Künstlerische Forschung ist ein boomendes Feld und dieses Konglomerat aus Kunst und Wissenschaft bringt manchmal recht fragwürdige Projekte hervor. Ein solches ist die „Temple du présent – Solo pour octopus“ (Judith Zagury, Mathalie Küttel/Stefan Kaegl), deren filmische Bearbeitung im Volkstheater zu sehen war. Simon Mayer zeigte sein erfolgreiches Solo „SunbengSitting“ im Akademietheater und Anne Teresa De Keersmaeker bereitete auf eindrückliche Weise im Volkstheater mit ihre Compagnie Rosas und Amandine Beyer/Gli Incogniti Heinrich Ignaz Franz Bibers großartige Rosenkranzsonaten auf.
Tiere am Theater gibt es vermutlich, so lange es Theater gibt. Seit der Neo-Avantgarde der 1960er Jahre wurden sie vor allem in Performances eingesetzt, in denen die Bedingungen des Theaters selbst untersucht wurden. Legendär etwa war „The Others“ von Rachel Rosenthal, die den Umgang mit Tieren performativ-gesellschaftskritisch anprangerte. Auch später arbeiteten immer wieder Performer*innen mit Tieren, wie Forced Entertainment, Societas Raffaello Sanzio/Romeo Castellucci oder Jan Fabre. In den letzten zwanzig Jahren erweiterte sich die theatrale Praxis um den Einbezug naturwissenschaftlicher und kulturtheoretischer Forschungstexte, wie etwa von Donna Haraway oder Jaques Derrida. Tiere werden als das Andere, Fremde reflektiert und ermöglichen Betrachtungen im liminalen Raum zwischen Forschung und Kultur.
Doch dieses ineinander verschwimmen von Wissenschaft und Kunst birgt viele problematische Deutungen von Phänomenen und kann auch zu Missverständnissen führen, wie am Film „Temple du présent – Solo pour octopus“ (9. Juli im Volkstheater) festzustellen war. Diesem Film, in dessen Fokus ein gefangener Oktopus und eine Performerin stehen, ging eine Performance am Theater voraus. Auf der Bühne befindet sich, kurz zusammengefasst, ein Aquarium samt dem großen Oktopus. Die Performerin (Nathalie Küttel) trachtet nach Kontaktaufnahme mit dem Tier und legt dazu ihre Hände auf die Glaswände oder taucht sogar die Finger in die Wanne ein, um den Kraken zu berühren und sich von ihm berühren zu lassen.
Das alles ist keine Dokumentation, sondern ästhetisierend gefilmt, also in eine künstlerisch ansprechende Form gebracht. Auch die Kommentare aus dem Off über die genaue wissenschaftliche und artgerechte Vorbereitung der Künstler*innen und die zoologische und meeresbiologische Einschätzung von Experten ist wie eine künstlerische Tonspur angelegt. So erhärtet sich der Eindruck, dass es hier um falsch verstandenes Interesse an der fremden Kreatur geht. Fast scheint es, als wären die bedachten und umsichtigen Künstler*innen in eine Falle des „kolonialen Blicks“ getappt, eine Unterstellung, gegen die sie sich bestimmt empören würden. Doch auch sämtliche Kommentare der Performerin während ihrer Manipulation des Tieres legen diesen Schluss nahe, da sie in ihren Interpretationen genau jene Vermenschlichungen des Oktopoden vornimmt, die sie eigentlich vermeiden will.
Letztlich bleiben schwerwiegende Fragen zurück: Warum in einem Aquarium, in dem das Tier gefangen ist und offensichtlich nicht den Raum hat wie in seinem natürlichen Biotop? Forscher*innen, denen die letzten wissenschaftlichen Erkenntnisse über diese Spezies zu danken sind, haben sich immerhin als Taucher in deren Lebensraum begeben, was klarerweise eine ganz andere Kommunikation ermöglicht. Warum wird das „Solo“ genannt? Hier produzieren sich eher diejenigen, die den Film gemacht haben und nicht ein Oktopus. Und schließlich: Wozu das Ganze überhaupt? Eine wissenschaftliche Dokumentation über Oktopoden wäre hilfreicher zum besseren Verständnis solcher Tiere. Oder mehrere, denn Wissenschaft lebt vom Diskurs, nicht nur die Kunst.
Sonnenbankerl
Simon Mayer ist mittlerweile ein häufiger und gern gesehener Gast bei Impulstanz. In „SunbengSitting“ dekonstruiert er, ähnlich wie ein „Sons of Sissy“, seine Wurzeln als oberösterreichischer Bauernsohn, nackt natürlich. Landler und andere Volkstänze sowie Lieder aus seiner Gegend dienen ihm als Grundlage für vermeintliche Bewegungs-Spompanadeln, die bei näherer Betrachtung klug gebaut und ausgezeichnet getanzt sind.
„SunBeng“ bedeutet so viel wie das Sonnenbankerl, auf dem man am Land nach dem Tageswerk gern verweilt. Doch erst kommt die Arbeit, also Jodeln, Schuhplatteln, Aperschnalzen, wie ein Derwisch im Kreis tanzen und dazu auch noch ein eigenes Sound Design mit Live Loop kreieren (Pascal Holper). Das Sunbeng will dann auch erst geschaffen werden und so kommt Mayer mit der Motorsäge auf die Bühne und schnitzt sich sein Bankerl aus einem Baumstamm, Momente des Schreckens für das Publikum inklusive. Schließlich hat er es geschafft und sitzt friedlich am Bankerl. Ein letztes Gstanzl singt er noch, bevor die Sonne untergeht, vom Edelweiß, das er dem Dirndl pflücken will. Aber leider stürzt er dabei ab und stirbt bei herausspritzenden Eingeweiden. Nicht nur Wiener Lieder sind perfid-idyllisch.
Rosenkranzsonaten
Der „Rosas“-Abend begann mit einiger Verspätung, nachdem die Nebelmaschine kaputt gegangen war und den Zuschauerraum mit stinkenden Rauchschwaden versehen hatte. Die Feuerpolizei gab die Bühne erst 45 Minuten später frei, als das Publikum, das dennoch schon Platz nehmen konnte, klatschend und stampfend den Beginn einforderte. Ein paar erklärende Worte von der Bühne wären hilfreich gewesen.
Doch dann eine Vorstellung, die Keersmaekers großem choreographischen und musikalischen Vermögen wieder einmal alle Ehre machte. Diesen Abend mit den etwa um 1675 entstandenen fünfzehn Rosenkranzsonaten von Biber widmete sie gleich fünf Rosas: Rosa Bonheur, Rosa Luxemburg, Rosa Parks, Rosa Vergaelen und Rosa, der jungen Klimaaktivistin, die bei den Überschwemmungen in Belgien 2021 ums Leben gekommen war.
Mit den jungen Rosas-Tänzer*innen auf der Bühne war auch die famose Geigerin Amandine Beyer mit ihrem Ensemble „Gli incogniti“. Man kann sagen, allein die musikalische Performance des schwierigen Werkes für die skordierte Violine war ein Fest sakraler Musik. Eine choreographische Herausforderung, doch hier kam Keersmaekers großes Wissen um Alte Musik und ihre langjährige tänzerische Erfahrung voll zum Einsatz. Wieder gelang es dieser unglaublich musikalischen Choreographin (eine Fähigkeit, die sie mit wenigen teilt), glasklare Architekturen von Bewegung in den Bühnenraum zu setzen, auch dank der von ihr bestens ausgebildeten Tänzer*innen. Hier trafen Strukturanalysen auf religiöse Bilder und man müsste das Werk nochmals anschauen, um wirklich alles zu sehen. Keersmaeker schafft es als eine der wenigen, intermedial zu arbeiten, also die Musik nicht einfach in Tanz zu setzen, sondern eine Partitur aus Bewegung zu schaffen, welche die Musik ins Medium Tanz übersetzt.
ImPulsTanz (7. Juli bis 7. August): Stefan Kaegi (Rimini Protokoll) / Judith Zagury and Nathalie Küttel (ShanjuLab): „Temple du présent – Solo pour octopus“ am 9. Juli im Volkstheater; Simon Mayer: „SunBengSitting“ am 11. Juli im Akademietheater; Rosas / Gli incogniti: „Mystery Sonatas / for Rosa”am 12. Juli im Volkstheater