Wir kennen sie alle, die in jedem Theater installierten beleuchteten grün-weißen Hinweis-Tafeln: Notausgang. Welche Nöte könnten eine(n) leiten? Und von wo nach wo gelangt man dann? Was unterscheidet „drinnen“ und „draußen“? In ihrer einstündigen Lecture-Performance entführt uns Antonia Baehr in ein vieldeutiges Dunkel, mit vielen Worten, ein paar Witzen und die Geduld arg strapazierend. Und das Eigentliche kommt erst am Ende ...
Finster ist die Halle G, sogar die immer leuchtenden Notausgangs-Wegweiser, zumindest die bühnennahen, lässt die Berliner Choreografin, Performerin, Filmemacherin und bildende Künstlerin Antonia Baehr von „Zuhältern“ verdecken. Nachtblind sollte man also nicht sein. Die geweiteten Pupillen lassen im Hintergrund nur schwach eine helle Gestalt erkennen, die den Raum beginnt zu erschließen. Das Stehpult ist ihr räumlicher Anker und Bord für akustische Requisiten zugleich. Den umfänglichen Text rezitiert sie aus dem Gedächtnis, eine englisch-deutsch-französische Mixtur gesprochener, geflüsterter, gekreischter und gesungener Betrachtungen einer Frau der Finsternis. Denn diese Lichter hasste sie schon immer. Von ihrem Kampf gegen Regulatorien berichtet sie, von Hunderten Toten bei Theaterbränden im 19. Jahrhundert, die Anlass gaben für die Einführung ebensolcher Wegweiser, sie imitiert Diskussionen und spricht von einem Traum, in dem sie mit dem Korridor auch ein Geschlecht wählt. Der „Exit“ wird Metapher. Wie für die Friedensbewegung 1989 in der DDR, die zur deutschen Wiedervereinigung führte. Sie redet von Brandstiftung, auch der geistigen, sie tanzt mit zwei leuchtenden Schildern bis in die Panik. Kindliche Freude am am Spiel. Und wenn der Körper keine Exits mehr hat, keine Scheiße, keinen Atem, wird alles sauber, sicher, ruhig. Führen will uns dieses Licht in der Dunkelheit der Nacht. „Ich schütze Dich. Hier bist Du sicher.“ Die eine der vielen angeführten Polaritäten, Tag-Nacht, Hell-Dunkel, löst sie zum Ende hin auf. Allmählich auch den vorderen Raum bespielend, wird erkennbar, dass sie nackt ist. Und sie hat sich einen Penis umgeschnallt … Der Biss des Hermaphroditen in die pendelnde, schokoladen-umhüllte Glühbirne lässt das Schummerlicht verlöschen. Im Exit-Schritt geht's ab. Das Publikum applaudierte brav.
Mit „Exit“ bringt Antonia Baehr eine dynamisch präsentierte, vielschichtige und vieldeutige Auseinandersetzung mit dem, was Exit meinen kann, nach Wien. Mit viel Humor aufgepeppt stellt sie uns allmählich an vielerlei Abgründe, geschichtliche, weltpolitische, soziale, philosophische und letztlich individuelle, psychische. Den „Exit“ als Trenn- und Bindemittel zwischen zwei Orten, Um- und Zuständen reflektiert sie variantenreich und tiefgründig. Dass auch das seelische Drama einer nicht vorhandenen bipolar-geschlechtlich definierten physisch-psychischen Kongruenz noch thematisiert wurde, rückt das Stück in die Nähe vieler im Tanzquartier gezeigter queer-feministischer Arbeiten. Den teils infantilen Freuden und den ausgeprägten, nicht von jedem hingenommenen Längen gegenüber möge man nachsichtig sein.
Antonia Baehr: „EXIT“, am 17. Oktober 2019 im Tanzquartier Wien, Halle G