Tanz addiert mit Musik von Darius Milhaud und Eric Satie ergibt bewegte Poesie. Diese Rechnung ohne Zahlen haben sich Violinistin Susanne Gargerle (Bayerisches Staatsorchester) und Choreograf Maged Mohamed (Staatsballett-Tänzer bis 2014, seit 2015 freischaffender Choreograf) fein für ihre Kinder- und Jugendadaption von Antoine de Saint-Exupérys „Der kleine Prinz“ ausgedacht, das als Tanztheaterstück im Campus-Programm der Bayerischen Staatsoper uraufgeführt wurde.
In der Aufführung tönen vollmundige Arrangements für vier Streicher, Klavier und Klarinette durch den großen Staatsopernprobensaal. Diesen hat Ausstatterin Linda Sollacher atmosphärisch stark wie ein Bild des amerikanischen Malers Edward Hopper in eine riesige Sandkiste als gigantisches Spielfeld für eine turbulente Traumbilderwelt verwandelt. Eine schöne Idee, die visuell sofort verzaubert – und den sechs mitwirkenden Ex-Staatsballett-Tänzern technisch Ungewohntes abverlangt.
Mohameds 75-minütiges Tanztheaterstück führt das Publikum mitten hinein in die Wüste und heran an dubiose Macken, berufliche Eigenartigkeiten oder selbstsüchtige Ticks Erwachsener. Dabei kommt man nicht umhin, das Vergnügen zu erwähnen, Münchens legendären Ballett-Charakterdarsteller Peter Jolesch als kindisch-verspielten König im voluminösen Herrscherpelz aus Neumeiers „Illusionen wie Schwanensee“ zu erleben. Maxim Chashchegorov verkörpert den Eitlen mit hohem Zylinder klassisch virtuos. Nikita Korotkov dagegen umgibt sich unter seiner Fuchsmaske zu „Blue Moon“ aus dem Rekorder gerne mit in die Luft gekickten Sandfontänen.
Treffpunkt aller choreografisch aus der literarischen Vorlage extrahierter Gestalten ist ein Wartehäuschen an einer Bushaltestelle. Umschwirrt von Ilia Sarkisov, der im Blaumann die Scheiben wischt oder sich um das flackerige Licht der benachbarten Laterne sorgt, beginnt hier die Reise des Piloten in die Sphären längst vergessener Erinnerungen. Schauspieler Dan Glazer leiht ihm Körper und Stimme. So durchlebt der in der Sahara Verunglückte noch einmal die Stationen seiner Freundschaft mit dem kleinen Prinzen, lernt dessen bewunderungssüchtige Rose (Ekaterina Petina) und die aalglatte Schlange (ganz in Gold: Katherina Markowskaja) kennen und lässt sich vom Gefühl unbelasteter Kindheit mitreißen. Viel dürften gerade die Jüngeren von Glazers (unter anderem im Gefecht wilder Toberei mit einem plüschigen Gymnastikball) dahingeratterten Text-Passagen allerdings nicht begreifen.
Wichtigster Wegbegleiter der Kinder durch das spartenübergreifende Campus-Projekt bleibt der quirlige, stets mit ungekünstelter Natürlichkeit agierende kleine Prinz. Mohamed, der von russischen Lehrern in Kairo ausgebildet wurde, hat dafür den elfjährigen Simon Boley (alternierend: Johann Ludwig Trosbach) von der Münchner Ballett-Akademie geholt. Ein aufgewecktes Kerlchen, dem es – kaum ist die erste Aufregung vorbei – nichts ausmacht, mit arrivierten Profis zu performen.
Quintessenz des Projekts ist, sich nicht von Äußerlichkeiten oder Selbstinszenierungen blenden zu lassen. Das kommt rüber und das ist gut.
„Der kleine Prinz“, Uraufführung am 23. März, eine weitere Vorstellung gibt es am 29. März 2017 im Rennert-Saal im Probengebäude der Bayerischen Staatsoper