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Toulon1Konfrontation mit gegenwärtigen Lebensrealitäten tänzerisch umzusetzen, das war schon 2015 in der bemerkenswerten und erfolgreichen Produktion „Through the Open Door“ (tanz.at berichtete) die Intention Darrel Toulons, damals künstlerischer Leiter der Tanzkompagnie der Oper Graz. Als Gast in Graz präsentierte er nun ein weiteres Tanzstück zu Autobiographischem rund um das Thema Unterwegs-Sein, Flucht, Suche, Heimat.

Ein Kaleidoskop unterschiedlichster Schicksale von Menschen, die als Kinder des Krieges (die Mitglieder des National Ballet of Kosovo Teuta Krasniqi, Fatmir Smani, Sead Vuniqi) ihre Heimat im Kosovo oder aus Kalifornien, Brasilien und China kommend (Challyce Brogdon, Jessica Moretto, Xianghui Zeng) derzeit ihre künstlerischen Wurzeln in Graz haben; oder solche, die jetzt Asylstatus in Österreich besitzen (Fazlolah Tadjik aus Afghanistan und Ebrima Jallow aus Gambia) und (erst) hier zum Tanz gefunden haben. Acht junge Leute, die über Trennendes hinweg Gemeinsames auf die Bühne bringen.Toulon2

Sie tun es mit engagiertem, tiefernstem, hin und wieder auch heiterem Nachdruck, wie beim schwungvollen Auftakt aus bunter Sprachenvielfalt heraus augenzwinkernd klargestellt wird. Mit gleichermaßen viel Emotion und Tempo, wovon allerdings immer wieder auch zu viel davon eingesetzt wird: Weil das Tempo über Differenzierendes, sowohl was Bewegungsqualität als auch was tiefere Inhalt betrifft, verschleiernd drüberfährt. Das ist einerseits notwendig, weil das Können unterschiedlich ist; andererseits zeigt das Bewältigen komplexer Bewegungsabfolgen aber, dass es nicht immer sein müsste; ist es doch sehr wohl beachtlich, was die TänzerInnen leisten und was Toulon (trotz mancher Wiederholungen) an Kreativität einbringt und aus den KünstlerInnen herauszuholen imstande ist. Dass er dabei bezüglich Emotionalität mit weniger mehr erreichen könnte (schon die Reduktion theatralischer Mimik täte das Ihre), das steht auf einem weiteren Blatt; und auf noch einem, dass das eine und andere etwas nah am Klischee über die Rampe kommt.

Toulon3Auffallend ist, dass zahlreiche Pas de Trois, die ansonsten eher zu Heiklem zählen, hier als Choreographien und in ihrer Umsetzung durch die TänzerInnen in unterschiedlichen Konstellationen, auch im „Doppelpack“, mehrfach gut gelingen; dies gilt für realistische wie auch für eher abstrakte Szenen. Die qualitative Basis liegt hierbei nicht so sehr in der differenzierten Einzelbewegung als im Bewegungsfluss wie auch in Passagen, da etwas Ruhe einkehrt und Installatives in den Vordergrund rückt. Ein kurzes Solo von Xianghui Zeng zählt wiederum technisch zum Herausragenden. Und was Authentizität und Bühnenpräsenz betrifft, so überzeugt ganz besonders Ardee Dionisio. Von besonderer inhaltlicher Stärke ist gegen Schluss ein weitgehend im Leeren verhallendes, begeistertes „Danke“ der InterpretInnen ans Publikum: Da wird messerscharf klar, wie distanziert und unbeteiligt, vielleicht auch hilflos letztlich dieses in Realität derartigen Schicksalen gegenüber bleibt und ist; ein glasklarer Spiegel, der nachdenklich macht.

Raum- und Lichtdramaturgie ist ein weiterer Punkt, der immer wieder überzeugt. Da werden dichte Bilder gestaltet, da ist einiges an Atmosphäre im Aggressiven wie im Nachdenklichen greifbar. Die Musik hingegen („Various Artists“) drängt sich nicht selten breit und vordergründig in und unter das Geschehen. Man genießt, wenn sie wie am Ende einmal schweigt und Bewegung für sich allein sprechen kann.

„The Long and Winding Road“, eine Kooperation von National Ballett of Kosovo und Internationaler Bühnenwerkstatt Graz am 30.Juni 2017 im Schauspielhaus Graz.

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