In bunter Spartenvielfalt durchzieht das Festival La Strada neun Tage lang vielstimmig die Stadt: formal abwechslungsreich angelegt und aufbereitet zwischen unterhaltsam Niederschwelligem und anregend Anspruchsvollem. Das, was vor 25 Jahren und von Beginn an in allen Bereichen qualitätsorientiert als schillerndes Straßenkunst-Festival begann, hat sich markant weiterentwickelt.
Seit einiger Zeit als ‚Internationales Festival für Straßenkunst, Figurentheater, Neuen Zirkus und Community Art‘ definiert, hat es nunmehr Dank zusätzlicher, aktuell relevanter ‚Schienen‘ verstärkt kulturell wirksamen Charakter.
So setzt das Künstlerkollektiv Effetto Larsen in seinen Workshops und den daraus entwickelten, partizipativen Performances dort an, wo jede Gemeinsamkeit, jede Gemeinschaft beginnt: idealerweise bei einer adäquaten Wahrnehmung des anderen nämlich, unter Bewusstmachung und Hinterfragung von Unterschieden und schließlich deren fairer Beurteilung und vorbehaltloser Bewertung respektive Akzeptanz. Spielerisch kompetitiv werden die Teilnehmer von „The Fair of Others“ in die Thematik eingeführt, innerhalb von zwei Stunden ansatzweise von ihren Alltags-Masken und Rollen behutsam entfernt und damit „geöffnet“ für anderes, selbstkritisch freieres Denken, Agieren und Rezipieren – ein kurzfristiger Input, der weiterwirken könnte und sollte.
„…Altbekanntes mit ganz anderen Augen zu sehen“ ist an der Wand der Rauminstallation „Signal vom Dachstein“ zu lesen – also in Ergänzung und thematischer alternativ zu dem, was Matteo Lanfranchi in seinem, oben beschriebenen Workshop anregt: Soll doch dieses, im vergangenen Jahr am Dachsteingletscher gestartete Projekt in vielerlei regional verwurzelter Art auf die Komplexität der Folgen der Klimaveränderungen mittels künstlerischer Interpretation und Umsetzung verweisen – also anderes Rezipieren und Agieren initiieren. Die Installation bietet neben einigen informativen Texttafeln und einem zentralen, weitläufigen Relief der Bergregion vor allem die Möglichkeit, anhand einer ausgezeichnet aufbereiteten Video-Dokumentation einen Eindruck bisheriger Kunstaktionen – allen voran die „Landschaftsoper“, uraufgeführt auf dem Gletscher im vergangenen Jahr - zu erhalten. So sind u.a. originäre Dachsteinklänge, komponiert aus Wind, Wasser und Höhlen-„Gemurmel“ von der Tonkünstlerin Katharina Pfennichzu erleben, Bodo Hell ist zu hören und in den alpinen Bilderrausch eines Christoph Huber, Fotograf, ist einzutauchen.
Der gleichen Thematik widmet sich das Community Art Projekt „Im Klimagwandl“ von Kunstlabor Graz. Ebenso ungewöhnlich wie prominent platziert inmitten eines Grazer Einkaufzentrums zieht die Performance selbstverständlich viele und auch unbeabsichtigte Blicke an. Die attraktiven Kostüme in Naturweiß, komplimentiert durch ebensolche und doch in klarer Zurückhaltung wirkende Gesichtsbemalung in Schwarz, haben es sich ebenso verdient wie die dynamische choreografische Gestaltung (Madeleine LIssy) insgesamt. Abwechslungsreich die dramaturgische Umsetzung auf unterschiedlichen Ebenen, besonders einprägsam durch den theoretischen Faden in Dialogform. Allein: Die textintensive Performance verfehlte an diesem Ort ihre eigentlich intendierte Wirkung; sosehr die Verortung in diesem Konsumtempel inhaltliche Berechtigung besitzt: „kaufen, kaufen, kaufen“ - dies drang immerhin klar kritisch ans Ohr der meisten; vieles an Wichtigem, Aufrüttelndem aber ging in dieser (lauten, geschäftigen) Umgebung verloren – sosehr die zum Großteil berechtigterweise gängig aufbereiteten, gut nachvollziehbarer Argumente und Beispiele ihr Ziel-Publikum hätten effektiv erreichen können.
Etwa wie in der Kaiserfeldgasse, einem nun schon angestammten Ort für La Strada Aktionen, den die kleine feine ‚Soiree mit Musik, Tanz und Talks‘ anregend zu nützen wusste. Vor so manch Lauf-Publikum, aber auch vor einer nahezu überraschend großen Anzahl gezielt Gekommener: Das künstlerische Team von Arts for Health Austriascheint also mit seiner Informations-Initiative zur wissenschaftlich belegten Wirkung von künstlerischem Tun auf die Gesundheit eine offene Tür weiter aufzustoßen. Zusätzlich zu (fast zu kurzen) Statements über neueste Erkenntnisse in diesem Bereich, wurde das Publikum auch zu praktischen Mini-Eigenerfahrungen – erfolgreich – animiert.
Bewegungstechnisch-tänzerisch so wie choreografisch-darstellerisch begeisternd und inhaltlich berührend: die thematisch immer wieder von neuem und derzeit besonders aktuelle Performance auf Stelzen, „Migrare“, der spanischen Truppe Compañía Maduixa , die sich relativ abstrakt und doch wieder handfest mit Integration im weitesten Sinne und der damit verbundenen Suche nach eines Menschen ureigenen Platz auseinandersetzt. Rhythmisch mitreißend bis hin zu bedrohlich, zeitlupenartig feinnervig - bei all der dargestellten Hoffnungslosigkeit ein einprägsamer Aufruf zum Durchhalten, zum Kämpfen und zur Gemeinschaft – ein Erlebnis.
Inhaltlich vergleichbar wie tiefgreifend anders: Dass außergewöhnliche (starke) Frauen um ihren Platz in der Gesellschaft, in der Welt (auch noch heute) kämpfen müssen: denn nicht nur den Hexen im Märchen erging es so: Dies ins Bewusstsein zu rufen, mag eine der Intentionen bei der Großproduktion „Fear the Women in the Dark“ der Grazer Gruppe Follow the Rabbit unter der Regie von Simon Windisch gewesen sein. Die beinahe eineinhalbstündige ‚Elektro-Oper-Performance‘ erstreckt sich in und über einen kleinen Park mit Teich und hohen alten Bäumen – stimmungsvoll, mit zunehmender Dunkelheit auch etwas unheimlich, ‚undurchschaubar‘ ein wenig und damit stimmig bei all dem, was in dieser Performance nicht immer klar deutbar und nachvollziehbar ist; märchenhaft eben auch (noch) ein bisschen. Vor allem aber ist’s ein absurd komisches Spektakel, dessen technischer Aufwand (eine Spielwiese höchster Qualität für Bühnenbild und Kostüm der Lisa Horvath) allerdings nicht immer gerechtfertigt scheint. Einige der Szenen sind optisch dicht und einprägsam, in die Tiefe gehen sie kaum.
Freude am Zuschauen, am fröhlich-interaktiven, spaßig überraschenden und sehr wohl auch hochprofessionellen Können und Tun von Straßen und ZirkuskünstlerInnen – diese wurde insbesondere (auch) von Leandre Clown und seiner akrobatisch begeisternden Partnerin in „Fly me to the Moon“ abgedeckt; wenn auch nicht ganz so überzeugend wie von diesem „Großmeister der Clown- und Straßenkunst‘ erwartet. Zirkusluft der nahezu traditionellen Art war hingegen durchaus intensiv und ausgiebig im Circus Ronaldo zu schnuppern: Vater und Sohn verkörpern in „Sono io?“ die siebente Generation einer Zirkusdynastie und erzählen dabei – Sohn Pepijn Ronaldo brilliert mit artistischen Gustostückerln – mit fundiertem traditionellem Können und Witz von den auch in dieser besonderen Welt gegebenen Generationenkonflikten; könnten sie doch auch in der „normalen Welt“ so unterhaltsam sein.
Ohne alle Programmangebote besuchen und/oder hier erwähnen zu können, dürfte die Bandbreite des Festivals nachvollziehbar geworden sein. Dass es diesmal im Rahmen eines Konzertes eröffnet wurde, sei als letzte Charakterisierung noch hinzugefügt: nach einer Idee und der Szenographie des Festival-Intendanten Werner Schrempf wurde La Melodia della Strada von Jazzkomponisten Christian Muthspiel und seinem 18köpfigen Orjazztra Vienna im Grazer Opernhaus uraufgeführt, womit es endlich eine ‚(Titel)Melodie zur Kunst des Sommers‘ gibt.
La Strada Graz, 29.Juli bis 6.August 2022