Corinne Eckenstein thematisiert in ihrer Tanztheaterstück „Über uns nur der Himmel“ Fluchterfahrungen von Kindern. In poetischen Bildern spürt sie ihren unvorstellbaren Reisen und ihrer Resilienz nach. Ein wundersamer Wald ist der Ort, in dem sie eine Ruhestätte von ihren Mühen suchen, aus der sie aber immer wieder aufgeschreckt werden.
Die Musikerinnen des Koehne Quartett bilden mit ihren langen Blätterschleppen den Wald, in den die fünf Kinder in Koffern gebracht werden. Sie schlafen. Allmählich steigen sie aus ihren „Gefährten“, versammeln sich zu einer Gruppe, geben einander Schutz.
Die Älteste unter ihnen erzählt die Geschichte vom kleinen Buben, der sich mit den Zugvögeln, die tausende Kilometer unterwegs sind ohne zu schlafen, anfreundet und mit ihnen zieht. Die TänzerInnen sind diese Vögel. Manchmal sind sie behutsam, dann wieder erschreckend, aber so richtig fürchten sich die KInder vor den grünen Waldmonstern, Trolle, die nach ihnen grapschen, und sich letztendlich als harmlose Kreaturen herausstellen, auf denen man reiten kann.
Die Kinder bekommen Schnäbeln, damit auch sie wie Vögel aussehen. Doch immer wieder sinken sie erschöpft nieder. Sobald sie einschlafen, werden sie unsanft geweckt, die Großen schleifen und zerrren sie über den Boden, sind Schlepper oder Retter, die sie an Seilen aus dem Wasser ziehen.
Dann wiederum werden sie zu Artisten, die eine Zirkusshow veranstalten. Haben die Kinder und Zugvögel am Ende einen Ort des Verweilens gefunden, wenn die herumliegenden Seile über den Bühnenraum gespannt werden und sie ihre Wäsche aufhängen.
Corinne Eckenstein und ihr Team verlassen sich ganz auf die Kraft der Poesie. Ihre Inspiration war die Fotoreihe „Wo Kinder schlafen“ von Magnus Wennman. Zu zeitgenössischen Kompositionen für Streichquartett von Ligeti bis Max Nagl Kreiert sie in Co-Choreografie mit Sanja Tropp Frühwald eindringliche, manchmal ganz stille Bilder. Eine einfache Ausstattung aus Seilen und eine Wand aus Plexiglas (Ausstattung und Kostüme: Ilona Glöckel) genügt, um mannigfache Erfahrungen sichtbar werden zu lassen. „Über uns nur der Himmel“ ist ein sinnliches Lehrstück in Empathie.
Die mitwirkenden Kinder sind großartig gecoacht (Gat Goodovitch). Sie verlieren nie die Aufmerksam, obwohl sie 70 Minuten lang fast ununterbrochen auf der Bühne sind, ihn denen sie einen Zustand der physischen und psychischen Erschöpfung verkörpern. Ein besonders berührender Moment ist, wenn ein rotes Tuch am Boden von einem Mädchen aufgehoben wird. Ganz still sieht sie es an – ist es ein toter Vogel? Im nächsten Moment jedoch mutiert es zu Supermans Cape, das sich ein kleiner Bub über die Schultern legt.
Von den ZuseherInnen (ab acht Jahren) wird hier ebenfalls ein hohes Maß an Aufmerksamkeit, aber auch an Abstraktionsvermögen eingefordert. Das gelingt über weite Strecken – da habe ich im prall gefüllten Dschungel schon bei weitem unruhigere Publikumsscharen erlebt. Jedenfalls macht diese Produktion wohl jeden Zuschauer nachdenklich, und mehr kann Theater wohl nicht tun.
„Über uns nur der Himmel“, eine Produktion von Dschungel Wien und Wien Modern, am 28. Jänner im Dschungel Wien (Uraufführung am 15. Novermber 2018), weitere Aufführung am täglich 29. bis 31. Jänner; 21. bis 24. Mai