Schön, dass dieses Kleinod von Frederick Ashton wieder am Spielplan steht. Leider jedoch wird der Genuss dieses besonderen und amüsanten Stückes durch mangelnde Einstudierung und suboptimale Besetzung getrübt.
Jean Daubervals Tanzkomödie „La fille mal gardée“ hat bekanntlich seit ihrer Uraufführung in Bordeaux 1789, wenn auch unter einem anderen Titel, eine lange und erfolgreiche Aufführungstradition in verschiedenen Versionen. Die originale Choreographie ist zwar nicht erhalten, aber es war Sir Frederick Ashtons Verdienst, das in älterer Commedia-Tradition mit typisierten Figuren stehende Werk ebenso erfolgreich ins 20. Jahrhundert zu überführen. Eng am Libretto Daubervals bleibend, gestaltete er zur von John Lanchberry bearbeiteten Musikvorlage von Ferdinand Hérold jenes entzückende Konglomerat aus klassischem Tanz, Elementen des Volkstanzes und überlieferten älteren Motiven, wie den Bänder-Tänzen.
Es ist ein technisch anspruchsvolles Werk, dessen Wirkung auch vom Gefühl für Timing und Komödie abhängt. Hat man das in früheren Aufführungen des Wiener Staatsballetts durchaus erleben können, so ist es momentan leider noch nicht bemerkbar. Eine in großen Teilen neue Besetzung hatte möglicherweise auch nicht genügend Zeit, sich mit diesem speziellen Werk auseinanderzusetzen und es in erforderlicher Qualität einzustudieren.
Jedenfalls gilt dieser Befund für die beiden ersten Vorstellungen. Am 13. Dezember tanzten François-Eloi Lavignac als Witwe Simone, Sonia Dvořák als Lise, Géraud Wielick als Colas, Daniel Vizcayo als Alain und Igor Milos als Thomas. Am 14. Dezember Natalya Butchko als Lise, Arne Vandervelde als Colas und Giorgio Foures als Alain (Guillermo García Calvo dirigierte an beiden Abenden solide). In dieser Vorstellung gab es einige kleine Ausrutscher, aber das soll nicht das Kriterium sein.
Wünschenswert wäre allerdings mehr Verständnis dafür, was man tanzt und warum dies so ist. Auch mehr Mut zur pantomimischen Darstellung und technische Präzision sind für „La fille mal gardée“ unerlässlich. Es ist nicht einfach irgendein lustiges Handlungsballett, sondern weist genealogisch in eine Zeit zurück, die wesentlich für die Herausbildung des Theaterverständnisses von heute war. Man kann natürlich den Standpunkt vertreten, dass die reizenden Rundtänze mit Bändern, der witzige Clog Dance und die köstlichen Auftritte der Hühner ohnehin das Publikum unterhalten, das ja stets ergiebig applaudiert.
Aber als Tänzer*innen und Choreograph*innen, die ihre Profession ernst nehmen, sollte mehr Qualität in jedem Belang eigentlich das Ziel sein. Nicht ganz verständlich ist außerdem, warum in diesem Stück bewährte Tänzer*innen wie Liudmila Konovalova, Davide Dato oder Eno Peçi nicht besetzt wurden.
Wiener Staatsballett: "La fille mal gardée", Wiederaufnahme am 13. und 14. Dezember 2022 in der Wiener Staatsoper, weitere Vorstellungen am 16, 27., 30. März 2023