Nachdem er unbeschwert über die altehrwürdigen Steintreppen der Neuen Galerie zum unten wartenden Publikum gehüpft war, eröffnete Alex Deutinger diesem, dass er nichts erklären, aber durch die Räume führen werde: durch die nach wie vor bestehende, zentrale Ausstellung des steirischen herbsts 22, „Ein Krieg in der Ferne“.
Er führt mit den vorbehaltlosen Augen und Worten von Volksschulkindern – um das Publikum zu vergleichbarer Offenheit gegenüber dem Dargestellten zu ver-führen; um derart neue Sichtweisen zu eröffnen und damit vielleicht auch ein Erkennen und Begreifen von bislang (aus Tradition und Gewohnheit) Übersehenem, Unbedachtem zu bewirken.
Es ist nicht zum ersten Mal, dass der Tänzer und Performer gemeinsam mit der ebenso gut ausgebildeten Marta Navaridas an unterschiedlichen Orten zu variierenden Themen derartiges initiiert. Auf der Basis von Workshops mit Schulkindern, mit denen sie Ausstellungen besuchen, um aufbauend auf deren Worte und Reaktionen, Führungen für Erwachsene durch eben diese Orte zu gestalten.
Je länger man während des einstündigen Rundgangs die tiefernste Thematik dieser Ausstellung durch den kindlichen Filter erlebt, desto kritischer empfindet man die eigenen, zum Teil durchaus vorgefertigt-klischeehaften Reaktionen: Weil aus Kindermund auf ganz anderes, aber Beachtenswertes hingewiesen wird: auf die stereotype Handhaltung von portraitierten Männern etwa, die, gut gekleidet, also offensichtlich „Chefs“ sind und nicht mehr selbst Hand anlegen, sondern diese entspannt in ihrem Schoß ruhen lassen. Oder aber, weil Kinder verbalisieren, was „wohlerzogenen“ Erwachsenen einmal ‚rausgerutscht‘ ist: „Zigeuner. Zigeuner heißt quasi Diebe“, im Allgemeinen aber oft genug nur mehr (vorurteilsbehaftet) gedacht wird. Beschämende Selbsterkenntnisse dieser Art stehen während dieser Führung neben verstärkter (von nun an vielleicht eher zugelassener) Emotionalität, wenn Kinder offen von ihren Tränen beim Schauen eines Kriegsfilms erzählen. Oder aber angesichts brutaler Darstellungen forsch feststellen: „Ich kann diese Bilder hier nicht anschauen! Die sind alle so schiach!“ Ein Nachdenken über die Berechtigung oder doch auch zeitweise kurz entschuldbarem Wegschauen geistert zweifellos durch manchen Kopf.
Vor einer künstlerischen Darstellung dessen, was vom jungen Betrachter ohne Zögern als „Das ist Russland“ bezeichnet wird, greifen die zitierten kindlichen Assoziationen noch tiefer: „Wenn Krieg in Österreich wäre, würde ich nicht mitmachen. Oder doch, … naja, wenn einer schon auf uns schießen würde, würd’ ich ihn dann schon ... töten.“
Es fehlen den Kindern beim Betrachten von Gemälden aber auch nicht poetisch kreative Impulse: „Weltumschmerzung … Weltschmerz … Weltschmutz … Weltumschmutzung … Weltverschmutzung … Umweltverschmutzung“ oder aber entwaffnende ‚Logik‘: „Das hier ist eine Nervenklinik. Wenn man Nerven hat und die nicht weg bekommt,…“
Bei aller auch explizit geäußerter Begeisterung über diese Ausstellung, wird einmal überraschend die Frage gestellt: „Was soll denn Bilder malen bringen?“ Die Antwort geben die Kinder sich selbst, wenn sie etwa betrachtend feststellen: „rechts und links. Arm und reich. Klüger und dümmer. Ja, das ist immer, immer die gleiche Geschichte“ – und damit auch allen anderen Fragenden: Ein Aufzeigen von zweifelhaft eingespielten, eingefahrenen Gegebenheiten.
Und eben dies bewirkt auch diese Performance.
Navaridas & Deutinger – Emancipation of Wonder; Premiere 1.Dezember 2022, Neue Galerie Graz