Von Puschkin gedichtet, von Cranko nachgedichtet. Ballettdramatik in romantischer Manier auf zweierlei Art hat das Wiener Staatsballett in diesen Wochen aufbereitet. Nach der abenteuerlichen Palette von "Le Corsaire" in üppiger historischer Gewandung folgt nun John Crankos auf Sensibilität ausgerichtete Nacherzählung von Alexander Sergejewitsch Puschkins Versepos "Eugen Onegin" (1830).
Crankos elegische Version für sein Stuttgarter Ballett, 1965 kreiert, hat durch die Jahre nichts von ihrer poetischen Ausstrahlung verloren. Als ein dezent angelegtes Seelendrama ist dieser "Onegin" jetzt in der Wiederaufnahme an sechs Abend mitzuerleben.
Musik von Peter I. Tschaikowski erklingt. Nicht Melodien seiner Oper, sondern Auszüge aus mehreren seiner Werke oder von Kurt-Heinz Stolze instrumentierte kleinere Piecen. Fein gemacht, doch weniger bewegend, weniger impulsiv als Tschaikowski original. Dirigent Ermanno Florio ist ein sorgsamer Führer durch diese sehr schön humane Empfindsamkeiten vermittelnden Albumblätter.
Lebendig choreographiert, nicht überladen, elegant getanzt in den Ballszenen. Dramaturgisch wird ein Kammerspiel mit stets nobler Attitüde in der Aufbereitung der Konflikte geboten. Große Spannung kommt zwar nicht auf, doch in den Schlüsselszenen mit ihren starken melodramatischen Momenten vermögen die Solisten alle ihre Gefühle auszuspielen. Robert Gabdullin, in der Titelrolle debütierend, und Nina Poláková als Tatajana gewinnen mit ihrer Intensität im expressiv erlebten dramatischen Finale das Publikum für sich. Denys Cherevychko überzeugt als gereizter, in seiner Ehre verletzter Lenski. Natascha Mair strahlt als Olga unbeschwerte Jugendlichkeit aus. Alexis Forabosco ist ein überlegene Ruhe vermittelnder Fürst Gremin. Somit, lyrisch wie dramatisch: Crankos choreographische Nachdichtung bewährt sich im Repertoire als stimmiges Handlungsballett.
Wiener Staatsballett: „Onegin“, Wiederaufnahme am 8. Jänner 2020 in der Wiener Staatsoper. Weitere Vorstellungen am 11., 13., 17., 23. Und 26. Jänner 2020