Zwei PerformerInnen buchsieren je einen großen schwarzen, prall gefüllten Plastiksack durch Bar, Stiegenhaus und Foyer des OFF-Theaters, bis ins Freie die eine. Sie tragen schwer an ihrer Last. Solcher Weise stimmt Organisatorin und Kuratorin Bianca Anne Braunesberger (Cie.tauschfühlung) ihr Publikum inhaltlich-performativ ein auf die fünf Tanz-Performances des Abends.
Die Tänzerin, Choreografin, Performerin und Lehrerin Sara De Santis führt durch den Abend, den sie selbst mit ihrem Stück „Take oneSELF easy“ eröffnet. Kindheit, Jobs und Elternschaft, was machen sie mit uns, wie prägen sie uns? Eine länger werdende Reihe von Moves und dazu vom Publikum assoziierten und eingeworfenen vokalen Lauten baut sie zu einer Bewegungs-Laut-Kette, bevor sie die Bühne mit ihren Bewegungen füllt. Sie begeistert das Publikum mit ihrem Tanz, ihrem feinen Humor und einer Prise Selbstironie. Subtil ist die Melancholie, die diese Arbeit atmet.
Ein an zwei Seiten offener Würfel dient Barbara Jurcsa in ihrem Stück „Dear Now!“ als Objekt der Anschauung ihrer selbst. Sie kriecht mit Armen, Kopf und Schultern in ihn hinein. Die Enge ist zu spüren, der Sound pocht wie das Blut in den Ohren. Der Versuch, dieser Enge zu entkommen, misslingt. Sie bleibt gefangen im lähmenden Gewohnten. Diese schon als 20-minütige Studie intensive Arbeit plant Barbara Jurcsa in ein Gruppenstück für sechs TänzerInnen zu führen.
Ein in Schwarz-Weiß gedrehter Kurzfilm eröffnet den zweiten Teil des Abends. Tänzerinnen-Porträts, die Kamera zoomt langsam heraus, sechs Frauen, aus Gesichtern werden Körper, die sich synchronisiert in Slow Motion bewegen. Sie halten ihre langen Haare hoch. „Spatium“. Zwischenraum. Blind-Material. Die Frauen und ihre Rechte auf dieser Welt. Menschlich und politisch ungemein intensiv. Regie: Bianca Anne Braunesberger.
Flirty Horse sind die beiden TänzerInnen Kasija Vrbanac Strelkin und Ivan Strelkin, die in ihrer Arbeit „Perfect Sense“ von der Liebe erzählen. So verkündet das Programm. Mit ihrer zärtlichen Zweisamkeit fragen sie nach der Liebe zwischen den Menschen, den Völkern, zur Natur und der zum Leben. Ihr Tanz und ihre darstellerische Harmonie beeindrucken, ihre Geschichte berührt, ihre Authentizität nimmt gefangen.
Fasziniert von dem „Super-Computer“ Gehirn in uns zeigt sich Corina Hoser in ihrem 20-minütigen Solo „Electric Highway“. Elektronisch-perkussiver Sound. Bewegungs-Fragmente in Wiederholungen. Urban und Zeitgenössisches. Sci-Fi-Klänge, dunkler Sound, Disco. Die Bewegungs-Sequenzen wiederholen sich. Nur die Geschwindigkeit nimmt zu. Corina Hoser ist eine begnadete Tänzerin, die sich mit diesem Stück den Diktaten der Ratio und des sich nach Idealen bewegenden Körpers entwindet und sich in die Fänge des Dunklen, Unbekannten, Unbewussten, der individuellen und kollektiven Erinnerungen fallen lässt. Und damit neue Türen öffnet.
Räucherkerzenduft, Nebel und Sound mit indigenen Klängen eröffnen „Meriam. Imany Rameses und Bianca Anne Braunesberger ziehen – ihre Köpfe sind verhüllt – sehr langsam langgezogene weiße Säcke auf die Bühne und hinter sich her. Allmählich wickeln sie sich die Schläuche um Bauch und Hals. Man spürt, wie sie ihre unbewussten seelischen Inhalte würgen, wie sie sie am Atmen hindern. Starke Bilder für das Thema unseres Lebens!
Bianca Anne Braunesberger hat mit diesem „Performing Puzzle“ – es war nicht das erste und, ein begeistertes Publikums wünscht es sich, nicht das letzte – ein Programm zusammengestellt, in dem alle sieben Beteiligten bravourös tänzerisch-performativ agieren und thematischen Tiefgang präsentierten. Der Sound wurde von Stefan Zotter beigesteuert. Einige der hier gezeigten Stücke sind „works in progress“. Das OFF-Theater Wien und die vor 10 Jahren von Bianca Anne Braunesberger und Stefan Zotter gegründete Cie.tauschfühlung, die sich auch der elektronischen Musik verschrieben hat, zeigten sich ein weiteres Mal als aufmerksame Beobachter und so dringend benötigte Förderer des zeitgenössischen Tanzes in Wien.
„Performing Puzzle“ am 13.05.2023 im OFF Theater Wien.