In einem schmucklos kleinen, weißgetünchten Raum eine unbekleidete Frau auf hohem Holzgestell stehend: Clarissa Rȇgo, aufgewachsen in Brasilien. 20 Jahre lang performte und tanzte sie dort und in europäischen Ländern. Prägend für sie war die Zeit mit Lia Rodrigues und ihrer Company. Nun stellte sie in Graz ihre erste eigene Choreografie vor. Sie ist als erster von drei Teilen gedacht.
„Bloom“ ist der erste Einblick in eine thematische Serie, die von Migrationsbewegungen inspiriert wurde und mögliche Verbindungen von Körper, Stimme und Raum untersucht – aus weiblicher Sicht.
Nach kurzem Verharren in Bewegungslosigkeit sind es die Arme, die im Zeitlupentempo ihre Stellung kleinräumig verändern, bemerkbar fast nur einem aufmerksamem Auge. Achtsamkeit im Kleinen ist einer der Parameter dieser Performance, den sich einerseits die Künstlerin für ihr minimalistisches Agieren abverlangt und den sie andererseits von ihren ZuseherInnen fordert. Zusätzlich zu dem der Langsamkeit – für die und in den eigenen Bewegungen und vom „actiongewohnten“ Publikum.
Es bleibt auch offen, ob sie eine oder mehrere Geschichten andeuten oder aber nur individuelle Assoziationen hervorrufen will; und also der Zuseherin überlassen, wie sie das Angebot nützen will respektive nützen kann. Denn die gezeigten Bewegungsabläufe im Minimalformat sind sicherlich keine Alltagskost. Sie erfordern ein erwartungsfreies Einlassen auf das, was zu sehen ist und Suchen nach dem, was es bei einem bewirkt.
Ist es, soll es ein menschlicher Körper sein, der nun zusammengekauert und von hinten zu sehen auf der winzigen Plattform verharrt? Oder ist es ein freiheitssuchender, mit den Flügeln schlagender Vogel? Was zeigen die auf dem Rücken nun spielenden oder doch Bilder formenden Finger? Verweist ihr später zu sehender, weit offener Mund auf die zahllosen ungehörten Worte, gar auf die Schreie Hilfesuchender in dieser Welt? Angst, Wut, Resignation, aber auch Entspannung sind in der kurzen Mimik-Szene auszumachen – wenn man will.
Ist ihr langsames, den „Turm“ Hinuntersteigen ein Entkommen aus einer nahezu aussichtslosen Lage an exponiertem Ort? Oder ist das Ergebnis, das Sich-Einfügen in eine eingrenzende Struktur doch nur eine schlechte Alternative? Letztere war immerhin eine freie Wahl und so mag ihr langsam erklingendes, leises Singen eines der Freude sein.
Das erlebte Angebot zum freien persönlichen oder aber allgemeingültigen Assoziieren ist deshalb von Qualität, weil es mit ebenso großer Behutsamkeit und gekonnter Körperführung wie mit packender Bühnenpräsenz geschieht. Die Aussicht auf einen, also auf den zweiten Teil der Reihe ist nicht nur spannend, sondern auch erfreulich.
Clarissa Rȇgo: BLOOM, 18. Oktober 2019, Das Uhrwerk, Graz