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Childs Trio2Die Arbeiten von zwei richtungsweisenden Persönlichkeiten des zeitgenössischen Tanzes mit jungen Nachwuchstänzer*innen waren beim Impulstanzfestival mit Lucinda Childs und dem MP3 Dance Project sowie mit Michèle Anne de May und der Bodhi Project Dance Company zu sehen. Das Ergebnis war nicht nur aufgrund der choreografischen Zugänge höchst unterschiedlich. Während Childs‘ ästhetische Handschrift unverwechselbar geblieben ist, versucht Michèle Anne De Mey neue Wege.

Es ist mittlerweile eher die Ausnahme als die Regel, dass Choreograf*innen ihren Tänzer*innen strikte Bewegungsabfolgen vorschreiben. Vielmehr agieren sie häufiger als Regisseur*innen, stellen das gemeinsame Erarbeiten in den Mittelpunkt und machen die Tänzer*innen zu (Co-)Choreograf*innen. Childs Trio

 

Childs TrioChilds und MP3

Lucinda Childs bleibt hingegen der traditionellen Methode verhaftet, die bis in die 1980er Jahre vorherrschte. Bei der Uraufführung von „4 Etudes by Philip Glass“ war jede Bewegung vorgegeben wobei der erste und dritte Teil ganz der Musik, gespielt von Alain Franco am Klavier, gewidmet war. Beim Trio zur 5. Etüde endeten Schritte und Drehungen jeweils mit einem kurzen Freeze, bevor das Material – ganz wie bei Glass‘ Musik – mit leichten Abänderungen wiederholt wurde. Keine leichte Aufgabe für die jungen Tänzer*innen des MP3 Dance Project (unter der Leitung von Michele Pogliani), denen die Konzentration anzumerken war. Wunderbar getanzt war hingegen der Pas des deux zur Etude Nr. 18, der einen lyrischen Kontrapunkt zur vorangegangenen Strenge setzte.Childs Solo1

Aber freilich war es die elegante 83-jährige Grande Dame des Postmodern Dance, die an diesem Abend im Akademietheater unter dem Titel „Distant Figure“ den Höhepunkt mit ihrem Solo setzte. (Zuvor war sie bei der Eröffnungsproduktion, dem mit Robert Wilson kreierten Stück „Relative Calm“, bereits in kurzen Szenen aufgetreten.)

Childs Solo2Auf einem Podest hoch über dem Bühnenboden rezitiert Childs Susan Sontags Text über die Begegnung mit einem Mann, der plötzlich auf der Straße zusammenbricht und interpretiert ihn mit Gesten. In ihrer Bearbeitung von „Description (of a Description)“ wird aus diesem Zufallsereignis ein persönliches Erleben, rätselhaft und tiefgründig legt es die emotionalen Antworten der Zeugin auf das Geschehen offen. Während Childs jede Bewegung mit Nachdruck in den Raum setzt, verändert sich das Bühnenbild von Hans Peter Kuhn von einem schwarzen Proszenium in eine weiße Fläche, als kippe die Geschichte vom Theater in die Realität der Performerin. 

 

De Mey und Bodhi Project

Als in den 1980er Jahren der zeitgenössische Tanz in Europa an Fahrt aufnahm, schrieben sie diese aus Amerika kommende Ästhetik weiter: Anne Teresa De Keersmaeker und Michèle Anne De Mey. Sechs Jahre dauerte ihre gemeinsame Arbeit, De Mey war Mitbegründerin der Compagnie Rosas, wo sie sechs Jahre in De Keersmaekers Choreografien tanzte. Im Gegensatz zu deren stringenten Präzision, zeichneten sich De Meys Arbeiten in den Anfängen durch eine überbordende Dynamik und spielerische Ausgelassenheit aus. Trotz einer loseren Anordnung war ihre Choreografie einer einheitlichen Sprache verpflichtet. Ihre „Sinfonia Eroica“ aus dem Jahr 1990 ist mittlerweile ein Klassiker des Gegenwartstanzes. (tanz.at berichtete 2010 von einem Gastspiel beim Osterfestival Tirol.)Bodhi Project & Michèle Anne De Meyblue smile2023

Dieses Konzept scheint De Mey nun aufgegeben zu haben. In „Blue Smile“ hat sie das Feld (fast) ganz den fünf jungen Tänzer*innen der Bodhi Project Dance Company (unter der Leitung von Susan Quinn) überlassen. Sie konnten hier ihr eigenes Tanzidiom ausleben konnten. Zwar treten die jungen Talente durchaus bestimmt auf, doch die Soli oder Duos, die zwischen formloser Kumpanei und bewusster Performance oszillieren, ergeben kein Ganzes. Die Ensembleszenen mit Hand- und Armchoreografien, die diese Einzeldarbietungen einrahmen, bleiben der Höhepunkt des Abends. 

Bodhi Project & Michèle Anne De Meyblue smile2023Janis Joplin, die das Stück inspirierte ist mit zwei ihrer größten Hits – „Cry Baby“ und „Summertime“ sowie mit einigen Statements zu hören. Noch 53 Jahr nach ihrem Tod ist die Sängerin eine Ikone des kollektiven Gedächtnisses: Durch die leidenschaftliche Interpretation ihrer Songs als Ausdruck ihre emotionale Zerrissenheit ist sie so etwas wie eine Naturgewalt der Popgeschichte. Als wäre das alles too much, drehen die Tänzer*innen immer wieder ihre Songs ab und spielen dafür artig klingende Klavierkompositionen von Schubert ein – was für eine unorthodoxe Musikdramaturgie sorgt.Bodhi Project & Michèle Anne De Meyblue smile2023

Ja, die Beschreibung im Programmfolder, es ginge um Zugehörigkeit und Ausgrenzung ist nachvollziehbar, bleibt aber weitgehend abstrakt.

Lucinda Childs & MP3 Dance Project: „Distant Figure“ am 17. Juli im Akademietheater
Michèle Anne De Mey / Bodhi Project Dance Company: “Blue Smile” am 29. Juli im Kasino am Schwarzenbergplatz im Rahmen vonImPulsTanz