Zum 7. Mal schickt Jacqueline Kornmüller Ganymed, „den Schönsten aller Sterblichen“, im Kunsthistorischen Museum auf die Reise, zum ersten Mal überschreitet er den Museumsplatz ins Naturhistorische Museum. Damit spannt Ganymed Brücken zwischen den Häusern, zwischen Kulturerbe und zeitgenössischer darstellender Kunst, zwischen Text, Tanz, Gestik und Musik, zwischen erfahrenen und Nachwuchskünstler*innen.
Theater, Tanz, Lesungen und Konzerte bereichern mittlerweile bereits das Programm vieler Museen. Nur wenige gehen jedoch so gezielt und überlegt vor, wie Jacqueline Kornmüller, die mit ihren Inszenierungen ein ganz spezielles Museums- und Theatererlebnis bietet. Im Laufe der Zeit wurde das Konzept auch in anderen Städten wie in der europäischen Kulturhauptstadt Wrozlaw, in den Musées Royaux in Brüssel oder in der Hermitage in St. Petersburg umgesetzt.
Jede der kurzen Interventionen thematisiert ein Ausstellungsstück, nimmt Bezug auf die Umgebung, in der sie stattfindet. Da wäre im Naturhistorischen Museum die Performance von Manaho Shimokawa: mit zarten Gesten baut sie ein „Nest“ nach Liliya Burdinskajas Text mitten unter den Vogel-Exponate. Im Saal mit Alpentieren vertieft sich Christian Nickel in ein „Gespräch mit meinem Marder“, das aus der Feder von Martin Pollack stammt.
„Personal Growth“ nennt Andras Dès seine virtuose und unterhaltsame Bodypercussion-Performance und wendet sich dabei an die ausgestopften Primaten in den Vitrinen. Lukas Lauermann spielt auf dem Cello zum Mondfisch. Peter Wolf hat eine Geschichte über seinen besten Freund geschrieben, der von einem Elefanten vor seinem gewalttätigen Vater gerettet wird.
Zwillinge sind besonders, das wissen Mercedes und Miriam Vargas, die – begleitet von der Violinistin Emily Stewart – in ihrer Miniaturperformance „Wie die Welt schmeckt“ nicht nur über ihre eigenen Erfahrungen im Doppel erzählen, sondern auch über afrikanische Mythen. Eine Legende lautet, dass Zwillinge immer in roten Körpern wiedergeboren werden. Vielleicht in dem einer japanischen Riesenseespinne, die sie während ihrer Performance immer im Visier haben?
Höhepunkt des Rundganges ist das Konzert von Federspiel bei den Dinosauriern unter dem Titel „Die ersten Tage der Menschheit“. Selbst die Riesenechsen der Urzeit können sich der Klangmagie des Bläserensembles nicht entziehen und tanzen animiert mit.
Rundum verzaubert verlassen wir das Naturhistorische Museum. Zwar muten die ausgestopften Ausstellungsstücke aus dem Tierreich in der Nacht besonders skurril an und verdeutlichen im Kontakt mit der Gegenwartskunst, wie befremdlich das Museumskonzept aus dem 19. Jahrhundert heute eigentlich ist. Doch gleichzeitig hat Ganymed uns in eine Welt entführt, in der Tier und Mensch im Einklang Kreativität generieren und ihr Verhältnis zueinander in ein anderes Licht rücken.
Am Vorplatz – The Bridge – begleiten Martin Ptak und Georg Schrattenholzer mit ihrem virtuosen Spiel auf dem Alphorn vor dem Maria-Theresien-Denkmal den Übergang ins Kunsthistorische Museum. Dort überzeugt vor allem Mara Romei mit ihrer Interpretation des Textes von Jan Fyt „Einen Namen haben“. Die Geschichte über verlassene Hunde, die das Schicksal von Ausgegrenzten beschreiben, geht unter die Haut. Tony Rey Garcia und die Musiker Martin Eberle und Peter Rom setzen sich in „Den Bogen spannen“ mit dem Bogenschießen auseinander.
Für mehr ist nicht Zeit, denn bald ertönte die Durchsage vom Ende. Alle Stationen in beiden Museen zu sehen, war im dreistündigen Zeitrahmen nicht möglich. Doch verlässt man das Museum mit einem Schatz an Eindrücken, während man von Evgenii Artemenkov und Judith Fliedl musikalisch zum Ausgang begleitet wird. Und mit einem Büchlein, in dem man auch die versäumten, spannenden Texte von Franz Schuh „In der Falle“ oder „Durst“ von Amélie Nothomb zumindest nachlesen kann.
Jacqueline Kornmüller: „Ganymed Bridge“ am 22. Oktober im Kunsthistorischen und Naturhistorischen Museum. Weitere Termine am 30. September, 6. und 14. Oktober 2023. Tickets gibt es hier.