Wieviel an schillernd-spektakulärem Input muss Kindern geboten werden, um sie bei der Stange zu halten? Emmy Steiners Antwort lautet zweifellos: wenig. Und die eines Erwachsenen nach Besuch ihres 40minütigen Bewegungstheaters „PIP“ nur insofern anders, als ein beeindruckt-bejahendes Kopfnicken dazukommen mag. Beeindruckt ob der soeben erlebten, körpereigenen Ausdruckspallette in einem weitgehend minimalisierten Bereich.
Und Nachdenklichkeit mag sich beim Rezipienten dazugesellen: ob der häufigen Unterschätzung kindlicher Sensoren für feinsinnig Angedeutetes, das der unverbrauchten Fantasie von Kindern (hier angegeben für solche ab 4, die sich wie auch die älteren allesamt nicht mucksten) doch Tür und Tor in wunderbare, jeweils ureigenen Welten öffnet. Freilich, die von der Performerin gebotene Qualität in dieser mit Dschungel Wien produzierten Darbietung ist keine ganz alltägliche (siehe auch der dafür vergebene STELLA 2019 für herausragende darstellerische Leistungen): Die (für den Zuseher) in konzentrationserhöhender Langsamkeit durchgeführten, überaus exakten und vom Beginn bis zum jeweiligen Kreationsschluss zielgerichteten Bewegungen zeichnen, respektive zaubern Bilder, die einer abstrakt-intellektuellen (Erwachsenen-) Formenwelt ebenso dynamisch-beflügelnde Buntheit verleihen wie einer im Märchenhaft-Zukunftsmagischem verankerten von Kindern. Und diejenigen, die eine Entwicklungs- und/oder Entdeckungsgeschichte erhoffen und suchen – auch sie werden bei der Hand genommen und kurzweilig von einem „konkreten“ Wesen zum nächsten geführt.
„Role Model“
eine Tanzperformance aus den Niederlanden für Menschen ab 12, ist in erster Linie eine professionell und sehr gut getanzte, vergnügliche, jung-dynamische, spritzige und visuell amüsante, unserer Zeit, ihren Gefühlen, Gedanken und Fragen entnommene Show; eine in nicht allzu kreativer oder origineller Weise gut nachvollziehbare.
Locker changierend zwischen jugendlicher Lebenslust und allgemein bekannter Problematik begeistert sie die Anwesenden, reißt unterbrechungslos mit und Tanzbegeisterte schlussendlich mühelos auf die Bühne. Choreographin Nicole Beutler mag letztendlich mit dieser, ihrer Kombination aus energievollem Tanz und eher niederschwelligen Gedankenanstößen richtig liegen, um Jugendliche dieses Alters weitgehend ausnahmslos mitzunehmen und, ja, auch nachhaltig zu erreichen, um im einen und anderen Gedanken einen Schritt weiter zu kommen.
„Liebe üben“
Dort wo und weil selbstverständlich (O-Ton der Künstler) Theater und Tanz ineinander übergehen, siedeln die Schauspielerin Nora Von der Mühll (Theater Sgaramusch) und der Tänzer Ives Thuwis (Nevski Prospekt) ihr „Dokumentarisches Tanztheater“ an. Sie nennen es „Liebe üben“ und regen damit junge Menschen ab 11 an, über eine der wichtigsten Sachen der Welt mit ihnen gemeinsam nachzudenken und sie – zumindest zuschauend mitfühlend - zu üben; schließlich erprobt und trainiert man ja auch andere wesentliche Lebensbereiche.
Schüchtern-versteckte Annäherungsversuche zwischen den beiden bauen in ihrer zarten, allen wohlbekannten Wirklichkeitsnähe die Brücke zu jedem einzelnen im vollbesetzten Zuschauerraum. Humorvoll direkt hingegen wird bald darauf als auflockernder Kontrast in akrobatischem Bewegungsfluss intensives Dauer-Küssen geübt. Eingespielte Interviews mit Jugendlichen zum Thema eröffnen den Blick auf klischeehafte Erwartungshaltungen, während die nachdenklichen, zum Teil durchaus persönlich offenen Überlegungen der Künstler die Vielschichtigkeit des Themas und seine Herausforderungen unterstreichen. Wie letztlich banal aber auch die Hürden des Zusammenfindens aufgebaut sein können, führen sie alsogleich ganz wunderbar tänzerisch in einem Sessel-Pas de Deux vor. Eine bezaubernde Geschichte für sich sind ihre Tanzbilder eines Lebens zu dritt; ohne dabei neben den tiefen Glücksgefühlen auftauchende Schwierigkeiten zu vergessen. Dass es auch gleichgeschlechtliche Liebe gibt, wird ebenso emotional an- und vorgeführt wie die „undenkbare“ Situation, in zwei Menschen gleichzeitig verliebt zu sein:
„Ich weiß nicht mehr, was ich will.“ „Man spürt doch, was man will“, so und in variationsreichen anderen Formen werden immer wieder die Unsicherheiten, ja Hilflosigkeit eines Menschen in Sache Liebe angedeutet. Bewirken damit, gleichermaßen beunruhigend wie entspannend, sich damit nicht ganz allein zu fühlen. Und erst recht nicht alleingelassen oder gar dumm empfindet man sich (auch bei einem persönlichen Rückblick) bei den charmant-witzig wie realitätsnah vorgeführten Problemen einer Trennung:
„Das kann ich nicht“ wird von einem der Künstler behauptet bevor sie in eine weitere „Übungsphase“ einsteigen, sich auf gesamtheitliches, also mit Kopf und Körper angedeutetes „Durchspielen“ einlassen. Hochemotional wie nüchtern, humorvoll wie aggressiv.
Die Qualität der Ausführung und die Ungewöhnlichkeit diese künstlerischen Ansatzes besticht; die emotionale Strahlkraft wird unterschiedlich ankommen – und das darf sie.
Spleen 2020: „Liebe üben“ am 11. Februar im Theater am Lend; „Pip“ am 12. Februar, 9:00 im Theater am Ortweinplatz; „Role Model“ am 12. Februar im Kristallwerk