Keine harmlose Träumerei. Seit Goyo Montero das Ballett des Staatstheaters Nürnberg leitet, sorgen seine Choreografien stets für Überraschungen. Immer wieder greift der gebürtige Madrilene neben abstrakteren Eigenkreationen auf renommierte Klassiker oder literarische Stoffe zurück. Nach „Desde Otello“ und „Romeo und Julia“ setzte er mit „A Midsummer Night’s Dream“ erneut ein Shakespeare-Stück auf das Programm.
Am 15. Februar wird die Kompanie die irritierend-geniale Adaption in dieser Spielzeit wieder aufnehmen. Mit teils neuen Besetzungen, da einige langjährige Ensemblemitglieder sich seit der Premiere im Dezember 2018 aus Nürnberg verabschiedet haben. In jedem Fall aber wird der gebürtige Brasilianer Alexsandro Akapohi, seit 2015 am Haus, erneut in die von ihm uraufgeführte Rolle des Puck schlüpfen. Unter anderem dafür erhielt er Ende letzten Jahres den Bayerischen Kunstförderpreis in der Kategorie Tanz.
Goyo Monteros Umsetzung von Shakespeares „Sommernachtstraum“ steht für sich allein. So anders ist der Ansatz, den er für das Stück gefunden hat. Absolut sehenswert, schon allein aufgrund seiner ungewöhnlichen inhaltlichen Disposition. Da steht plötzlich ein wild-verwahrloster Mann mitten im Wald. Dessen schwarzer Grund kann sich laufend in Schrägen und verschiedene Ebenen verwandeln. Statt Bäumen hängt im Reich des auseinandersetzungsfreudigen Feenpaares Oberon und Titania ein Dschungel aus lichterbesetzten Seilen vom Schnurboden (Bühne: Montero, Eva Adler). Bei ihrem ersten Auftritt liefern sich die Interpreten des zänkischen Paars erstmal ein luftiges Gefecht, bevor sie sich aus ihren opulenten, festlichen Roben und schwingenden Lianen-Kokons pellen. Den passenden Sound für diese atmosphärisch getragenen Szenen hat eigens der Kanadier Owen Belton komponiert.
Wer Mensch und wer Geisterwesen ist, lassen die rindenartigen Trikotage-Kostüme von Jordi Roig erkennen. Es dauert ein wenig, dann aber begreift man: In diesem Zauberwald führt Bottom das Handwerkerstück „Pyramus und Thysbe“ als One-Man-Show auf. Seine von Montero grandios inszenierten Spielfiguren sind die herumirrenden Liebespaare Hermia/Lysander und Helena/Demetrius. Ein geniales Kondensat der Vorlage, in dem alles neu aufbereitet dargeboten wird. Hinzu kommt die Leistung eines kreativ zusammengeschweißten Ensembles, das in 90 Minuten den komplexen Kosmos unterschiedlicher, ineinandergreifender Existenz- und Gefühlswelten tänzerisch expressiv darzustellen vermag.
Sowohl Frederick Ashtons „The Dream“ als auch John Neumeiers Version waren in den vergangenen Spielzeiten in London, Dresden bzw. München zu sehen. Montero dagegen wurde als Puck-Interpret durch Heinz Spoerlis Choreografie geprägt, die 1976 Mendelssohns Bühnenkomposition mit Minimalmusic verlinkte. Verständlich, dass er lange einen persönlichen Zugang zu dem Werk suchte. Letztlich inspirierten Montero die Geburt seines Sohnes und daraus resultierende Verlustängste. Schlüssig herausgearbeitet wurde die Idee, Puck könnte das in Goethes Ballade vom Erlkönig geraubte Kind sein. Überaus erstaunlich, aber die Fusion funktionierte.
Monteros „Sommernachtstraum“, der dem bekannten und oft quer durch alle Genres beackerten Stück ganz neue Züge verleiht, beginnt musikalisch mit Schuberts „Erlkönig“-Vertonung. Der Vater – alias die Figur des Bottom – kämpft sich im Schummerlicht voran. Die Puppe in seinen Armen bewegt sich total lebensecht. Doch bald greifen schwarze Schatten nach dem Kind. Der Vater stürzt und verliert seinen kleinen Schatz. Die Szene gipfelt in grauenvollem Schmerz, der sich in Haltung und Gesichtszügen des Tänzers festbeißt.
Als man dem Mann erneut begegnet, schleppt er den Schädel eines Esels mit sich herum. Während sich aus der Begegnung mit Titania ein Beziehungs-Pas de deux entspinnt, bleibt das Zusammentreffen mit Puck – in der Interpretation von Alexsandro Akapohi ein fabelhaft-geschmeidiger Unruhestifter – ohne emotionale Folgen.
Die Hofgesellschaft dagegen lässt Montero zu Mendelssohn Bartholdys „Hochzeitsmarsch“ über die leere Bühne rauschen. Tänzerinnen und Tänzer stecken in historisch hochgeschlossenen Kleiderkorsetts und formieren sich schematisiert. Hie und da bricht ein Paar aus. Man versucht, sich gegenseitige Zuneigung zu zeigen. Und stolpert doch kollektiv in einen Alptraum der Gefühlsumwälzungen hinein. Ein toller choreografischer Zugriff, den die großartige Kompanie einfach hinreißend meistert.
Staatstheater Nürnberg Ballett: „A Midsummernight’s Dream“, Premiere am 15. Dezember 2019 im Nürnberger Opernhaus. Nächste Vorstellungen: 15., 18., 23., 25. Februar; 17. März, 6. und 12. April 2020.