Dem noch Unvollkommenen Raum, dem neugierig Erkundenden Platz zu geben – das (auch) verbirgt sich als Intention hinter der seit 2012 im Projekt „Invisible Drives“ bestehenden Zusammenarbeit der Anton Bruckner Privatuniversität Linz und der Kunstuniversität Graz. Studierende der beiden Orte begeben sich hierbei auf eine Suche nach Gemeinsamem ihrer jeweiligen künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten Tanz und Musik.
Zielsetzung ist es, die ureigenen Perspektiven so wie das Verständnis für eine andere Kunstsparte zu erweitern, um schließlich miteinander Künstlerisches zu kreieren, das mehr als die Summe zweier Einzel-Teile ist. Ein Zusammenspiel, das nicht immer einfach und auch nicht problemlos abläuft, aber in seinem „visible“ Part sehr wohl sehenswert war. Erstmals in diesem Jahr wurde das Spartenübergreifende innerhalb von Zeitgenössischem außerdem durch eine Beteiligung des Bereichs „Alte Musik“ ergänzt.
Gelungen schon das kleine Vorspiel auf Barock-und Tenoroboen sowie Barockfagott (Prelude, Sarabande und Rondeau von James Paisible) im Foyer: Mit verhaltener Bewegung und gezierter Mimik/Gestik der Barock-Zeit bauten im ersten Teil die drei Tänzer die Verbindung zur Vergangenheit, von der sie bald und nahezu übergangslos in zeitgenössisches Bewegungsrepertoire glitten.
Auf der weitläufigen Bühne des György-Ligety-Saals, dessen Schmuck fast ausschließlich nur die unterschiedlich arrangierten Notenständer der wechselweise agierenden Musiker waren, präsentierten die StudentInnen künstlerische Arbeiten in Form von 5 „Drives“, die aus zwei bis vier Musik- oder Tanz- und Musikwerken bestanden, für die sie in jeder Hinsicht, von der Idee, dem Arrangement, der Chorographie und (teilweise) Komposition bis zur Organisation verantwortlich zeichneten. Die Projektleitung oblag für Tanz/Choreographie Rose Breuss (Linz), für Komposition Clemens Gadenstätter (KUG), für Alte Musik Andreas Böhlen und Andreas Helm (KUG) und für PPCM (Performance Practice in Contemporary Music) Dimitri Polisoidis und Bernhard Zachhuber (Klangforum Wien).
Die Choreographie des „Drive 1“, „No Words to Say“ (Komposition: Weiwei Xu) von Samer Alkurdi und den Tänzern Damián Federico Cortes Alberti, Kai Chun Chuang und Rakhal Herrero ist nochmals als Tanz gewordene Suche nach Verbindung zwischen den KünstlerInnen und ihren unterschiedlichen Medien interpretierbar: die Luft, das Atmen (der Tänzer) ist es, das erste Brücken zum (anfangs) minimalistischen, großartigen Akkordeon-Spiel von Maria Mogas Gensana baut; langsam sich manifestierende Bewegungen sind es dann, die in ihrer isolierten Form Parallelen zum Akustischen herzustellen trachten. Es folgt die Erkundung des „unbekannten“ Raumes und des Lichts, die tastende der anderen Tänzer und schließlich das, was grundsätzlich an Musik auch für TänzerInnen auf jeden Fall ‚greifbar‘ ist: auf (aus den Taschen gezogene) Zettel notierte Partituren, die die Tänzer kurz und offensichtlich nicht sehr erfolgreich begutachten. Zuletzt wird noch – konsequent, aber doch eher überflüssigerweise - das Publikum „inspiziert“, also kurz auf die Bühne geholt. Insgesamt aber eine gleichermaßen feinsinnige wie originelle Idee.
Auch wenn die vier Choreographien des „Drive 2“ - zwei zu Alter Musik, eine Komposition von Pedro Berardinelli, eine von Tahir Ibishov - durch ihre tänzerisch-inhaltliche Unterschiedlichkeit interessant sind, fehlte es jeweils an wirklich Überzeugendem. Und auch wenn zur Aufmerksamkeit erregenden, spannenden Musik Ibishovs der Kontrast zu Samer Alkurdis kraftvollem und gekonntem Tanz durch diese Präsentation („Die unbegreifbare Silhouette des tanzenden Derwischs“) trug, war es nicht mehr und ließ den Zuseher am Ende, als der Tänzer seinen Kopf in den Koffer steckte, sich im Altbekannten verlor (?), einen ebenso verlorenen Zuseher zurück. Inhaltliches tanz-darstellerisch ein wenig einfach vermittelt war zu erleben in: „em…“ und „Des Tous biens plaine“.
Zu einer faszinierenden Komposition von José Luis Martínez Morales startete mit „Drive 3“ der zweite Teil des Abends mit einem tänzerischen Höhepunkt: „Captus“, Tanz & Choroegraphie Kai Chun Chuang. Eine inhaltlich bemerkenswerte Auseinandersetzung mit dem Thema Freiheit – wann sucht man sie? – choreographisch bemerkenswert bearbeitet und kraftvoll athletisch wie mit poetisch dichter Geschmeidigkeit präsentiert.
Gut, dass auch eine Reminiszenz an unsere digitale Welt nicht fehlte – war sie doch nicht nur sehr gut gemacht, sondern auch anregend und offen genug für unterschiedliche Interpretation: „Trilogue“, Komponist & Electronics: Diego Jiménez Tamame, Visual Artist: Pol Monsó Purtí, Tanz und Choreographie: Ursula Graber. Laut Programmheft handelt es sich um eine mehrphasige Darstellung von und Rollenwechsel zwischen Mächtigem und Untergebenen, repräsentiert von der Tänzerin sowie Musik und Bild. Ein gut komponiertes, realitätsimmanent „perfides“ Spiel. Eines, das gleichermaßen als „Kampf“ zwischen Realität und Irrealem, zwischen Schöpfer und gerufenem Geist begriffen werden kann. Hochaktuell und feinsinnig gemacht - wobei (auch wenn es das Ergebnis wert ist) der Tanz allerdings das Nachsehen hat: insofern, als die technische Reproduzierbarkeit eine für die Bewegungs- palette einengende Machbarkeitsdoktrin ausübt.
„Phanasia und Fuga“ ( Musik: Valentin Haussmann, Renaissanceblockflöten: Christine Blasl, Lina Herman, Lea Geisberger, Jasmin Vorhauser) kostet als zeitgenössisch bewegte Installation das Gegensatzpaar der Zeiten voll und gekonnt reizvoll aus; nicht nur durch die Choreographie der Tänzer (Damián Federico Cortes Alberti, Laura Aguerreverry, Rakhal Herrero, Boglarka Heim, Maria Shurkhal, Eszter Petranz), sondern auch, weil ihre hochkonzentrierte, als Impro technisch sensible Netz-Gestaltung wiederum reizvolle Interpretationsmöglichkeiten anbietet.
Zu einer Komposition von Shiqi Geng zeigte Manaho Shimokawa, Tanz & Choreographie, zum Abschluss das Märchen „Yuki-onna“; eines, das sich in dieser Interpretation unserer Kultur nicht wirklich eröffnete, dessen zart-zurückhaltende, genau geführte tänzerische Entfaltung aber einen Zugang zur musikalisch-tänzerischen Einheit bewirkt.
Anton Bruckner Privatuniversität Linz und der Kunstuniversität Graz: "Drives # 4" am 22.Juni 2017, 19.30 Uhr im MUMUTH Graz