Als Jubiläumsproduktion für das 30-jähriges Bestehen seines Tanz*Hotel schickte Bert Gstettner seine „Time*Sailors“ wieder auf die Reise. Es wurde gleichzeitig eine Zeitreise in die Hochblüte des zeitgenössischen Tanzes im letzten Jahrhundert, in der das Publikum dessen Körperlichkeit hautnah miterlebte. Mit der Produktion aus dem Jahr 1995, freilich mit einer neuen Crew, tauchten wir erneut in dieses Abenteuer ein.
Sie hechten übereinander, schmeißen sich aufeinander, entgleiten einander, um sich im nächsten Moment wiederzufinden: die zeitgenössische Tanzsprache der 1990er Jahre war aufregend, aufwühlend und dynamisch. Es entfaltete sich darin ein Spieltrieb, mit dem Tänzer*innen einen Gegenentwurf zur Formalität und den Konvention der gesellschaftlich akzeptierten Körpersprache kreierten. Choreograf*innen hefteten sich an die Spuren der Raves in Clubbings, in denen nächtelang bis zur Erschöpfung getanzt wurde. Der körperliche Grenzzustand wurde ein immer wiederkehrendes dramaturgisches Element in der neuen Tanzästhetik. Bert Gstettner realisierte diesen Trend in seinen „Time*Sailors“, eine Arbeit, die er über drei Jahre in Videoinstallationen, einer Performance-Installation und einer Bühnenversion entwickelte. Diese kam im Oktober 2022 als Neuinszenierung „Time*Sailors IV – The Return“ auf die Bühne von Dschungel Wien und wurde nun für einige Vorstellungen wiederaufgenommen.
Die Metapher einer Schiffsreise bietet sich geradezu für das Konzept dieser Bewegungssprache an, wird dadurch doch der prekäre Balanceakt der Fortbewegung sichtbar gemacht. Da schlingert es, kippt es, schlägt der Sturm an die Bande, hält der Matrose auf schwankendem Mast Ausschau, rollen Fässer über den Boden, und ja, wird es dem einen oder anderen auch schon einmal übel. Gstettner spinnt das Seegarn, das die Literatur über die Seefahrt gesponnen hat, weiter und lenkt seinen Blick auf die Zeit. Ist sie überall, ist sie nirgends? Wird sie von Geistern bewohnt? Treibt sie uns an oder bringt sie uns zum Stillstand? Im Schaukeln und Schwanken wandeln sich die sechs Männer von poetischen Segeln zu rauen Seebeinen, von blinden Passagieren zu Crew-Mitgliedern, von robusten Kämpfern zu zärtlich Verbündeten.
Mit wenigen Requisiten wie riesige Reifenschläuche und überdimensionierten Ruder, mit einer schiefen Ebene, auf der unterschiedliche Aktionshöhen dargestellt werden und einer Metallwand (Ausstattung: Gernot Sommerfeld), gegen die die Körper lautstark knallen können, gelingt hier eine aktionsreiche und vielfältige Spielwiese für die Performer (Łukasz Czapski, Marcin Denkiewicz, Michael Gross, Patric Redl, Thales Weilinger, Elia Zahnd), die sich, angetrieben vom elektronischen Sound von Klaus Obermaier und Robert Spur, rückhaltlos einbringen und an die Grenzen der Verausgabung gehen.
In elf Szenen aus der Originalproduktion gehen wir mit ihnen auf eine extrem physische Reise, die unsere Fantasie stimuliert und die Spiegelneuronen, mit denen die Bewegung auf der Bühne auch im Zuschauer wirksam werden, wachrüttelt. Auf die letzte (neu hinzugekommene) Szene, in der die Matrosen an Land gehen und trunken herumtaumeln, könnte man hingegen verzichten, drückt doch die etwas patscherte Adaption von Kurt Weils „Alabama Song“ den Zauber einer spannenden Stunde auf ein eher banales Niveau.
Ungeachtet dessen haben diese „Time*Sailors“ durchaus das Potenzial auf der Bühne des zeitgenössischen Tanzarchivs zu überdauern.
Tanz*Hotel: „Time*Sailors IV - The Return“, gesehen am 11. Jänner 2023 im Dschungel. Letzte Vorstellung am 14. Jänner