Vom Versuch, der Beschleunigung zu trotzen. Schluss mit der ewigen Hetzerei! Wie oft hat Ceren Oran sich den Ausstieg aus dem Hamsterrad des Alltags vorgenommen. Tatsächlich kürzer zu treten, gelang ihr bislang nicht. Als Tänzerin, Choreografin und Soundpainterin ist sie seit Jahren international in Projekten und mit eigenen Produktionen beschäftigt.
Seit 2014 lebt die Istanbulerin in München. Hier hat sie sich nun mit drei Performern und zwei Musikern zusammengetan, um der Faszination für Tempo und der Schnell(lebig)keit in unserer Gesellschaft künstlerisch auf den Grund zu gehen. Mit einer sehr anschaulichen Metapher, die das Phänomen vom Vorbeirauschen der Zeit sicht- und hörbar macht.
Im Zentrum von Orans knapp einstündiger, höchst physischer Performance „Rush Hour“ stehen drei zur Saalmitte hin ausgerichtete Laufbänder. Sie wurden mit Lichtschienen präpariert und die zum Fitnesseinsatz notwendigen Sicherheitseinstellungen deprogrammiert. Das schleifende Geräusch der so getunten und zu gnadenlosen Bewegungspartnern umfunktionierten Maschinen erfüllt den Raum von Anfang an. Später überspült ein klacksender Elektrosound (Hüseyin Evirgen) und Simon Couratiers live zum Finale schnaubendes Saxophon die individuellen Erlebnistrips der drei konditionell bis an ihre Grenzen gehenden Interpreten. Speed, erfährt man, ist ein Koordinations- und Interaktionskiller.
Zuerst betritt Cağlar Yiğitoğullari das vor ihm liegende, monoton vor sich hin rollende Stück Wegpflaster. Seine Eigenart: Von den Tücken des Zeitdrucks im Tagesablauf zu erzählen, während die imaginäre Umgebung, die er im Laufschritt durchmisst, zusehends verschwimmt. Neben ihm beginnt Jaroslav Onduš auf seinem Gerät lässig rückwärtsgewandt zu walken. Je höher er die Bandgeschwindigkeit dreht, desto massiver gerät sein Körper ins Schlingern. Irgendwann hilft auch das heftigste Rudern mit den Armen nicht mehr. Er plumpst zu Boden wie ein gehetztes Tier. Bilder, die bei den dankbar auf ihren Stühlen verweilenden Zuschauern mannigfaltige Assoziationen auslösen.
Die dritte im Konkurrenzbund dieser Choreografien am laufenden Band ist Daphna Horenczyk. Ihr Einstieg vollzieht sich in Zeitlupe. Dann legt auch sie los – den Blick geradeaus, im Modus eines unaufhaltsamen Kriegers. Ihre Beine traben. Von der Hüfte aufwärts wiederholt sie stur ein und dieselbe Tanzsequenz und versucht, der dazu selbstauferlegten Beschleunigung zu trotzen.
Das Manko der rastlosen Schau: Am Ende zählt vor allem das Durchhalten. Was man vermisst, ist die Option des Absprungs. Performative Vorschläge sozusagen für den Knopf, das System Tretmühle anzuhalten. Warum nur waren die Interpreten – sind wir – derart leistungsverbissen?! Dieser Gedanke treibt einen schließlich auf dem Heimweg weiter um. Und schon dafür hat sich der Abend gelohnt.
Ceren Oran: „Rush Hour“, Premiere am 22. Juni 2017 im Münchner Schwere Reiter