Mit María La Ribot und Mathilde Monnier waren zwei international renommierte Größen des europäischen Tanzes im Tanzquartier Wien zu Gast. Gemeinsam mit dem portugiesischen Theaterregisseur und Theaterleiter Tiago Rodrigues entwickelten sie mit „Please Please Please“ einen poetischen Dialog zwischen einer Mutter und deren Tochter. Und die Kakerlaken tanzen ihre Auferstehung.
Nur noch die drahtige Hülle eines riesigen Kriechtieres liegt gebogen auf der ansonsten leeren Bühne. Schlagzeug-Besen wischen Rhythmen. Die zwei Tänzerinnen, in metallisch glänzenden Kapuzen-Overalls, winden sich am Boden wie geschundene Kreaturen, kratzen sich den Rücken. Bartók-Musik erhöht den Druck. Sich peu a peu die Vertikale erkämpfend und zögerlich interagierend, beginnt ein Leben nach Hiroshima. Auch für diese zwei Kakerlaken.
Vom Schlagzeug getrieben, nun die Köpfe entblößt und zusätzlich mit einer Jacke bekleidet, hüpfen sie in schnellen Schritten. Sie jagen mit ihren Geschichten die englischen Übertitel. Auf französisch und sich ständig abwechselnd, erzählen sie uns von einer Kellnerin in Hiroshima, die die Atombomben-Explosion im Weinkeller ihres Lokales mit einer teuren Flasche Wein in der Hand überlebte. Sonst nichts und niemand über ihr und um sie herum. Oder von einem Rollstuhlfahrer am Meer, der allein nichts mehr tun kann und in Angst vor Monstern und Alpträumen lebt. Sie reden von den Polen Schuld und Unschuld, Freude und Leid. Von der Sehnsucht, bei dir zu sein und dass sie alles tun würde dafür. Finger abschneiden, alles Geld hergeben. Davon, mit einem Boot in den Dschungel gefahren zu sein, dort über Jahre die Sprache des Stammes gelernt, dann auch übersetzt zu haben. Dass die eigene Kultur sie umbringt mit ihrer Verständnislosigkeit und Ablehnung. Nie wieder zurück in die Zivilisation! Von einem Haus in Flammen. Von einem Karussell („Schneller! Größer!“), in dessen Getriebe sie geraten ist und, allein dort, nur durch die Transformation in eine Ratte als schließlich die Königin dieser Welt dort unten überleben konnte.
Sound und Licht begleiten den Übergang. Mutter und Tochter nun. La Ribot verspricht, „immer für dich da zu sein“. Auf spanisch. Und Mutter Monnier verlangt: „Sprich meine Sprache!“, verspricht noch, nicht zu sterben, „so lange du mich brauchst“. Sie hat noch keine Zeit gehabt, ihrem Kind einen Namen zu geben. „Es ist schwer, zu überleben.“ Von unbedingter Liebe zu einem Kind, das zu Mann oder Frau oder sonst was aufwächst, sprechen sie, von der Zerstörung der Welt und keine Kinder zu wollen, vom alt werden und krank und ob sie sich dann noch um sie kümmern werde. „Nein!“ „Vielleicht.“ Vom Hass auf Ende, Tod und Mutter, vom Tod als Ende und Anfang einer Geschichte, dass auch der gestorbene Körper noch Geschichten erzählt. Tod. Alles erzählt diese Geschichte, der Wind und der Polar-Fuchs. Und irgendwann weiß niemand mehr, wer von uns früher starb. Sie wollte nur eine Flasche Wein holen aus dem Keller. Dann kam die Explosion ... „Please Please Please“.
Was ist Zukunft? Was ist Hoffnung? In die so poetischen, metaphorischen Texte von Tiago Rodrigues bringen Mathilde Monnier, geboren 1959, französische Choreografin und seit 1994 Leiterin des Centre Chorégraphique National de Montpellier Languedoc-Roussillon, und La Ribot, geboren 1962 in Madrid und in Genf lebende Tänzerin, Choreografin und bildende Künstlerin, mit ihrem Tanz Energie und Physikalität. Im Heute angesiedelt und doch zeitlos, spricht „Please Please Please“ (Titel gebend war ein Lied von James Brown & The Famous Flames aus dem Jahr 1956: „... baby, please, don't go“ ) von Intoleranz und Ausgrenzung, von Missverständnissen zwischen den Generationen, von Unverständnis gegenüber der Jugend, dem Alter, dem Neuen, dem Anderen, dem Fremden, dem Tod. Und vom Lernen. Das Gefangen sein im so vertrauten Denken in Polaritäten beginnt sich aufzulösen mit jenem „Vielleicht“ der Tochter. Das Entweder-Oder kann überwunden und damit Zukunft möglich werden. Hoffnung in der Dystopie. Und noch eines: Wie uneitel diese zwei Frauen ihre Tanzkunst und ihre Strahlkraft in den Dienst dieser reifen, klugen Melange aus Text, Tanz und Performance, deren Entwicklung bereits vor 40 Jahren begann, stellen, hat Seltenheitswert.
„Please Please Please“ von La Ribot, Mathilde Monnier und Tiago Rodrigues am 16. Oktober 2020 im Tanzquartier Wien.