In ihrem Text „Good Morning, Boys and Girls“ setzt sich die Autorin Julie Zeh mit der Genese eines Amoklaufes auseinander. Barbara Klein (Regie) und Paola Bianchi (Choreografie) haben die österreichische Erstaufführung im Grenzbereich zwischen Realität, Videospiel und emotionalem Niemandsland angesiedelt, in dem sich jugendliche Gewalttäter befinden könnten.
Es ist mehr eine Suche nach Fragen als nach Antworten, die durch Zehs Text aufgeworfen wird, denn es ist ein Phänomen, dem wir weitgehend ratlos gegenüber stehen: Was treibt einzelne Jugendliche zu solchen Gewalttaten? Verlieren sie in einer Welt der virtuellen Gewalt den Bezug zur Realität? Verschwimmen durch Videospiele die Grenzen zum realen Leben?
Mit ihrer artifiziellen Inszenierung der Charaktere findet Barbara Klein einen ver-rückten Zugang, der die Gefühlswelt der beteiligten Personen flach und zweidimensional darstellt. In den Körpersprachen von Mutter (Susanne Rietz) und Vater (Jens Ole Schmieder) – zwei erfolgreichen Galeristen – sowie der Lehrerin Frau Pratt (Johanna Prosl) sind manieristische Konventionen eingeschrieben, aus denen die drei nicht heraus können. Ihnen stehen der Sohn Jens (Giamo Röwekamp) gegenüber, gefangen in der pubertären Unfähigkeit sich zu verständigen. Er hat das Gefühl in einer Karaoke-Welt zu leben, in der alle um ihn herum eine Rolle spielen. Lediglich in Susanne (Sophie Resch) findet er eine Person, die für ihn real erscheint. Eine Gleichgesinnte?
Wer ist Schuld am Tod? Ist es die Grausamkeit der Mutter, die den geliebten Hund des Sohnes („mein einziger Freund“), kahl schert, weil sie die Haare in der Wohnung nicht erträgt? Ist es die Laissez-faire-Haltung des Vaters? Die Lehrerin, die bei den blutigen Geschichten des Jungen grammatikalische Korrekturen in den Vordergrund stellt?
In jedem Fall ist die Verständigung untereinander schwer gestört. Die Schauspieler rezitieren ihre Texte wie Monologe aus denen selten ein Dialog entsteht. Man redet aneinander vorbei. Die choreografierten Bewegungen scheinen wie dissoziiert von dem Gesagten und so entsteht eine abstrakte Ebene des Kommunikationsversagens. „Amok“ (Pablo Leiva), eine ganz in weiß bandagierte Kunstfigur begleitet stumm das Geschehen und liefert über ein Handy Nahaufnahmen der handelnden Personen. Auf einer weiteren Projektionsfläche bahnt sich ein Ego-Shooter seinen Weg durch das Videospiel.
In Rückblenden wird das Unfassbare versucht aufzuarbeiten: Die Selbstvorwürfe der Mutter steigern sich ins Pathetische; der Vater kann nicht aufhören, Gewalttaten von Jugendlichen auf der ganzen Welt aufzuzählen und baut damit eine Art von Panzerabwehr gegen Emotionen auf. Die Lehrerin wird das erste Opfer sein und kann, selbst als sie angeschossen wird, nicht begreifen, was passiert.
In der Hilflosigkeit seiner pubertären Konflikte wird Jens in Laufe des Stücks zunehmend sympathischer. Doch Julie Zeh kratzt in einer abrupten Wende die Kurve vor der Täter-Opfer-Umkehr. Der, den wir die ganze Zeit als Täter identifiziert hatten, war selbst ein Opfer.
Dieser Schwenk ist zwar dramaturgisch nicht ganz schlüssig aufgelöst. Doch abgesehen davon ist Barbara Klein und ihrem Team mit dieser Inszenierung ein Zugang zu einem schwierigen gesellschaftlichen Thema gelungen, das Gewalt verhandelt ohne sie auf der Bühne darzustellen. Hier geht es nicht um eine Abbildung des Grauens. „Good Morning, Boys und Girls“ ist vielmehr eine eindringliche Reflexion darüber.
„Good Morning, Boys und Girls“ von Julie Zeh, Österreich-Premiere am 11. Oktober im Kosmos Theater. Weitere Vorstellungen bis 28. Oktober.