Wenn Akrobaten der Weltspitze das Kontinuum des Lebens, also das Werden und Vergehen, das Chaos und die Ordnung, das Solistische und das Gemeinsame sowie das grundsätzliche Verbunden-Sein von allem und jedem auf die Bühne zaubern, in der ihnen eigenen Körpersprache visualisieren – dann kann es sich (vor allem, respektive „nur“) um eine La Strada Graz Präsentation handeln.
Im gegebenen Fall war es die Eröffnungsproduktion des Festivals 2023, dieses internationalen Festivals für Straßenkunst, Figurentheater, Neuen Zirkus und Community Art: „The Pulse“ von Gravity & Other Myths.
24 ArtistInnen der australischen Compagnie (Regie: Darcy Grant) sind es, die sich mit dem großartigen 36köpfigen Cor de Noies de l’Orfeó Català (Chorleitung und Solistin: Buia Reixach, Komponist: Ekrem Eli Phoenix) zusammengetan haben, um in dieser Verbindung von Kunstsparten die Kraft des gemeinsamen Kreierens, das Potential gemeinsamen Tuns bewusst zu machen. Realisierbar dann, wenn jedes Rädchen der „Maschine“, jedes Teilchen des derart gestalteten „Organismus‘, den alles verbindenden, unterstützenden, gemeinsamen Rhythmus übernimmt.
Dieser rote thematische Faden soll (?), kann vorbildhaft und ermutigend sein – allumfassend, alltagstauglich. Dass er in dieser Qualität der Darbietung, in diesem Zusammenspiel von ausgeklügelter Technik (Marko Respondeck) sowie insbesondere einer fein konzipierten, attraktiven Lichttechnik (Geoff Cobham), mitreißt, ist naheliegend und bewies auch die anhaltende Standing Ovation im vollbesetzten Grazer Opernhaus.
Auf schmucklos leerer, offener Bühne nehmen zu Beginn Bodenartisten und Sänger langsam (Blick-) Kontakt auf; es ist ein Beispiel für weitere ruhige Szenen (in Zeitlupe etwa), dass auch auf Feinfühliges Bedacht genommen wird. In starkem Kontrast zu all dem, was sich an Bewegungsflut über ein staunendes Publikum ergießt. Etwas, was in seiner Dichte so manches Auge im Grunde völlig überfordert. Es ist in Zeiten der Datenüberschwemmung allerdings symptomatisch für eben diese und immer öfter ein bewusst eingesetztes Kunstmittel. Etwas, was freilich auch so manch bemerkenswerte Darbietung ein wenig untergehen, ideenreiche Höchstleistungen einzelner allenfalls unbeachtet lässt.
Geradezu wohltuend also, wenn vereinzelt solistische Auftritte dem Auge ein konzentriertes „Durchatmen“ und ein individuelles Wertschätzen der jeweiligen Leistung ermöglichen.
Um dann wieder das punktgenaue Zusammenspiel aller Beteiligten in sich aufnehmen zu können: Das langsame Entstehen einer Blüte zu imaginieren, deren Blütenblätter sich schließlich in alle Richtungen verstreuen. Oder aber mit kindlicher Begeisterung sich im Tanz der Kreisel mitzudrehen. Und mittendrin sich vorbehaltlos dem Spaß zu widmen, auf fremden Bäuchen zu spazieren und deren Glucksen, Stöhnen und protestierenden Jammern zuzuhören.
Die Vielfalt des In-, Mit- und Durcheinander ist enorm. Und wenn die Variationen der Menschentürme schließlich in einem aus vier Artisten gebildeten gipfeln, ist das Atem-Anhalten fast niemandem fremd.
Dass Künstler dieser Ausnahme-Gruppe an den folgenden Tagen dann auch noch auf Plätzen der Stadt auftauchen und Szenen ihrer Bewegungszauberei frei Haus zum Besten geben, ist ein wunderbares Zeichen für die engagierte Intention dieses Festivals: Kunst unter die Menschen zu bringen.
Gravity & Other Myths ,”The Pulse” am 28. Juli im Opernhaus Graz, im Rahmen von La Strada Graz La Strada Graz (bis 5.August)