Ein „Musenkuss“ zauberte am 4. Juni, also nach knapp drei Monaten Bühnenleere im Grazer Opernhaus, wieder einige der Künstler und Künstlerinnen, denen diese Hommage gewidmet war, auf eben diese Bretter. Und wie sehr diese Bretter ihnen die Welt bedeuten, das war auch wenige Tage später den Tänzern und Tänzerinnen in der Ballett-Premiere „(Dis)Tanz“ nicht nur anzusehen, sondern auch nahezu greifbar im ausverkauften Haus; und atmosphärisch spürbar – selbst für die situationsbedingt nur 100 Zuseher, die für einen der vier Vorstellungsabende eine Karte ergatterten hatten.
Ballettdirektorin Beate Vollack führte launig-energievoll durch das szenische Programm. Einem, dem sie trotz einer relativ kurzen Probenzeit und zusätzlich eingeschränkt durch die derzeitigen und insbesondere beim Tanz kaum vorstellbaren Abstandsregeln eine dramaturgische Struktur zu geben vermochte .Wie gut, dass die logischen Abstands-Ausnahmen beispielsweise Lucie Horná und Christoph Schaller betreffen: So konnte ihre „Roméo et Juliette“ Szene aus der gleichnamigen Oper Charles Gounod als Eröffnung des Abends feinsinnig und liebevoll-graziös in die Emotionalität der nunmehr viele Wochen vermissten Tanzwelt hineingleiten lassen. Gleichzeitig in die der letzten zwei Choreographie- und Leitungsjahre Vollacks, aus denen markante und erfolgreiche Tanz-Beispiele gezeigt wurden.
Nicht zu vergessen das, was außerdem in der Vergangenheit, also in den letzten Monaten auf dem Spielplan gestanden wäre: „Zum Sterben zu schön“ in einer Choreografie von Jo Strømgren. Als Uraufführung war nach Musik von Alessandro Scarlatti daraus ein in seiner klaren Bewegungsführung besonders beeindruckendes Solo, getanzt von Martina Consoli, zu sehen. Der Wunsch nach mehr war hierbei ebenso stark wie nach den den Abend beschließenden vier Szenen aus dem geplanten „Happy (No) Énd“ zu Musik von Benjamin Britten, in der Choreografie von Sascha Pieper. Insbesondere das Solo von Bálint Hajdu und das Duett von Miki und Frederico Oliveira ließen bewusst werden, worauf in Zeiten ohne Tanz verzichtet werden muss.
Das im Tanz so besonders plastisch zu realisierende Thema des tiefliegenden Zusammenspiels zweier Menschen konnte von Lucie Horná und Christoph Schaller in einem Pas de deux aus „Cinderella", ein weiteres Mal in dieser Programmzusammenstellung rund um vereinzelte, aber umso außergewöhnlichere Liebes-Perlen aufgereiht, überzeugend erlebbar gemacht werden.
Um düstere, nahezu gegenteilige Thematik dreht sich Vollacks „toller Start“ (O-Ton der Direktorin): „Sandmann“, nach Hoffmanns Erzählung, choreografiert von Andreas Heise. Dass der Ballettdirektorin Einschätzung sehr wohl zutreffend ist, war an allen drei gezeigten Ausschnitten nachvollziehbar, insbesondere an dem Solo mit Paulio Sóvari.
Locker Erheiterndes boten in einem weiteren Gegensatz Szenen aus Vollacks Choreografie von Josef Haydns Oratorium „Jahreszeiten“. Dass der dort behandelte Frühling derzeit - in Erinnerung an den gerade vergangenen – nicht auftreten durfte, war wahrscheinlich nicht nur in ihrem Sinne.
Ballett der Oper Graz: „(Dis) Tanz“ am 10. Juni in der Oper Graz