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ShortGreatsUnter der Leitung von Ballettdirektorin Beate Vollack hob sich am 22. Juni auf der Studiobühne des Grazer Opernhauses mit dieser Präsentation das letzte Mal der Vorhang: Für das vor allem, was die KünstlerInnen der Compagnie an Können zu bieten haben; denn Vollack überließ die Bühne diesen nicht nur als TänzerInnen, sondern auch als ChoreographInnen für Kurzstücke; großteils konzipiert für und mit KollegInnen.  

Diese Geste zum Abschied war keine zufällige; hatte sich doch Vollack, die seit der Saison 2018/19 ihre leitende Funktion am Haus innehatte, immer um eine kommunikative und wertschätzende Atmosphäre auf Augenhöhe bemüht: ihrem Team wie auch ihrem Publikum gegenüber. Dass sie dies mit Erfolg tat, zeigte einerseits das kontinuierlich große Publikumsinteresse an ihrem Tun und nicht zuletzt diese nahezu ausverkaufte letzte Vorstellung sowie der anhaltende Applaus. 

Andererseits zeigte es die letzte der sechs an diesem Abend gebotenen Tanz-Miniatur, die – ebenfalls kaum zufällig - als „DANKtanz“ betitelt war. Choreografiert von Ann-Kathrin Adam vermittelten die 6 Tanz-Interpretinnen in ihren Spitzenschuhen nicht nur einen dichten, formenreich blitzlichtartigen Rück- und Überblick über das, was Ballett, was klassische Ästhetik einmal war und vor allem auch das, was Ballett nun an körpersprachlicher Emotionalität sein kann und vermitteln will. Sie nahmen also dankbar den Faden der Übergabe, den Vollack mit ihrer Intention für diesen Abend gelegt hatte, auf und legten ihn mit eigenständiger Kraft in Richtung Zukunft. 

In gleichermaßen überzeugender Weise gilt dies auch für eröffnende Choreografie von Rosa Maria Pace, für „All of a Sudden“, die sich laut Programmheft um spirituelle Fragen dreht. Aber selbst in einer inhaltlich allgemeineren Rezeption greift diese hochemotionale Auseinandersetzung tief: Weil das dramaturgisch-choreografische Zusammenspiel von Corps de balltet und Solistin einfallsreich originär in seinen atmosphärischen Bann zieht und weil Ann-Kathrin Adam mit hochsensibler Dynamik der tänzerischen Ausdruckskraft ungewöhnliche, bislang selten betretene Räume öffnet. 

Kirsty Clark tanzt sich in dem von ihr auch choreografierten Pas de deux mit Philipp Imbach „Forget Me Not“ in wohl fast jedes tanzaffine Aug (und Herz) – bar jeder noch so naheliegender Gefühls-Überstrapazierung (handelt es sich doch um die vom liebevoll umsorgenden Ehepartner betreute, in der Demenz verhafteten Großmutter). 

Um Beziehung, um Beziehungsgeflecht verbunden mit Einengung, Angst und Sehnsucht nach freier Entfaltung dreht es sich in einem weiteren Pas de deux, in „[To be] CONTROL [ed]“. Choreografie, Tanz und Text von Stephanie Carpio, Fabio Agnello. Kompromisslos, ohne sich etwas zu schenken stellen sich die beiden Künstler diesem Thema: ausdrucksvoll, dem Körper einiges abverlangend und überaus kreativ in der tänzerischen Umsetzung. 

Lorenzo Galdeman wagt sich in seiner von ihm auch getanzten Kürzest-Choreografie „Ascend“ an das Thema Zeit. Sehr mutig, aber doch etwas zu hoch im Anspruch. Viel Bühnennebel und eine Sanduhr sind dabei nur unzureichende Hilfsmittel. 

Formal wie inhaltlich gänzlich andere Türen tänzerischer Bewegung öffnet - sehr gekonnt und mit offensichtlicher Freude am Agieren - Brandon Carpio in seinem von ihm interpretierten Solo „Home Is where the Heart Is“. Es sei eine „unbeschwerte“ Erkundung der 2 Seelen in seiner Brust, ist nachzulesen, aber nicht wirklich spürbar; da Formen der ironischen Auseinandersetzung auch nicht erkennbar sind, ist die klischeehaft männliche Darstellung der Gespaltenheit des Mannes zwischen gesellschaftlichem (und eigenem) Anspruch und seiner männlichen (ja) doch eigentlich so „empfindsam weichen“ Seite zu dominant und einfach strukturiert, um nachhaltig  zu berühren oder gar Neues, Wesentliches zu eröffnen; bei aller darstellerischer Qualität. 

Ein in seiner Vielfalt und Qualität bemerkenswertes, ein schönes Programm – eines, das Experimentelles allerdings nicht beinhaltete. 

Short Little Greats – Sechs Choreographien; Uraufführung am 14. Juni 2023, gesehene Vorstellung am 22. Juni auf der Studiobühne der Oper Graz