Eine der meisterwarteten Produktionen der heurigen Wiener Festwochen füllte am vergangen Samstag zum letzten Mal die große Halle im Museumsquartier bis zum letzten Platz: Ivo van Hoves Adaptierung von „Obsessione“, die auf Luchino Viscontis Verfilmung des Kriminalromans „Wenn der Postmann zweimal klingelt“ von James M. Cain zurückgeht. In der Hauptrolle war Hollywoodstar Jude Law zu bewundern, der die Rolle des Streuners Gino spielte.
Raststätte im Niemandsland. Auf der großen Bühne der Halle E im Museumsquartier befindet sich ein Bartresen, die Mitte des Raumes füllt ein Motorblock, rechts steht ein Waschtrog. Regisseur Ivo van Hove und Bühnenbildner Jan Versweyveld haben ein kühles Ambiente geschaffen, in dem die Schauplätze der Verfilmung nur noch abstrahierte Andeutungen sind. Statt der ärmlichen italienischen Trattoria in Viscontis Verfilmung verströmt die Inszenierung des belgischen Regisseurs ein unserer Zeit angepasstes Ambiente einer seelenlos aus dem Boden gestampften Raststätten-Architektur. Dazu passend abgekühlt bis frostig ist auch das Eheleben der Betreiber dieser Tankstellen-Raststätte - Hanna (Halina Rejn) und Joseph (Gijs Scholten von Aschat). Der Klassiker im patriarchalen Haushalt: Der Ehemann lässt sich von seiner Frau bedienen, um ihr danach ein untätiges Prinzessinnendasein vorzuwerfen.
In diese Atmosphäre platzt Gino, der auf seiner Mundharmonika spielend einkehrt und auf die nach Beachtung, Liebe und Zärtlichkeit hungernde Hanna trifft, die auch vor dem Gast von ihrem „Erhalter“ noch gedemütigt wird. Gino und Hanna kommen sich näher, zarte Berührungen und Liebe flackert auf. Während auf der Bühne Gesten der Liebe getauscht werden, sind auf den Wänden, in filmischen Projektionen, die Körper im Liebesakt schon verknotet. Der Ehemann hingegen scheint homoerotischen Neigungen nicht abgeneigt, mit dem - geistigen Getränken stark zusprechenden - Pfarrer verbindet ihn eine innige Männer-Freundschaft. Auch Gino scheint er ungewöhnlich schnell freundschaftlich zugeneigt, nachdem anfängliche Vorurteile abklingen.
Begehren und soziale Realität verquer. Viscontis Verfilmung von 1942 begründete den italienischen Neorealismus, der die ungeschminkte Wirklichkeit und die Armut des einfachen Volkes zeigen sollte. Die Frau fürchtet sich, ihren lieblosen älteren Mann in „Obsessione“ zu verlassen. Sie ist mittellos und auf der „Straße“ würden folglich nur andere Demütigungen und Schlimmeres auf sie warten. Deswegen macht sie Gino zum Mörder ihres Gatten, der aber den Schuldgefühlen im Haus des Ermordeten entfliehen will.
Während das Ensemble durchwegs überzeugt und Filmstar Jude Law bei seinem Bühnenauftritt nichts von seiner filmischen Präsenz einbüßt, liegt der größte Schwachpunkt bei der Bühnenadaption des Drehbuchs. Trotz der sonst benutzten Möglichkeit filmischer Projektionen, findet sie keine überzeugende Lösung für die nötigen Schauplatzwechsel: Der Regisseur lässt Jude Law auf einem kleinen Fitness-Studio-Laufband laufen, sein Gesicht sieht man in Großaufnahme. Während er sich in der Erzählung nun weit entfernt von dem Ort befinden sollte, von dem er flieht, lässt er sich neben dem Bartresen der Raststätte nieder. Den von der Vorlage verbliebenen Musikeinlagen fehlt in dieser Fassung völlig die Motivation, weshalb sie seltsam aus der Zeit und aus der Bühnenrealität fallen und unfreiwillig komisch wirken. Ebenso bleiben einige allzu große Lücken in der Bühnenerzählung, so etwa, als Gino Hanna, kurz nachdem sie sich versöhnt haben, unvermittelt tötet.
Ivo van Hove, Toneelgroep Amsterdam, „Obsession“, Halle E Museumsquartier, Wiener Festwochen, 3. Juli 2017 www.festwochen.at