Nach bereits dreijähriger Erfahrung und unübersehbaren Erfolgen eröffnete InTaKT, ein „Inklusives Tanz-, Kultur- und Theaterfestival“, seine dreitägige 4. Ausgabe mit einer Uraufführung des Mezzanin-Theaters, das seit 30 Jahren Besonderes bietet und immer wieder auch mit Menschen mit besonderen Bedürfnissen arbeitet.
Wenn also das Mezzanin Theater in „Die Frühwirts“ Szenen einer (bunt zusammengewürfelten) Familie unter die Lupe nehmen will, dann kann man sich traditionellerweise schon auf so manch Ungewöhnliches gefasst machen. Dass es das Team unter der Leitung von Martina Kolbinger-Reiner und Hanni Westphal derart erfrischend unterhaltsam auf die Bühne bringt und sich gleichzeitig kein kritisch denkanstößiges Blatt vor den Mund nimmt, das ist dann doch noch eine weitere, überaus positive Überraschung.
Und so folgt denn eine geschickt und locker von Hanspeter Horner dramaturgisch arrangierte, mehr oder weniger ausgeflippte Szene auf die andere – rund um familiäre Allerwelts-Alltäglichkeiten. All diese freilich feinsinnig basierend auf unterschwelligen, differenzierten Machtkämpfen und Individualitätsfindungen, auf Vertrauenssuche und Zutrauens-Vorschüssen; durcheinandergewirbelt von Solidarität und Eifersüchteleien. Nicht unwesentlich zum dichten und amüsanten Ablauf trägt dabei als Einführende wie auch als schräges Au-Pair-Mädchen Sandra Lipp bei.
Allesamt sind sie formal abwechslungsreich verpackt in Gestisch-Mimisches oder klar Angesprochenes, wie etwa, wenn hinterfragt wird, was eigentlich kategorisierend erwähnt, benannt werden soll oder muss. Oder aber es sind Szenen, die verpackt sind in einerseits ausgelassen Körperliches und andererseits in kleine, feine tänzerische Sequenzen (Hanni und Yukie Koji, wobei letztere auch insgesamt für alles Choreographische verantwortlich zeichnet).
Die Videoeinspielungen von Nina Ortner, die weit mehr als „Szenenfüller“ Portraits und Probenausschnitte in gleichermaßen unterhaltsam-witziger wie hochwertiger Art zeigen, sind ein weiterer Tupfen auf diesem inklusiven theatralischen Tupfen auf dem I, das in seiner unverblümten Selbstverständlichkeit von gelungenem Miteinander Seinesgleichen sucht.
Ganz andere Qualitäten sind es, die das mutig-experimentelle Projekt „Aufzeichnungen einer Blinden“ auszeichnet. Die Produktion von büro lunaire ist in Kooperation mit dem InTakt Festival, dem Blinden- und Sehbehindertenverband Salzburg und der Steiermark sowie SolistInnen des Schallfeld Ensembles entstanden. Der Text zu diesem Live-Hörspiel, welches vom Publikum in völliger Dunkelheit erlebt wird, entstand im Juli 2019 und bezieht sich auf in dieser Zeit geführte Gespräche mit nicht sehenden Menschen. Die Autorin Gina Matiello war bei der einmaligen Präsentation neben Ninja Reichert gleichzeitig die zweite Stimme der 2 fiktiven Protagonistinnen.
Dieser Versuch einer Annäherung an die Gefühls- und Empfindungswelt von Menschen, die weitgehend oder auch gänzlich ohne visuelle Sinneseindrücke leben, wirkt wahrscheinlich bei jedem nach – mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Für einige mag es der der akustischen Sensibilisierung sein: Für die für viele wohl eher ungewohnten, faszinierend- fremdartigen, aber auch „vertrauten“ (weil an bekannte Geräusche angelehnten) Kompositionen von Peter Ablinger. Hörte man doch diesen überraschungsreichen Klängen dank fehlender visueller Reize umso aufmerksamer und „verständnisfähiger“ zu. Vergleichbares gilt für den anderen Schwerpunkt, für die abstrakten Gedanken- und Empfindungssplitter des Textes, die, vorgetragen in reizbefreiter Stille oder hochsensibel eingefügt in Klangwelten, kurze, innere Blicke auf „reine“, fremde Welten freigeben. Oder, wenn sie Konkretes ansprechen, doch etwas verändert assoziieren lassen.Ob man diese Erfahrungen tatsächlich als punktuelles Kennenlernen der Welt eines nicht sehenden Menschen empfinden kann oder soll, ist eine Option und muss offenbleiben.
Dass Lina Hölscher, verantwortlich für die künstlerische Leitung und Christoph Kreinbucher für die des Organisatorischen mit diesem Festival (das eine weitere Theateraufführung sowie Workshops und Filme bot) so manch Unbemerktes, Unerfahrenes oder aber auch schlicht Ignoriertes vor den Vorhang holen, ist jedenfalls bemerkenswerte Tatsache.
Mezzanin Theater „Die Frühwirts“ am 8. November im Kristallwerk; büro lunaire „Aufzeichnungen einer Blinden“ am 8. November im Schauspielhaus Graz im Rahmen des InTaKT-Festivals