Der Besuch einer Tanztheatervorstellung steht bei Jugendlichen nicht unbedingt an erster Stelle ihrer Freizeitwünsche; entsprechend gering daher auch das altersspezifische Angebot und nicht zuletzt eines von guter Qualität - alles zusammen ein Teufelskreis. Umso erwähnenswerter, wenn es da in der Steiermark, von einer anspruchsvollen Produktion und einer ehrgeizig-mutigen Initiative zu erzählen gibt.
Als die in Schladming geborenen Verena Kiegerl und Ferdinand Seebacher im Februar 2016 „DIE HEIDI – das interaktive (Theater)Ereignis“ gründeten, stand die Intention dahinter, zeitgenössische Kunst in die Region zu bringen, dort zu produzieren und uraufzuführen. Mit Sitz in Schladming will der Verein „nachhaltiges kulturelles Angebot für alle Altersschichten“ bieten und strebt dabei „größtmögliche Auseinandersetzung und Vernetzung verschiedener Kunstsparten“ an. Die dabei zugrundeliegende Professionalität ist in Ausbildung, praktischer Erfahrung und bisherigen Erfolgen nicht nur beim Gründungsteam nachprüfbar, sondern auch bei den Bühnenakteuren der ersten professionellen Produktion, der Uraufführung von „Puls“, einem zeitgenössischen Tanztheater nach dem Roman „Herznah“ von Sharon Creech.
Die beiden Protagonisten, Lina Hufnagl und Moritz Lembert tanzen seit ihrer Kindheit bzw. Jugend mit Ausbildung in unterschiedlichen Stilen rund um und zwischen Contemporary und Urban Styles. Hufnagl ist unter anderem seit 2014 Mitglied der „Fruitastics Dance Crew“, unterrichtet seit ihrem 18. Lebensjahr Menschen aller Altersstufen und realisiert zunehmend eigene choreographische Ideen. Auch Lembert unterrichtet und choreographiert, beispielsweise bei „Ich bin OK“, ist freier Tänzer und studiert zurzeit klassischen und zeitgenössischen Tanz in Wien. Auf der Bühne in Doppelfunktion als Darsteller und Live-Musiker am Saxophon: Patrick Dunst. Er studierte in Graz und London und lebt als freischaffender Musiker mit eigenen Projekten und zahlreichen, namhaften Zusammenarbeiten sowie als Komponist in Graz.
Unter der Regie von Kiegerl, der Dramaturgie von Christian Mayer und der Choreographie von Steffi Jöris laufen in „Puls“ drei Menschen um das für sie Wesentliche: sie laufen konkret - die zwei jungen - und im übertragenen Sinne - der Alte; die Jugendlichen laufen um ihre Zukunft, der Alte um seine (sich langsam in seinem Kopf auflösende) Vergangenheit. Jede(r) in seiner Welt, mit anderem Bewusstsein, jede(r) mit anderem Ziel, mit anderer Art. Das große Thema der Wertigkeiten in unserem Leben, das Creech in ihrem Text abhandelt, wird hier unspektakulär und mit umso mehr Fingerspitzengefühl auf die Bühne gezaubert: die Komplexität des Inhalts wird vielschichtig durch ebenso feine wie dynamische Bewegung visualisiert und verbal (kurze, von Dorit Ehlers gelesene Textpassagen zum Plot werden eingespielt) wie musikalisch zu Gehör gebracht. Minimale atmosphärische Änderungen sind greifbar, bewirken dramaturgische Bögen, die die Spannung – auch ohne großer Action – ausnahmslos halten, den Atem anhalten lassen. Aufgelockert durch Leichtfüßigkeit nicht nur der Tänzer, sondern auch der Aufbereitung und durch die eine und andere humorvolle kleine Szene (von denen ein bisschen weniger wahrscheinlich noch mehr wäre).
Die kluge Zurückhaltung aller und in allem bewirkt die poetische Kraft, die von dieser Produktion ausströmt und die unter die Haut geht; die nachdenken lässt, die Jugendliche unterschiedlichen Alters trotz aller gewohnter Reizüberschwemmung zur Identifikation mit dem und den hier Angesprochenen veranlasst. Hier wurde ein außerordentlicher Zugang gefunden.
„DIE HEIDI – das interaktive (Theater)Ereignis“ mit „Puls“ am 7. Juni 2017 om TaO! (Graz-Premiere)