Von Menschen, die zum Schatten ihrer selbst geworden sind; von Eingesperrten in gesellschaftlichen Normen und wirtschaftlichen Zwängen – davon berichtet die Grazer Kompanie für zeitgenössischen Tanz substTanz in ihrer neuesten Produktion. Sie tun es in Augenhöhe gemeinsam mit dem, was Visual Arts der Bewegungskunst an die Seite stellen kann und dem dafür hier verantwortlichen Thomas Diemath gelingt dies in durchaus stimmiger und zumeist sehr faszinierender Weise.
Die grundsätzlich leere Bühne ist hinten über nahezu ihre gesamte Breite von einer Projektionsfläche begrenzt. Diese ist unterteilt in bzw. zusammengesetzt aus Boxen, durch deren horizontal zweigeteilte Türen die TänzerInnen auf- und abtreten oder aber kurzzeitig auch als Silhouetten zu sehen sind. In einer Art längerem, durchaus kurzweiligen Prolog wird der Rezipient hineingesaugt in eine, in unsere heutige Welt der Bilderflut: Untermalt von (etwas) lauter, rhythmisch treibender Musik (Nick Acorne) prasseln Tropfen floraler Schönheit abwechselnd mit abstrakt-grafischer Formen in großer Buntheit von der Leinwand, bevor staccatoartig eingestreute Fotos immer stärker einer wenig menschenfreundlichen, also zeitimmanenten Formen von Zivilisation den Raum überlassen. Beeindruckend.
In grauen Einheitskostümen und mit grauschwarz-fahlen Gesichtern (treffsicher diese Kostüme und das Make-Up von Alexandra Poetz) demonstrieren die fünf Tänzer von nun an mit ausdruckslos gelangweilt-ergebener Mimik, was aus den Menschen in dieser durch-organisierten, -strukturierten und -technisierten Welt geworden ist: Marionettengleich agieren sie, überzeugend synchron in der Gruppe, ausdrucksstark und beachtlich exakt in Einzel- und Kleingruppen-Sequenzen.
Der für Konzept und Choreografie Verantwortliche, Xianghui Zeng, zeigt mit dieser Arbeit nicht nur eine beachtenswerte Anzahl an dramaturgischen und choreografischen Ideen, sondern beweist hiermit auch Eigenständigkeit in einer, in seiner ureigenen Handschrift. Eine, die mit und auf dieser Basis auch berühren kann.
Wenn erstmals Emotionalität und später auch Individualität den Lebens-Drill der AkteurInnen funkenartig unterbricht, zu selbstbestimmtem Lebenswillen wird, wenn mit der Zeit das Zugeständnis an das eigene Ich an Intensität gewinnt, dann ist dies somit auch glaubhaft. Nicht zuletzt dank der beachtlichen tänzerischen und darstellerischen Leistungen, die da konzentriert und bewegungstechnisch gut differenzierend über die Rampe kommen. Allen voran von Arthur Haas, wenn dieser etwa voll des Staunens seinen Körper, den Fluss seiner Bewegung smöglichkeiten entdeckt; aber sehr wohl auch von Hanna Rath, Maja Nedeljkov,Thurid Coll und Nicola Elena Ceplak.
Bis zum Ende überzeugen das Zusammenspiel der Kunstgattungen und so manch Feinheit in der Form inhaltlicher Vermittlung; immer wieder überraschen tänzerische Variationen und solche im Visual Arts-Bereich. Die eine und andere Länge einer Szene könnte noch korrigiert und vor allem stockende Übergänge zwischen diesen noch überarbeitet werden. Dass der Applaus im gut besuchten Haus ein langer und kräftiger war, ist deswegen aber nicht weniger absolut berechtigt.
substTanz. „The Box“, am 11. November im Kristallwerk Graz