt, sondern sogar zum Tanzen. Gleich in der ersten Szene bei voll aufgezogenem Vorhang skizziert der Choreograf das flüchtige Bild einer schwierigen Familienkonstellation. Wie noch oft im Verlauf dieses Handlungsballetts lässt er Reales und das Ambiente eines Filmsets ineinander verschwimmen. Eine Rückerinnerung stößt dabei die nächste an. Oft sind diese innerlich eng verquickt, so wie es bei manchen von Romys Filmrollen auch in Bezug auf ihr privates Leben tatsächlich der Fall war. 

Solche Koinzidenzen hat Gasa Valga in seiner Inszenierung ganz hervorragend herausgearbeitet, indem er Romy mit ihrer unverwechselbaren Stimme und in ausgewählten Filmdialogen selbst zu Wort kommen lässt. Ungeschönt ehrlich spricht Romy Schneider da in einem Interview über ihre Erfahrungen mit dem Starsystem in Amerika und ihrem Gefühl, den damit verbundenen Anforderungen nicht gerecht werden zu können. Das Ensemble performt währenddessen – weit vorne an der Rampe und nah dran am Publikum – in hautfarbenen Trikots eine abstrakte, in der Gruppe dennoch sehr intime Tanznummer: schöner Querverweis auf Selbstzweifel, Verletzlichkeit und die berufliche Schonungslosigkeit. Fotos und Videoeinspielungen der echten Romy ersetzen häufig – stets wohl dosiert – atmosphärisch notwendiges Dekor für diese mehr introspektive Produktion. Romy3

Für Gasa Valga scheint es keinen Anlass zu Opulenz gegeben zu haben. Alles wird heruntergebrochen auf ein familiäres Hin-und-her-Gezerre, Romys innere Zerrissenheit, ihre Beziehungen mit unterschiedlichen Männern, den Selbstmord des ersten Ehemanns und den Unfalltod ihres Sohns – meist nur schlaglichtartig beleuchtet und eher flüchtig im Erzählstil. Das macht es dem Publikum nicht unbedingt leicht, der Handlung wie Romys Partnerwechseln nach ihrer ersten und großen Liebe zu Alain Delon (völlig überzeugend: Gabriel Marseglia) zu folgen. 

Romy5Dennoch ist es Enrique Gasa Valga ausgesprochen kurzweilig und ergreifend gelungen, mit der Leichtigkeit und den gleichnishaft-sinnbildlichen Mitteln des Tanzes an Romy Schneiders tragisches Leben zu erinnern. Die subtilen Interpreten seiner Limonada Dance Company lassen nicht bloß entscheidende Momente im Leben eines der wenigen internationalen Schauspielstars in Nachkriegsdeutschland Revue passieren, sondern dringen zu den inneren Nöten einer stets am eigenen Selbstanspruch zu scheitern drohenden Künstlerin vor. Wer sich „Romy“ nicht anschaut, verpasst wirklich etwas.

Limonada Dance Company: „Romy“ von Enrique Gasa Valga. Premiere am 29. Mai im Deutschen Theater München. Weitere Vorstellungen bis 08. Juni. Von 27. bis 28. Juni gastiert die Produktion im Congress Innsbruck.

 

PS: Mehr über die Entstehung und Neuinszenierung von „Romy“ in Kooperation mit dem Deutschen Theater München: 

Romy9Nur 43 Jahre wurde sie alt. Romy Schneider starb 1982 als international geachtete Charakterdarstellerin. Es war ihr tatsächlich gelungen, die frühen „Sissi“-Erfolge hinter sich zu lassen. Mit Recht zählt sie heute zu den großen Kinolegenden des 20. Jahrhunderts. Künstlerisch angetrieben wurde sie von ihrem instinktiven Talent und ihrer fast schon notorischen Leidenschaft für die Schauspielerei. Privat führte Romy Schneider ein Leben voller Widersprüche und hatte zahlreiche Schicksalsschläge zu ertragen.

Als der Choreograf Enrique Gasa Valga dem Weltstar vor vier Jahren einen Abendfüller widmete, konnte der damalige Ballettchef des Tiroler Landestheaters bereits auf 40 erfolgreiche Bühnenstücke zurückblicken. Ihm drängte sich die Frage nach einem neuen Sujet auf. „Ich war leer“, erzählt Valga im Pressegespräch zur überarbeiteten Neuproduktion von „Romy“ im Deutschen Theater. Ein Besuch in seiner spanischen Heimat sollte Abhilfe schaffen. Die zündende Idee, ein Stück über Romy Schneider zu choreografieren, hatte schließlich Valgas Mutter. 

Filme wie „Der Swimmingpool“ mit Romy an der Seite von Alain Delon waren zu ihrer Zeit im Spanien von Diktator Franco verboten. Der Drehort in den Weinbergen unweit von Saint-Tropez mutierte zum romantischen Reiseziel, und die selbstbewusst das Image des „süßen Mädels“ negierende Schneider wurde für die Zeitgenossen zu einer Frau, die beeindruckte, weil sie sich emanzipierte und machte, was sie wollte. Die mütterliche Klarstellung „Enrique, du hast keine Ahnung: Romy ist so viel mehr als nur ‚Sissi‘“ gab Valga den entscheidenden Anstoß, sich intensiver mit der deutsch-französischen Schauspielerin zu beschäftigen. Romy8

Noch vor ihren legendär kitschigen „Sissi“-Erfolgen – Segen und Fluch zugleich – schrieb die später gefeierte Actrice über die angestrebte Schauspielkarriere in ihr Tagebuch: „Es ist wie ein Gift, das man schluckt und an das man sich gewöhnt und das man doch verwünscht.“ Diese hellsichtigen Worte der jugendlichen Romy nehmen ihre Schuldgefühle nach dem Selbstmord ihres Ehemanns und dem Unfalltod ihres 14-jährigen Sohns quasi vorweg.

Und sie bringen jenen persönlichen Zwiespalt auf den Punkt, den Valga in seiner getanzten Hommage besonders herausarbeiten wollte: „… diese brutale Liebe von Schauspielern, Musikern, Sängern für ein Publikum zu spielen und welche Opfer ihnen die Kunst abverlangt.“ Clou im Handlungsverlauf von Valgas „Romy“-Abend, der die wichtigsten Stationen wie Personen in Schneiders Leben Revue passieren lässt, ist die hinzuerdachte Schattenfigur von Romys Alter Ego.

Romy7Das Gastspiel ist das vierte der Innsbrucker Limonada Dance Company in München nach „Der große Gatsby“, „Frida Kahlo – Pasión por la Vida!“ und „Lágrimas Negras“. Weitere Kooperationen für das nächste Jahr stehen mit „Der Fall Wagner“ und „Dorian Gray“ bereits fest – so Geschäftsführer Thomas Linsmayer. Ähnlich dem Musical will er das Tanztheater noch fester im Programm seines Hauses verankern. Vor allem freut es Linsmayer, dass diesmal mit „Romy“ eine Künstlerin im Mittelpunkt steht, „mit der das Deutsche Theater verbunden ist“. Denn Romy war immer wieder dort zu Gast. Auf einem Foto sitzt sie mit ihrem damaligen Partner Alain Delon im Ballsaal.

Mit der „Romy“-Premiere am 29. Mai 2025 – dem 43. Todestag der Künstlerin – schließt sich ein Kreis für alle Beteiligten. Neben den exzellenten Tänzerinnen und Tänzern der Limonada Dance Company gibt es aber noch ein Ass im Ärmel: Erstmals begleitet – wie schon bei „Gatsby“ und „Frida Kahlo“ – die charismatische, in allen Sprachen versierte Sängerin Greta Marcolongo und ihre fantastische siebenköpfige Band live die Höhen und Tiefen von Romys tragischer Lebensgeschichte und die Szenen ihrer inneren Kämpfe. 

Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.