In seiner neuen Produktion „Morbus Hysteria. Wir haben alle recht“, nehmen Martin Gruber und das aktionstheater ensemble wieder den Zustand unserer Welt auf die Schaufel. Sind es tatsächliche gesellschaftspolitische Anliegen oder einfach persönliche Befindlichkeiten, die im Rahmen der Identitätsdebatte eingefordert werden? Und vor allem: wie reagieren wir darauf? Können wir uns aus unserer Bubble überhaupt noch befreien?
In einem satirischen Rundumschlag liefern sich die Schauspieler*innen Michaela Bilgeri, Thomas Kolle, Kirstin Schwab, Tamara Stern und Benjamin Vanyek einen Schlagabtausch der Argumente und Vorurteile. Lassen wir es zu, dass ein Pferd in Schweden anders wiehert als in Wien? Dass ein Hahn in Frankreich anders kräht als hierzulande? Oder finden wir es einfach nicht akzeptabel. „Welche Diversität willst du eigentlich im Theater sehen?“
Immer dringlicher, besessener und lauter streiten sie: über (Benjamins) Schwulsein oder (Kirstens) interkulturelle Erziehung, ob Tamaras Rabbi-Witze witziger sind als Michaelas Pfarrer-Witze, oder über (Thomas‘) Dasein als weißer Heterosexueller – mit dem das Handy in der Unterhose. Der verbale Schlagabtausch verhandelt Empathie gegen Ekpathie, teilt Gemeinheiten aus und beharrt auf Besserwisserei.
Wir finden uns wieder in der Collage der Vorhaltungen, Verteidigungs- und Abwehrhaltungen, die uns auf der Bühne so genüsslich vorgeführt werden, dass es schon wehtut. Sind wir tolerant oder im Grunde doch voreingenommen? Inmitten des Gelächters ob der erfrischenden Respektlosigkeit gegenüber oder vielmehr im Einklang mit der politischen Korrektheit, breitet sich die schwarze Stimmung der Ausstattung und der Kostüme auch auf die Zuseherin aus. Denn wie immer legt Martin Gruber und das aktionstheater ensemble unter dem Deckmantel des Humors den Finger in die Wunde. Wir leben in einer eitlen Gesellschaft, der die großen politischen Narrative abhanden gekommen ist und jede*r in seiner Blase lebt, die Kommunikation verhindert. Und dementsprechend fragmentiert bleibt auch das Stück.
Auch diesmal liefern die Schauspieler*innen eine rasante verbale und physische Tour de Force ab – unermüdlich hüpfen sie auf schwarze Gymnastikbällen auf und ab –, mit präzisem Timing und großer Spielfreude, angetrieben vom Sound der Musiker*innen Nadine Abado, Andreas Dauböck und Pete Simpson. Eine Stunde lang haben sie aneinander vorbeigeredet, die Gräben zwischen ihnen offen gelegt. Am Ende finden sie im Tanz zu einem Gleichschritt – nicht in befriedeter Harmonie, sondern in aufgeladener Wut.
"Morbus Hysteria. Wir haben alle recht" Von Martin Gruber und aktionstheater ensemble. Uraufführung am 30. Mai im Werk X. Weitere Vorstellungen am 1., 2., 3., und 4. Juni. Am 15., 16., 17., 18. Juni im Kosmos Bregenz im Rahmen des Bregenzer Frühlings