Eine Improvisation über die Improvisation von zwei herausragenden Persönlichkeiten des internationalen Tanzschaffens. Meg Stuart und Mark Tompkins arbeiten seit 2016 zusammen, um ihrer Leidenschaft für die Improvisation gemeinsam zu frönen. In dieser „Echtzeitkomposition“, hier als Österreichische Erstaufführung präsentiert, zeigen sie die Stärken und Schwächen dieses Metiers.
Die Bühne des Burgtheaters Wien, die wegen Umbauarbeiten im Saal von PerformerInnen und ZuschauerInnen gemeinsam genutzt werden muss, bietet mit ihrem 48 Meter hohen, bühnentechnisierten Raum eine imposante Kulisse. Leer bis auf den Tisch mit Technik und 2 Stühlen, zwei Gitarren stehen daneben, wird sie von den zwei Männern, der Musiker Martin Siewert begleitet die beiden soundtechnisch, zuerst betreten. Am Tisch Platz genommen, zupft Siewert auf der Akustik-Gitarre Jazz-Akkorde, bricht sie und streut Melodiöses ein. Tompkins rollt mit seinem Stuhl über die Bühne, schaut zur Decke, hängt im Stuhl.
Er tanzt weich taumelnd, geht auf alle Vier. Vom Rande stakst Meg Stuart heran, tanzt in ihrer unverkennbaren Bewegungssprache, streckt den Ellbogen gen Himmel, schüttelt ein Bein, windet den Körper leicht. Von Unsicherheit spricht sie in ihren Bewegungen, vom Suchen. Elektronische Musik knarzt, Töne werden zerhackt, Meg sitzt auf dem Tisch. Sie nähern sich an, beginnen eine Konversation. Belangloses. Ihr Mikro-Kabel löst sich. „Oh God!“ kommentiert Mark.
Sie improvisieren Tanz und Gespräch, haben Spaß dabei, scherzen miteinander, liegen mit- und aufeinander am Boden, rollen, kriechen, er schaut zu, wie sie etwas probiert, versucht es nachzumachen, geht doch zu Eigenem über, sie schiebt und zerrt ihn. Das Licht geht ins Orange. Sie: „All diese Leute wollen Improvisation sehen! Vielleicht ist mein Leben in meinem Körper. Vielleicht ist die Liebe verschwunden.“
Er bewegt sie, sie schleicht tanzend an der Rückwand entlang. E-Gitarre und elektronischer Sound. Sie öffnet den Brustkorb und schließt ihn wieder, geht in den Ausfall-Schritt. Jenseits jeden Anspruchs an Präzision geht es so weiter. Mark singt einen Song, den er für sie geschrieben hat, zur Gitarrenbegleitung von Martin. Mit seiner sonoren Stimme singt er vom Geheimwissen ihrer Seele und was wäre, wenn die Sonne vergessen hätte, unterzugehen. Sie tanzt. Vom Widerstand gegen die Existenz singt er, und da unterbricht sie ihn.
Ob ihr der Song gefallen hat? Es ginge um die Vorbereitung der Potentiale. Sie haben Licht, Sound, Leute. „Ich habe Gefühle“, sagt sie. Er singt: „Feelings“. Humor haben sie. Und in die äußerst entspannte Atmosphäre hinein spricht sie plötzlich von Daniel Aschwanden und dass er nun nicht mehr da ist. Das sticht kurz einmal. Erinnerungen an Marks ersten ImPulsTanz-Auftritt 1989 und an sein sein Nijinsky-Solo in Bonn, das er ganz kurz einmal versucht anzudeuten. Er tanzt und singt Prince. Sie gibt Moves vor, er kopiert. Es zieht sich.
Die Performance lebt von Vorschlägen, die vom Musiker oder den beiden TänzerInnen in den Raum, auf die Bühne gestellt und aufgegriffen oder verworfen werden. Vieles verpufft schnell. Außer der Musik von Martin Siewert. Die Bandbreite seiner mit den zwei Gitarren und der Elektronik erzeugten Klänge reicht von romantisch-tonalen Kompositionen über Jazz bis zu pochendem oder krachendem Getöse. Er schien der Fokussierteste des Abends zu sein.
Eine rote Sitzecke, von Mark mittig installiert, wird zum Schauplatz des Eigentlichen des Abends. Sie promoten ihr zwischen 2016 und 2022 entstandenes Buch „über die Praxis des Nichtwissens“, über ein Recherche-Projekt in variierenden Umgebungen und Zusammenhängen, in dessen Rahmen sie Europa weit Performances zeigten, Workshops hielten, Text-, Bild- und Interview-Material sammelten, Performance-Protokolle schrieben und all das in einem am Rande der Bühne zu erwerbenden Buch zusammenfassten. Nach der Performance blieben einige enttäuscht zurück. Ausverkauft.
Höhepunkt des Stückes war das Hochziehen der Trennwand zum Saal des Burgtheaters, der vollkommen eingerüstet und mit teils demontierter Bestuhlung ein einzigartiges Bild bot. Meg Stuart kletterte ein wenig in den Gerüsten, weit hinten, Mark Tompkins hob am Bühnenrand die Arme, und Martin Siewert ließ seine E-Gitarre von der Leine. Eine einzigartige Atmosphäre! Wow.
„One Shot“ ist verspielt, mit ein paar faszinierenden Momenten, mit Längen und auch Oberflächen. Aber das macht das Wesen der Improvisation aus. Wer darüber etwas lernen wollte, hat außer dem Buch sicher etwas mitgenommen. Die beiden hoch renommierten und so vielseitigen KünstlerInnen in Begleitung eines wunderbaren Musikers fast konzeptionslos performend erlebt zu haben war ein Erlebnis.
Meg Stuart und Mark Tompkins mit „One Shot“ auf der Wiener Burgtheater-Bühne am 15.07.2023 bei ImPulsTanzMusikToTo.