„Drei Meister – Drei Werke“ heißt das Programm schlicht, aber zutreffend. Ein Abend wie dieser ist eigentlich ein Standard-Programm für Opernhäuser mit klassisch ausgerichteten Ballettcompagnien. „Rubies“ von George Balanchine, „Visions Fugitives“ von Hans van Manen und „Enemy in the Figure“ von William Forsythe sind wunderbare Artefakte von ikonischen Choreographen. Das Gastspiel bot vor allem mit den beiden letzteren Werken großen ästhetischer Genuß. Christoph Stöcker leitete das Tonkünstler-Orchester während der beiden ersten Werke.
„Rubies“ ist Teil eines zentralen Werkes des Ballettkanons, „Jewels“ von George Balanchine, das 1967 vom New York City Ballet uraufgeführt wurde. Gern wird spekuliert, was „Mister B.“ seinerzeit dazu inspiriert haben mag. Man spricht vom Besuch beim Juwelier Van Cleef & Arpels auf der Fifth Avenue, der ihn zur Gestaltung seiner persönlichen Tanz-Schmuckkollektion aus Smaragden, Rubinen und Diamanten angeregt haben soll. Er selbst hat sich dazu immer wortkarg verhalten.
Als musikalische Basis wählte Balanchine für „Rubies“ das „Capriccio für Klavier und Orchester“ seines Freundes Igor Strawinski. Anders als im hier nicht gezeigten letzten Teil der Trilogie, „Diamonds“, ist der Stil nicht gemäß der Danse d‘ Ecole französischer Prägung, sondern verlässt die starre Achse klassischen Tanzes. Die Bewegungen sind der Musik entsprechend synkopisch, verdreht und verschoben, richtig jazzy manchmal. Die Tänzer:innen erfreuen zu Beginn in den berühmten roten Kostümen mit funkelndem Edelsteinbesatz, und auch tänzerisch leisten sie solide Arbeit, auch wenn die typischen Balanchine-Phrasen nicht wirklich in großer Geste gelingen. Auch kleine Unsicherheiten gibt es da und dort, doch im Vergleich zum gegenwärtigen Wiener Staatsballett zeigen sie technisch besseren neoklassischen Tanz.
Hans van Manens rhythmisch ausgefeiltes „Visions Fugitives“ zu den Klavierminiaturen von Sergej Prokofjew von 1990 stand dem Ensemble deutlich besser. Der mittlerweile 91jährige gilt als Meister klarer Strukturen und Linien mit großer Musikalität, ohne ein Formalist zu sein. Bewegung entsteht für ihn aus einem bestimmte Körpergefühl, das es in der Probenarbeit zu erreichen gilt. Es ist der Körper samt Geist, der den Menschen ausmacht, und das interessierte van Manen stets. Seine Choreographien waren lange vor heutigen Genderproblematiken demokratisch und nonbinary, und sein Fokus lag auf der Relation der tanzenden Menschen zueinander. Die meisten seiner Werke wirken zeitlos und stets gültig. Auch „Visions Fugitives“ ist so ein Stück, getanzt von sechs Tänzer:innen in architektonisch wirkenden, gestreiften Bodysuits. Das Ensemble, zur Zeit noch unter Leitung von Demis Volpi, hat das gut einstudiert und nicht nur das: van Manens Tanzsprache steht dem Ensemble ausgezeichnet.
Architektur ist noch mehr ein Thema für William Forsythe, den wahrscheinlich wichtigsten Choreographen der Gegenwart. Ein Jahr früher als van Manens zuvor gezeigtes Stück entstand „Enemy in the Figure“, in dem sich der große Intellektuelle des Tanzes mit Skizzen des Architekten Daniel Libeskind auseinandersetzte. Auch hier geht es um Bezüge, jene der Körper zueinander, zum Licht und zur Musik – eher eine elektronische Klangfläche gestaltet von Thom Willems, die natürlich vom Band kam. Ballett ist für Forsythe verkörpertes Wissen, ein System aus zentralperspektivisch ausgerichteten Schritten, Positionen, Sprüngen, die aus der Körpermitte heraus ausgeführt werden. Forsythe nimmt es vor allem in den früheren Werken als Ausgangspunkt und denkt über jede einzelne Bewegung und deren mögliche Variation nach. In dieser permanenten Dekonstruktion und Isolation von Körperteilen verschiebt sich das Zentrum der Bewegung in Richtung multipler Zentren. Der so tanzende Körper gerät ständig aus der Achse und in eine prekäre Balance, wodurch die typischen, spannenden Tanzbewegungen entstehen.
In „Enemy in the Figure“ befindet sich eine wellenförmige Wand als eine Art Paravent auf der Bühne, und das Licht erzeugen die Tänzer*innen selbst durch einen ständig umhergeschobenen, großen Scheinwerfer. Dazu wird ein langes, über die Bühne verlaufendes Seil immer wieder bewegt und umtanzt, und generell sind hohe Dynamik und Rasanz dominant. Die Tänzer*innen bewegen sich laufend, springend, fallend, oft auch hinter der Wand und wechseln die schwarzen und weißen Kostüme. In einer ruhigen Passage kommt die Musik leise von der Hinterbühne, sodass die Aufmerksamkeit akustisch auf die Tänzer:*nnen gerichtet ist und auf die Geräusche, die sie selbt produzieren.
Auch Forsythe kann das Ballett am Rhein ausgezeichnet, nicht nur technisch, sondern auch im Gestus. Möge das Niveau so bleiben, auch wenn Volpi im Sommer dieses Jahres seinen neuen Job als Direktor des Hamburg Balletts angetreten haben wird.
Ballett am Rhein: „Drei Meister – Drei Werke“ am 16. März 2024 im Festspielhaus St. Pölten