In der internationalen Tanz-Community werden babylonische Sprachverwirrungen gerne als Kunstgriff eingesetzt. Der österreichische Choreograf Chris Haring geht in seiner neuen Serie „Foreign Tongues“ einen Schritt weiter. Er rückt die Unmöglichkeit der (verbalen) Kommunikation ins Zentrum der choreografischen Recherche. Bei der Uraufführung von „Church of Ignorance“ in der imposanten Architektur der Dominikanerkirche nahm ein Cast von acht TänzerInnen das Publikum auf eine rätselhafte Reise mit.
Erst dringen Geräusche aus den schwarzen Skulpturen, die zusammengekauert auf dem Boden oder an die Wand gelehnt im Raum verteilt sind. Langsam schälen sich die Figuren aus den Stoffbahnen, in die sie eingewickelt sind. Das Geplapper verstärkt sich zu ohrenbetäubendem Krawall, bis die Gruppe sich versammelt und einen von ihnen an einem Mauervorsprung emporhebt – eine Pestsäule nimmt Gestalt an, um im nächsten Moment aufgelöst zu werden. Denn woanders hat Katharina Meves eine hohe Stimme verpasst bekommen, wenig später wird sie auf französisch radebrechten und mit anderen Tänzern in einen Dialog treten. Niemand versteht den Inhalt. Einzig die Gesten und Bewegungen zu diesen Lautmalereien vermitteln eine Art von Interaktion zwischen den Sprechenden. Non-verbale Kommunikation als Ersatz für das gesprochene Wort?
Gleichzeitig wachsen diese amorphen Wesen über ihre Körper hinaus, wenn sie das Stretchmaterial der Kostüme (Stefan Röhrle) in ständig neuen Varianten ausdehnen, schrumpfen, binden oder knoten und damit neue Persönlichkeiten darstellen, Identitäten wechseln, neu verhandeln, verwerfen.
Mit ihren iPods und Mini-Lautsprechern steuern die TänzerInnen ihren Redefluss, bestimmen ihren Rhythmus und körperlichen Ausdruck selbst. Die Sprachaufnahmen stammen aus persönlichen Interviews, die im Rahmen des „Foreign Tongues“-Projektes in verschiedenen Regionen Europas gemacht wurden. Das Sounddesign stammt von wieder von Andreas Berger. Die Beherrschung und exakte Umsetzung der technischen und darstellerischen Mittel ist bei der international gefragten Compagnie mittlerweile als selbstverständlich vorauszusetzen und funktioniert auch diesmal makellos.
Wenn Luke Baio und Arttu Palmio eine Auktion mit einem 30 Dollar Angebot beginnen, und ganz verständlich um Aufbesserung werben, wirkt das in dem pausenlosen Treiben der Veränderungen wie ein Anker, der das schwankende Boot in Position hält. Doch bald verfallen die beiden in den Slang amerikanischer „auctions“ und treiben das Publikum weiter vor sich her.
Ob „The Church of Ignorance“ ein „utopisches Versprechen“ (Eigendefinition Liquid Loft) einlöst oder doch eine Dystopie zeichnet, liegt letztlich wohl in der Deutung des Betrachters. Denn die Zeichen, die die großartigen TänzerInnen (neben den bereits erwähnten sind das Dong Uk Kim, Hannah Timbrell, Dante Murillo, Anna Maria Nowak und Karin Pauer) in den Raum setzen, bleiben zwangsläufig dem anthropozentrischen Gehabe, das die „Widersprüche der nachmodernen Welt“ hervorruft, verhaftet.
Doch diese Interpretationen sind freilich zweitrangig, denn „The Church of Ignorance“ ist kein philosophischer Diskurs, sondern Gegenwartstheater in seiner aufregendsten Form: Es wirft Fragen über den Zustand unserer Gesellschaft auf, die noch lange in der Zuschauerin weiterwirken.
Liquid Loft „The Church of Ignorance“, Uraufführung am 28. April 2018 in der Dominikanerkirche Krems im Rahmen des Donaufestivals