Wenn in diesem annualen, interdisziplinären Festival heuer unter dem Titel HUMANS AND DEMONS nach zeitgemäß gangbaren, neuen Pfaden gesucht wird, soll dies nicht auf ein Erkunden von vereinfachten Gegensätzen hinauslaufen. Vielmehr soll der Blick auf das Dazwischen gelenkt, soll der Mut zum Erproben von bislang unbekannten Neben-, vielleicht sogar Verbindungs-Wegen gestärkt werden.
In der Eröffnungsrede Ekaterina Degots, mit der die Intendantin gleichzeitig in ihre zweite Amtsperiode startet, zitiert sie Milan Kundera, der „das Leben als Koexistenz „engelhafter“ und „dämonischer“ Elemente“ beschreibt. Genau dieses Nebeneinander wird in Performances der Eröffnung, des Eröffnungswochenendes sehr gut sichtbar; in fiktiv wie in Realität gegebener, sogenannter Unordnung ebenso wie in so mancherorts bedrohlicher Ordnung.
Dass das Festival auf regionale Gegebenheiten und Orte in dieser Ausgabe verstärkt Bezug nehmen will, beweist sich in Lulu Obermayers Opern-Performance „Agrophobia“. Dieser mehrdeutig zu interpretierende Titel bezieht sich (wohl auch) auf einen der schönsten, aussichtsreichsten Plätze der Stadt neben dem Uhrturm; ist also von besonderer Offenheit geprägt und wird doch an einer Stelle von einem „kryptofaschistischen Soldatendenkmal“ geradezu (nicht nur visuell) schmerzhaft begrenzt. Die drei daneben, auf Hebekränen „am Himmel“ auftauchenden Dämonen bewirken Angst respektive sollen es.
Ob die dies unterstreichenden Kostüme (riesige Krallenhände) und dramatischen Gesten notwendig sind, bleibe dahingestellt. Die Eindringlichkeit der beiden Sängerstimmen von Ivan Oreščanin und Wilfried Zelinka zu Musik von J. Sebastian Bach bis Robert Schumann und anderen mit Texten J. W. Goethes, H. Heines, J.G. Herders etc. sind gemeinsam mit Obermayers Performance und dem Chor der Grazer Kapellknaben beeindruckend für sich. Das Gegen- und Miteinander männlicher Kraft, Sensibilität, Zerstörung, Hilflosigkeit und Leid schreien in künstlerischer Schönheit zum Himmel.
Mariahilferplatz: Sehr schräg, nicht immer Tiefen erreichend, aber jedenfalls etwas verwirrend und verunsichernd, ironisch-amüsant, zum Teil ein wenig bewusstseinserweiternd: die Performance von Michael Portnoy die „Amtseinführung des Direktors für Verhaltensweisen“. Nach einem eher zahnlosen kurzen Vorspiel, einem politischen Austausch zu Regeln und Anpassung“ mit realen Politikern, ist die ortsimmanente Dramaturgie – die PerformerInnen agieren und sprechen aus Fenstern der den Platz säumenden Häuser – zwar stimmig, die darunter leidende Akustik (neben den in Englisch vorgetragenen Texten) aber mit ein Grund, dass die aufgetischten Absurditäten letztlich nicht greifen wollen.
In seiner, Portnoys „Mischung aus Rollenspiel, Salon und Büro-Party“ in „The Society of Societies“ (Großer Minoritensaal) hängt der Erfolg des interaktiven Geschehens wesentlich von der Bereitschaft der TeilnehmerInnen ab, sich auf die ihnen zugeteilte, größtenteils absurde Rolle im spontanen Gespräch mit anderen aus dem Publikum möglichst kreativ einzulassen. Ein grundsätzlich vielschichtig, freilich sehr offener bewusstseinsfördernder Versuch im Sinne von: Kunst eröffnet Möglichkeitsräume – was manchen auch Spaß machte.
Stufe um Stufe erstreckt sich die ansonsten leere Bühne in der Helmut List Halle weit und beherrschend in die Höhe: Dieser Macht des Ortes – dieser Kraft kann sich kaum ein Zuseher entziehen. Den TänzerInnen der Kompagnie Hodworks gelingt es dank ihrer Ausdrucks- und Bewegungsstärke in allerbestem und beeindruckendem Sinne: Sie bespielen ihn – mit scheinbarer Leichtigkeit. Aber auch sie werden gelockt und gelenkt, immer wieder und zum Teil, wie es scheint, unentrinnbar: Von einer Stimme (Live Gesang:Zoltán Mizsei).
Die ungarische Choreografin Adrienn Hód setzt sich selbst in ihrer Choreografie „Voice of Power“ freilich keinerlei Grenzen, keinerlei Eingrenzung aus: humorvoll, schaurig, vieldeutig, brutal, poetisch, absurd, unverständlich wie faszinierend ist es, was da an Bildern in unterschiedlichsten Szenen über die ansteigende Bühne kollert, tobt, gleitet, springt, tanzt, klettert, kriecht; solistisch, in zwei oder dreier Konstellationen oder aber auch gemeinsam in beeindruckender Übereinstimmung. Zielstrebig ebenso wie mit Unsicherheit, in Verlorenheit. Mit Freude manchmal, eingeengt, gehetzt, gezwungen zumeist; unterschiedlich bekleidet, unbekleidet ebenso.
Verbalsprache spielt immer wieder wesentlich mit: „How can we do it“, „I apologize you to misbehave”, “be open”, “be careful”; Regeln für Kinder werden zitiert; und solche für Politiker. Immer enger dreht sich die Aussagemöglichkeit der Agierenden, drehen sich Zahlenketten im Kreis, bis schließlich zitierte Endloslisten der endgültigen Ein- und damit Unterordnung den Weg nein, nicht freigeben, sondern jegliche Freiheit versperren.
Dem Publikum bleibt manch Interpretationsoffenheit – unberührt oder unreflektierend verlässt kaum eine, einer diese Vorstellung.
Steirischer herbst 2023, 21. September bis 15.Oktober, Eröffnungswochenende 21., 22. September